Es war ein schöner, sonniger Tag. Es war keine Wolke zu sehen, nur manchmal hörte man das Wiehern eines Pferdes. Marie, ein dreizehnjähriges Mädchen aus San Francisco, und Tara, ebenfalls dreizehn Jahre alt aus Miami, lebten hier in einem abgelegenen Ort nahe dem Meer auf einer Pferderanch. Beide waren pferdesüchtig, und trafen sich hier in jeden Ferien.
Heute war wieder so ein Ferientag. Beide waren heute auf ihren Pferden Starlight und Antaro unterwegs.
„Irgendwie hab ich Hunger.“, meinte Marie nach einiger Zeit.
„Lust auf ein Picknick?“, fragte Tara und zeigte auf ihre Satteltasche.
„Oh ja! Du denkst auch immer an alles!“, rief Marie und sprang auch schon von ihrer schwarzen Stute.
Tara tat es ihr nach und holte ein paar Sandwichs, Süßigkeiten und Getränke aus ihrer Tasche. Sie hatte Mühe, diese Leckereien vor ihrem Pferd Antaro zu verbergen. Er schnappte danach und erwischte sogar ein Sandwich.
„Hey!“, rief Tara und fischte es wieder aus seinem Maul. Angeekelt hielt sie es von sich.
„Willst du das haben?“, fragte sie.
„Nein, danke!“, erklärte Marie und schüttelte lachend den Kopf.
„Hier, du Fresssack, hab Spaß damit!“ Mit dem Sandwich warf sie ihren Hengst ab. Vor Schreck sprang der zurück und starrte das am Boden liegende Brot an.
„Das arme Pferd!“, rief Marie und lachte immer noch.
„Ach, der kann das ab!“
Tara breitete die Decke aus und bereitete das Picknick vor, während Marie sich um die Pferde kümmerte.
„Da unten ist ein Bach, wo die Pferde trinken können!“, rief Marie Tara zu.
„Dann bring sie da doch hin!“, rief Tara schnippisch zurück.
Marie überhörte den Ton einfach. Sie war von ihren solchen Tonlagen auch gar nicht eingeschnappt oder sauer.
Antaro ließ sich von Marie nicht führen. Er zog immer wieder an den Zügeln und wollte zurück zu Tara. Also ließ Marie einfach die Zügel los.
Da er nicht abhauen kann, kann er auch allein grasen, dachte sie und ging mit Starlight allein zum Wasser.
Starlight trank gierig. Es dauerte ein wenig, bis die beiden wieder zurückgingen und Marie sich auf der Decke niederließ.
„Starlight isst nichts, aber trinkt dafür umso mehr!“, meinte Tara.
„Ja, das stimmt“, sagte Marie mit einem Blick auf die Stute.
„So, ich hab jetzt Hunger!“, rief Tara und griff nach einem Stück Kuchen.
„Lass mir auch noch was über!“
Die beiden saßen noch eine Weile da, nachdem sie alles verputzt hatten, und starrten hinüber in den Wald. Sie beobachteten ein paar Rehe, die des Weges kamen, und sahen ein Wildschwein, das misstrauisch zu ihnen hinüberblickte.
„Wollen wir zurück?“, fragte Marie irgendwann und zerriss damit die Stille.
„Okay“, gab Tara zurück und packte die leeren Brotdosen wieder zurück in die Satteltasche.
Zusammen ritten sie den gleichen Weg, den sie gekommen waren, wieder heim. Das gleichmäßige Geräusch der Hufeisen gab Marie das Gefühl von Freiheit und Geborgenheit. Bald kamen sie an ein Grasstück. Tara ritt voran, danach Marie. Das Hufgeräusch ließ nach, jetzt hörte man nur noch das Zwitschern der Vögel. Marie gab dem Pferd lange Zügel, und Starlight nutzte das auch gleich aus.
Nach einer Weile trabte Tara an und Marie musste schnell die Zügel aufnehmen. Leichttraben war Maries Lieblingsgangart, doch dann ging Tara auch schon in einen langsamen Galopp über. Marie folgte ihr in einem schnelleren Galopp und überholte sie. Marie wusste, dass Tara nicht so schnell reiten konnte wegen der Satteltaschen, also wurde sie langsamer und überließ Tara wieder die Führung.
Etwas später kamen sie am Hof an. Heute war nicht so viel los wie sonst. Ohne ein Wort zu sagen, stieg Tara ab und ging in den Stall. Marie folgte ihr unauffällig.
Maries Freundin war schneller mit dem Absatteln fertig und bewegte sich dann Richtung Haupthaus.
Marie selbst konnte ihr noch nicht folgen, sie musste erst putzen und die Box ausmisten, was Tara nicht gemacht hatte.
Dabei hat sie heute doch Stalldienst, dachte Marie insgeheim.
Sie griff nach der Mistgabel und fing an, nach und nach alle Boxen zu putzen, nur Antaro´s Box nicht. Die sollte Tara schön selbst putzen.

Marie ließ sich erschöpft ins Bett fallen. Sie hatte fast den ganzen Tag nur im Stall verbracht. Wenn sie auch nur an die Schularbeiten dachte, die noch zu erledigen waren! Sie blieb einfach liegen.
Eine Stunde verstrich. Dann setzte sie sich auf. Sie nahm sich ihr Heft und setzte sich damit an ihren riesigen Schreibtisch. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie hatte das Gefühl, dass auf dem Hof etwas nicht stimmte. Das bilde ich mir nur ein! , dachte sie und vertiefte sich wieder in ihre Aufgabe. Doch das Gefühl blieb.

