"Wie das Gespräch mit deinem Kollegen vergangene Woche. Er hat garnich verstanden, was du ihm sagen wolltest. Alles, was er verstanden hat war: du machst einen beschissenen Job! Es sei denn, das ist alles, was du ihm sagen wolltest." Der Wind pfiff jetzt schärfer über den Bahnsteig. Zehn Minuten. Das war alles, was uns beiden noch blieb. Dann würde er in Bahn einsteigen und sich erst einmal bis auf Weiteres von mir verabschieden. Mir wurde warm. Ich hatte mich viel zu dick angezogen. Es war zwar erheblich viel kälter geworden die letzten Tage, aber für einen Pullover [i]und[/i] eine dicke Winterjacke war es definitiv noch zu früh. Es hatte noch gar nicht richtig gestürmt. Die Blätter hingen größtenteils noch an ihren Bäumen. Keine Spur davon sie bald nackt dastehen zu sehen. Er hingegen hatte anderes zu befürchten.
Meine Kollegin hatte mitbekommen, dass ich scharf auf sie war. Und das konnte ich ihm vermitteln. Das alleine hätte mich noch in keine prekäre Lage gebracht. Soviel hatte er verstanden. Es war der Andere der mich dazu zwang sehr vorsichtig zu sein mit dem was ich tat, sagte und dachte.

"Wenn er zu dir sagt: 'Ich bin doch kein Müllmann!' sollte dir klar sein womit er seine Schwierigkeiten hat. Wenn du mit diesen Schwierigkeiten selbst Schwierigkeiten hast dann kann sie da am allerwenigsten für! Rede mit ihr! Sei so wie immer. Du fährst am Besten, wenn du diese Liason gar nicht erst anerkennst bzw in ihr immer nur das siehst, was du auch tatsächlich in ihr siehst; ohne dich selbst dabei verletzt zu fühlen. Du machst das im Grunde doch schon ganz gut! Geh jetzt einfach weiter nach vorne! Rede mit beiden! Zieh dich auf keinen Fall zurück! Offensive ist angesagt. Wäre doch gelacht wenn du diesem schwulen Pärchen nicht zeigen könntest was es heißt schwul zu sein!!"
Seine Worte trafen ins Schwarze. Es stellte sich heraus, dass ich aus gutem Grund nur mit ihm darüber reden wollte. Auch wenn ich das Gefühl hatte, meine Situation nicht lang und breit genug erklärt zu haben. Er verstand mich. Er kannte die Vorgeschichte und hatte all die Anderen durch meine Erzählungen mitbekommen.
Der Bahnsteig begann sich zu füllen. Selbst für unter der Woche, selbst um diese Uhrzeit waren noch einige zu viele Leute unterwegs; Gott weiß wohin. Schätzungsweise nach Hause die Meisten. Und die youngsters Gott weiß wohin. Zu Freunden, auf Parties. Auch unter der Woche. Solange man nicht in die Nähe der 25 gekommen ist hält man die Illusion der Unsterblichkeit locker und leicht und gegenüber jedem und allem aufrecht. Diesen Punkt hatte ich längst überschritten. Und in einigen stillen Momenten war ich mir dessen auch bewusst. Und in noch selteneren Momenten handelte ich sogar danach. Die eigene Sterblichkeit immer auch in die Gleichung mit einfließen lassend. Der Wille zur Macht und das Leben dem Tode entgegen spielen Skat. Und ich bin der Dritte Mann den sie dazu brauchen. Es bin nicht unbedingt ich der ihre Runde komplettiert. Aber jetzt, wo ich schon mal da bin... da macht es auch keinen Unterschied, ob ich Skat spielen kann oder nicht!

"Sie werden entweder glücklich zusammen. Oder aber sie merken recht bald, dass es keine so gute Idee war. Ihr 'never fuck the company!' wird vielleicht schon früher als später zu ihr zurück kommen. Und dann wirst du ja sehen wer professionell ist. Du oder die Beiden, Anderen. Dass du die Antwort jetzt schon kennst brauche ich dir ja wohl kaum zu bestätigen. Glaube an sie. Nicht an dich! An die Antwort!! Du weißt wie die Dinge laufen!
Und wenn sie glücklich zusammen werden wird sich das auch nicht negativ auf deine Arbeit auswirken. Das (!) wirst du dann schon zu verhindern wissen! Und sie auch. Er vielleicht nicht, vielleicht aber auch doch. Wer weiß das schon. Du wirst das sehen. Aber das kann dir ja dann auch egal sein. Vergiss ihre Melonen und konzentriere dich auf das, was zwischen euch liegt. Und erkenne darin das, was dich davon abhält mit ihr zu gehen und ihm in den Hals zu schießen. Konzentriere dich darauf, dass du die Wahl hast. Deine Wut den beiden gegenüber ist unangebracht. Vergiss sie! Schau auf das was du auch vorher schon gewusst hast. ...."

Seine Worte gingen durch mich hindurch. Es war mir, als wäre jedes einzelne Wort genau das gleiche wie das zuvor. Vergessen! Vergessen! Vergessen! Oder auch: Vorwärts! Vorwärts! Vorwärts! Als würden all seine Gedanken mich an den Eiern packen und durch genau den Raum, schleudern von dem ich die ganze Zeit dachte, dass ich ihn alleine belebe. Überall Mauern und Zäune und Schranken. Die beiden irgendwo draußen. Dafür liebe ich ihn! Und deswegen liebt er mich. Unsere jeweiligen Schranken sind die Bedingungen unserer Freundschaft. Und das wir sie kennen. Dass wir dem Anderen erlauben uns in unsere Schranken zu weisen, uns den Kopf zu waschen wenn unsere Haare anfangen Flöhe zu züchten.

"Da ist meine Bahn. Ich muss los!" Er schaut mich an als suche er etwas. Als vermisse er was an meiner Körperlichkeit. Als sei er nicht sicher ob ich ohne ihn zurecht kommen werde. Ich bin es auch nicht. Sein Blick dringt tief in mich. In solch einem Tunnel kündigt sich die Bahn mit einem unnatürlichen Wind schon einige Sekunden vor ihrer eigentlichen Ankunft an. Und dann braucht sie ja auch noch ein paar Sekunden um zum Stehen zu kommen. Die ganze verdrängte Luft muss ja irgendwo hin. Mit 80 km/h durch die Dunkelheit. Und jeden Tag vertrauen sich unzählige Menschen diesen 'darkridern' an. Man hört erstaunlich wenig von dramatischen Zwischenfällen. Verspätungen hier und da. Menschen, die sich echauffieren, aufregen, empören. Menschen, die sich freiwillig von solchen Zügen überrollen lassen. Zugausfälle. Weichenprobleme. Im großen und ganzen allerdings reibungsloser Verkehr. Und das nicht ohne Schwierigkeiten.

"Der Teufel steckt im Detail. Du kennst den Teufel! Mach was draus. Wir sehen uns Dienstag?" Ich schenke ihm eine ungeweinte Träne. Er genießt sie und zehrt, da bin ich mir sicher, die nächsten drei Tage davon. Darum liebe ich ihn. Darum liebt er mich. Und die beiden anderen wissen davon nichts. Sie denken, alles andere wäre echt. Sie denken, ihre Sehnsucht sei gestillt...


© Henry Dark


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Kommentare zu "Situation Eins von X"

Re: Situation Eins von X

Autor: Mark Gosdek   Datum: 27.11.2013 7:05 Uhr

Kommentar: Ein sehr guter Text. Ihm ist die Kraft anzuspüren.

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