Als ich spät am Abend von der Arbeit nach Hause kam und die Tür aufschließen wollte, lag dieses kleine Päckchen auf der letzten Stufe meiner Eingangstreppe, das gut mit einem festen Packpapier umwickelt war.



Ich hob es schnell auf, öffnete die Tür und ging ins Haus. Im Flur entledigte ich mich meines Mantels, stellte die Bürotasche auf die Kommode und ging mit dem Päckchen in die Küche, wo ich es mit einer Schere vorsichtig aufschnitt. Dabei dachte ich daran, ob ich in der letzten Zeit überhaupt etwas bestellt hatte oder nicht. Manchmal erhält man nämlich von irgendwelchen Firmen Dinge, die man als Werbegeschenke kostenlos zugeschickt bekommt, um Kunde zu werden.



Ich entfernte die Verpackung und hielt plötzlich ein altes Smartphone in der Hand, das mit Gebrauchsspuren aller Art nur so überzogen war. Da hat sich wohl jemand einen Scherz mit mir erlaubt, dachte ich im ersten Moment und wollte das Ding schon in den Abfall werfen, als es sich auf einmal wie von Geisterhand einschaltete und ein hochauflösendes Bild bot, das eine wunderschöne Meeresküste zeigte.



Was für ein Genuss im Meer zu schwimmen, dachte ich und erinnerte mich an meinen Urlaub im letzten Jahr in der Karibik, an die Sonne, den Strand und das Meer dort.



Kaum hatte sich das alte Smartphone vollends eingeschaltet, erschien auf dem Display eine App, die mich dazu aufforderte, ich solle sie doch bitte mit dem Zeigefinger antippen. Ich war gespannt, was es damit auf sich hatte. Zuerst zögerte ich ein wenig, aber der Gedanke an den letzten Urlaub und das Meer ließ mich alles vergessen. Vielleicht war es ja auch nur ein Gewinnspiel mit der Aussicht auf eine kostenlose Reise in ein fernes Urlaubsland?



Ich drückte ganz vorsichtig auf die App und hörte sogleich das Rauschen der Wellen eines wunderschönen Meeresstrandes, deren gleichmäßiges Geräusch mich auf seltsame Weise einlullten. Ich spürte das Salz des Wassers auf meiner Zunge, den warmen Sand unter meinen Füßen und den lauen Wind, der sanft mein Gesicht streichelte.



Im nächsten Augenblick erschrak ich, denn das Smartphone hatte mich völlig unverhofft und blitzschnell ins Display gezogen. Auf einmal stand ich am Strand jenes Meeres, das ich zuvor auf dem Bild so fasziniert betrachtet hatte. Ein kleiner Krebs krabbelte an mir vorbei. Dann erblickte ich eine glänzende Muschel, die im goldgelben Sand lag.



Von einer unsichtbaren Macht angetrieben, zog ich mich nackt aus und lief ins nächste Wellental, als sei ich im tatsächlichen Leben.



Ich genoss die Kühle des Wassers, das mich umgab. Eine unerwartete Strömung zog mich ungewollt hinaus aufs offene Meer, gegen die ich aber nichts unternehmen wollte. Ich ließ mich vielmehr einfach treiben und legte mich auf den Rücken. Ich gab mich willenlos der Entspannung hin. Nach einer Weile bemerkte ich, dass die Dämmerung eingesetzt hatte. Noch immer hielt mich die Strömung gefangen. Bloß jetzt keine Panik, dachte ich und trieb weiter aufs weite Meer hinaus. Abwarten, der Gegenstrom muss nicht mehr weit sein, hoffte ich, der aber nicht einsetzte.



Am Horizont sah ich auf einmal einen Leuchtturm, der mir letzte Grüße zu senden schien. Aber er wurde nach und nach immer kleiner und sah bald nur noch aus wie ein kleines Streichholz.



Ich musste eine aufkommende Panik unterdrücken. Mir schoss der Gedanke in den Sinn, dass ich die Nacht wohl in den Fluten des Meeres verbringen müsse oder die Haie mich fressen würden. Ich musste wieder meine aufkommende Angst mit aller Gewalt unter Kontrolle halten, um nicht verrückt zu werden. Leider gelang mir das nicht mehr, denn schon bald erfasste mich die Panik wieder. Schließlich fing ich automatisch wie wild mit den Armen an zu rudern. Ich wollte nur noch das Ufer erreichen, das ich als kleinen gelben Strich in der Ferne sehen konnte.



Aber die Strömung war stärker. Bald verließen mich nach und nach meine Kräfte und ich sah, wie unter mir ein riesiger dunkler Fischschwarm aus kleinen Fischen mit scharfen, weiß blinkenden Zähnen kreiste. Sie warteten offenbar darauf, dass ich bald ertrinken würde.



Tatsächlich konnte ich schon bald meinen Kopf nur noch mit letzter Kraft über Wasser halten.



Dann hielt ich plötzlich dieses alte Smartphone wieder in meinen Händen, das mich dazu aufforderte, jetzt sofort die App zu drücken, damit ich aus dem Wasser zurück in meine eigene Welt konnte. In höchster Todesnot berührte ich schnell die App, aber zu meinem Entsetzen tat sich nichts.



Das letzte, was ich noch mitbekam, bevor ich bewusstlos wurde, war dieses graue Papier, welches sich um das Smartphone wickelt, als würde es von einer unsichtbaren Hand eingepackt. Dann verschwand es im Nichts. Im nächsten Augenblick spürte ich noch, wie das Meerwasser unaufhörlich in meine Lunge drang, bevor mir schwarz vor den Augen wurde.



***



Irgendwo lag plötzlich ein unbekanntes Päckchen ohne Absender vor einer Tür. Der Inhalt: Ein altes Smartphone...



ENDE



(c)Heiwahoe


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Beschreibung des Autors zu "Das alte Smartphone"

Von manchen Dingen sollte man lieber seine Finger lassen.

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