Am nächsten Morgen wachte Marie auf. Verdammt, ich hab verpennt! , dachte sie und sprang aus ihrem Bett, das senkrecht zum Fenster stand. Sie rannte ins Bad und krachte fast mit ihrem Bruder zusammen. „Bleib mal ruhig!“, rief der ihr hinterher, doch das überhörte das Mädchen. Sie putzte sich im Akkord die Zähne und zog sich an. Die Schuluniform bestand aus einem weißen Hemd, darüber ein schwarzer Pullover mit Kragen und eine schwarze Jacke. Für die Mädchen war ein kurzer schwarzer Rock vorgesehen, zusammen mit knielangen Strümpfen und dunklen Boots.
Marie stolperte die Treppe hinunter in die Küche.
„Morgen!“, rief sie ihren Eltern zu, die im Wohnzimmer nebenan saßen.
„Wo willst du denn so früh am Morgen hin, Marie?“, fragte ihr Vater.
„Schule?!“, erklärte sie ihm.
„Marie, es ist Samstag!“, bemerkte ihr Bruder.
Marie hielt inne. Na super, dachte sie sich.
„Ähm … sagte ich Schule? Ich meinte eigentlich Reiten!“, log Marie. Sie wollte nicht, dass ihr großer Bruder in der Schule erzählte, sie wüsste nicht, wann Montag oder Freitag war.
„Und dafür trägst du deine Schuluniform?“, fragte er sie weiter aus.
„Ich bin ein Mädchen! Du verstehst das nicht!“, erklärte sie und ging wieder nach oben.
Jetzt war sie schon so weit, dass sie samstags dachte, sie müsse zur Schule. Ich muss weniger lernen! , beschloss sie und zog die Tür hinter sich zu. Sie zog schnell ihre Reitklamotten an und lief dann in die Scheune hinterm Haus. Dort stand ihr Fahrrad. Sie schwang sich in den Sattel und fuhr los zum Hof. Seit gestern Abend schon hatte sie das Gefühl, dort stimmt etwas nicht, und jetzt hatte sie es besonders stark. Sie trat schneller in die Pedale.
Ein paar Minuten später kam sie an. Auf den ersten Blick war alles in Ordnung. Hinten auf der Koppel grasten ein paar Pferde und aus der Box neben der Haustür schaute ein Pferdekopf. Alles schien so wie immer zu sein. Ich hab mir wahrscheinlich nur umsonst Sorgen gemacht, dachte sie und stellte ihr Rad an einer Wand ab.
Sie ging in den Stall und wurde von Tara umgerannt.
„He, was …?“, rief Marie aus und blickte in Tara´s verheultes Gesicht. Die blickte Marie nur kurz an und rannte auch gleich wieder davon. Jetzt kam ihre Trainerin hinter Tara her und stieß ebenfalls mit Marie zusammen.
„Was ist denn mit Tara?“, fragte Marie.
„Antaro hat letzte Nacht eine Kolik bekommen.“, erzählte ihr Mrs. Christmas.
„Nein … aber wie kann das sein? Ich hab ihm gestern die ganz normale Portion Hafer gegeben!“
„Du hast gestern Stalldienst gemacht?“
„Ja, weil Tara es nicht gemacht hat.“
„Antaro ist nicht aus seiner Box gekommen. Jemand muss ihn aus der Box geführt haben oder ihm das Futter gleich in seinen Trog getan haben.“
Marie war sprachlos. Wie konnte jemand so etwas gemeines tun? Sie war doch gestern den ganzen Tag da, war ihr was aufgefallen? In Gedanken ging sie den gestrigen Tag noch einmal durch.
„Nein, mir ist nichts aufgefallen.“, erklärte sie dann.
„Das wundert mich nicht.“, bemerkte Mrs. Christmas. Sie drehte sich um und ging zurück in den Stall. Was meinte Mrs. Christmas damit? „Das wundert mich nicht“ - sollte das heißen, dass sie Marie diese Tat zutrauen würde?
Marie folgte ihrer Trainerin. Diese mistete gerade Kardians Box aus. Kardian war eine Palomino-Stute der Rasse Appaloosa. Marie ging gleich durch zu Starlights Box. Ihr Gefühl von gestern Abend hatte sie sich also nicht eingebildet. Wäre sie gekommen, dann hätte sie den Täter erwischen können, dann wäre alles nicht passiert.
Nachdem sie ihre Stute geputzt hatte, holte sie den Sattel und Zaumzeug. Starlight ließ sich alles gefallen, doch beim Aufsitzen auf dem Platz merkte Marie, dass etwas mit Starlight nicht stimmte. Ihre Vollblutstute schien leicht zu lahmen. Marie saß wieder ab und kontrollierte jeden Huf einzeln. Beim linken Hinterbein klemmte etwas Weißes zwischen dem Huf und dem Eisen. Marie zog es heraus und erkannte einen kleinen Zettel. Auf ihm stand etwas in handlicher Schrift drauf:
„Wenn du willst, dass deiner Stute nichts passiert, dann lass deine Finger aus dem Spiel!“


© mononk


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