Der Kochlöffelkrieg…


In der Wiesenstraße stand noch ein Haus aus der Gründerzeit. Es hatte
die Hausnummer zehn. In diesem Haus wohnten acht Parteien.
Im zweiten Stock des Hauses wohnte die Familie Kunze und im fünften
Stock, Fräulein Seifert.
Die Kunzes und Fräulein Seifert waren miteinander verwandt.
Alfred Kunze war der Bruder von Fräulein Seifert. Adelheid Kunze, die Frau vom Alfred, harmonierte sehr gut mit Fräulein Seifert. Der Vorname
von Fräulein Seifert lautete Kunigunde. Die Drei waren ein unzertrennliches Pärchen. Alles machten sie zusammen, und alle Feiertage verbrachten sie auch gemeinsam. Es war schon lange so, dass sich keiner im Haus darüber wunderte.
Alfred Kunze war ein stiller, einfältiger Mann, der zu Hause nichts zu sagen hatte. Er war von Statur aus klein, und er hatte eine rote Knollennase.
Alfred arbeitete auf der Mülldeponie. Ein Hobby besaß er nicht.
Adelheid Kunze war das ganze Gegenteil von ihrem Mann.
Sie war von kleiner Gestalt und hatte ein so genanntes Backpfeifengesicht. Sie redete immer sehr laut und grundsätzlich schimpfte sie über Gott und die Welt. Jedem Einwohner der Wiesenstraße war sie bekannt. Sie war fünfundsiebzig, und Alfred war
acht Jahre älter als sie.
Fräulein Kunigunde dagegen, war sehr groß und fadendünn. Sie lebte mit ihrer Katze Minka zusammen. Man muss besonders ihre Liebe zu allen Kindern hervor heben.
Sie hatte immer Süßigkeiten für die Kinder dabei. Kunigunde hatte auch nie ein böses Wort auf der Zunge, wenn die Kinder im Hinterhof schreiend herumtollten. Kunigunde ging regelmäßig sonntags in die Kirche, sie spendete zu allen Anlässen reichlich Geld.
Nun begab es sich, dass der vierte Advent schon heran war. Das war für die Drei etwas Besonderes.
Die beiden Frauen wetteiferten miteinander, wer von ihnen das bessere Mittagessen auf den Tisch zaubern würde. Bei Kunigunde gab es Gänsebraten mit Thüringer Klößen und Rotkohl. Als Nachtisch hatte Kunigunde einen englischen Plumpudding parat.
Adelheid hatte Kaninchen in Sahnesoße, Rosenkohl und Kartoffeln. Als Nachtisch sollte es bei ihr Vanillepudding mit Kirschen geben.
Adelheid schaute aus dem Küchenfenster nach ihrem Mann, da die Mittagszeit schon ran war. Es schneite kleine Flocken und ein Schwall
kalter Luft drängte sich durch das Fenster. Trotz ihrer warmen Strickjacke fröstelte Adelheid. Plötzlich sah sie ihren Mann kommen.

Ihr Mann Alfred hatte den Kopf gesenkt, und stapfte durch den gefrorenen Schnee. Sie winkte ihm stürmisch zu, doch er reagierte nicht. Sie schloss das Fenster und eilte zum Herd. Sie hatte eine Festtagsdecke auf den Tisch gelegt und zwei Kerzen angezündet.
Sie wartete ungeduldig auf ihn, doch er kam nicht. Alfred hatte eine Nachtschicht hinter sich und war todmüde.
Unten im Treppenflur fing ihn Kunigunde ab. Alfred ging ohne zögern mit in die Wohnung seiner Schwester, und oben wartete seine Ehefrau auf ihn. Seine Schwester hatte auch den Mittagstisch festlich gestaltet.
Alfred aß am liebsten Gänsebraten mit Klößen. Das Gericht gab es immer am ersten Weihnachtsfeiertag bei seinen Eltern. Die Geschwister begannen Genussvoll zu essen.
In der Zwischenzeit wartete Adelheid vergeblich auf ihren Ehemann.
Sie überlegte, sollte es wirklich zutreffen, dass ihr Mann immer erst bei seiner Schwester Halt macht? Einige Hausbewohner hatten ihr darüber
schon berichtet, doch sie wollte es nicht wahrhaben.
Adelheid Kunze eilte zur fünften Etage und klingelte bei Kunigunde Sturm. Kunigunde öffnete die Wohnungstür mit einem freundlichen Lächeln. Adelheid rief einige Male sehr laut, Alfred, Alfred! Alfred kam und stand wie ein begossener Pudel in der Tür. Doch das war noch nicht alles. Ein Schwall böser Wörter ergoss sich über Fräulein Seifert. Kunigunde stand wie versteinert da, und einige Tränen rollten über ihr blasses Gesicht. Alfreds Frau hatte in der rechten Hand einen hölzernen Kochlöffel bei sich. Sie war schon beim Gehen, da drehte sie sich um, ging auf Kunigunde zu, und schlug sie mit dem Kochlöffel.
Alfred stand nur teilnahmslos da und zupfte sich in kurzen Abständen an
seinen Bart.
Klapp, klapp, so gingen nach und nach die Wohnungstüren der neugierigen Nachbarn auf.
Unter weiterem Gezeter ging Adelheid in Richtung ihrer Wohnung. Alfred hatte sie an ihre linke Hand genommen.
Plötzlich und unerwartet stand Kunigunde mit einem Plast-Kochlöffel vor den Beiden. „Was du kannst kann ich schon lange“ sagte sie zu Adelheid und schlug ihr auf den Allerwertesten. Es war aber nur ein harmloser Prestigeschlag.
Nun begann aber eine körperliche Auseinandersetzung mit Folgen:
Adelheid versetzte Kunigunde mit ihrem Kochlöffel mehrer Schläge,
so das Kunigunde die Nase blutete. Kunigunde schubste Adelheid an das Treppengeländer, so dass diese aufschrie. Beide Frauen hatten ihre Kochlöffel fallen lassen, und setzten ihre Hände als Waffen ein.
Die kleine, dicke Adelheid schnaufe bei der Auseinandersetzung wie
ein Nashorn.
Die Hausbewohner hatten unterschiedlich Partei ergriffen, die meisten jedoch für Kunigunde. Die Stimmung schlug plötzlich um, und alle waren für Kunigunde.
Als Adelheid zu beißen anfing, griff Nachbar Wachenbrunner in diesen Streit ein. Wachenbrunner zog Adelheid vom Streit-Ort weg, und baute sich vor ihr auf.
Alfred war über seinen Schatten gesprungen und hatte Hochwürden Langrock geholt. Der Pfarrer versuchte mit salbungsvollen Worten, den Streit zu schlichten, was ihm nicht gelang.
Hochwürden bekam bei der Auseinandersetzung auch einige Schläge ab. Adelheid hatte sich nämlich vom Mieter Wachenbrunner befreit.
Plötzlich stand eine Polizeistreife bei den Streitenden, im Flur.
Irgendjemand hatte die Polizisten benachrichtigt. Oberwachtmeister
Friedrich war ein Hüne von Gestalt. Er hatte vorher auf dem Schlachthof als Kopfschlächter gearbeitet.
Wachtmeister Fröhlich war von kleiner Gestalt und er besaß eine Fistelstimme. Fröhlich hatte „ das Sagen“ und er erledigte alle Schreibarbeiten.
Als die beiden streitenden Frauen die Polizisten sahen legten sie flugs ihren Streit bei.
Es erfolgte ein „langes Hin und Her“, ehe die Polizisten alles notiert hatten.
Kunigunde ging in ihre Wohnung zurück und erzählte ihrer Katze Minka
von der Auseinandersetzung. Minka war geduldig beim Zuhören und sie verfügte über philosophische Gedanken.
Adelheid ging auch in ihre Wohnung, und Alfred schlich wie ein
„ begossener Pudel“ hinterher. Es schloss sich ihre Wohnungstür und man hörte, wie sie ihrem Mann Vorwürfe machte. Ihre keifende Stimme
hörte man noch nach Stunden.
Hochwürden Langrock hatte nach dem Streit zur Bedingung gemacht,
dass sich beide Frauen am Sonntag in der Kirche treffen, und sich aussöhnen. Doch weit gefehlt, Kunigunde saß in der Bankreihe vier und Adelheid in der Bankreihe neun.
Hochwürden Langrock wollte die beiden Frauen von der Kanzel aus
versöhnen und er hielt eine salbungsvolle Rede.
Die Gläubigen richteten ihre Blicke, immer abwechselnd, auf die Frauen.
Fräulein Kunigunde stand unter Tränen auf und verließ eilig die Kirche.
Adelheid blieb sitzen und schaute sich siegessicher um.
Zwischen den beiden Frauen kam es nie mehr zu einer Versöhnung, und Alfred starb vier Wochen nach dem Streit.


© Jürgen


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Beschreibung des Autors zu "Der Kochlöffelkrieg"

Es hat sich in der Vergangenheit ereignet.




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