Mein Vater war nicht einmal eine Woche tot, da schickte die Agentur sie. Sie war nicht sehr viel älter als ich, aber laut den Gerüchten, die sich ihren Weg durch das Büro machten, hatte sie ein beeindruckendes Resümee. Sie war eine Powerfrau, so zusagen.

"Mr. Stevenson, kommen Sie bitte in mein Büro!", hallte ihre höfliche, jedoch dominante Stimme durch den Lautsprecher. Das wäre dann wohl ich....

Ich stand auf und begab mich in das Büro am Ende des Flurs, sowie es mir mein neuer Boss aufgetragen hatte. Bevor ich eintrat, strich ich meinen Anzug glatt, der mir immer ein wenig zu groß war, und richtete meine Brille, dann klopfte ich an und öffnete die Tür.

Ich spähte leicht durch den Spalt. Alles im Büro war noch so, wie er es hinterließ. Mit Ausnahme, dass an seinem massiven Eichenholztisch SIE saß.
Im Grunde war sie so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie hatte schwarzes Haar, welches ihr bis zu den Schultern ging, ihr Anzug war schwarz, formell und unterstrich ihre hohe Position und im aufrechten Strand war sie vermutlich eineinhalb Köpfe kleiner als ich. Sie saß im großen schwarzen Sessel nach hinten gelehnt und schaute zu dem Kugelschreiber, den sie in der rechten Hand drehte.

Etwas zögerlich trat ich einen Schritt in den Raum hinein und war mir beinah nicht mehr sicher, ob sie mich überhaupt gerufen hatte. Doch als sie mich bemerkte, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung und lächelte mich an – freundlich und vertraut. Sie sah mich an, als sei ich ein alter Freund, den sie nach langer Zeit wiedertraf.

„Byron Michael Stevenson.“, sprach sie meinen vollständigen Namen aus, „Oh Verzeihung, Junior natürlich!“ Sie lächelte mich noch viel herzlicher und vertrauter an, dass es fast schon unbehaglich wurde, doch dann fügte sie wieder etwas ernster hinzu: „Mein aufrichtiges Beileid zu diesem schweren Verlust! Ich kannte Ihren Vater, er war ein großartiger Mann und eine starke Persönlichkeit!“

Mich haben schon immer diese Standardfloskeln genervt. Insbesondere, wenn man damit versuchte meinem Vater in den Arsch zu kriechen. Und jetzt wo er tot war, gab es überhaupt keinen Sinn darin.

Mein Vater war kein großartiger, sondern ein größenwahnsinniger Mann und seine ‚starke Persönlichkeit‘ kam nur in Form von Tyrannei gegenüber seinen Untergebenen zum Vorschein und die meiste Zeit war ich davon betroffen. Für ihn war nichts, was ich tat, gut genug. Schrieb ich Einsen, verhörte er mich, wieso ich keine Eins Plus hatte oder zumindest durch zusätzliche Extrapunkte glänzte. Als ich nach jahrelangem harten Intensivtraining in Tae-Kwon-Do endlich den schwarzen Gurt erkämpfte und dafür sogar Lob von meinem Sensei erhielt, verließ mein Vater wortlos und enttäuscht die Tribüne und ließ mir durch seinen Assistenten mitteilen, dass ich in der Zeit zwei weitere Kampfkünste hätte beherrschen müssen. Und als ich schließlich nach einer fünfmonatigen Vorarbeit einen richtig dicken Fisch an Land zog und den Deal über die Bühne brachte, erhielt ich nicht nur weder Lob noch Dank, ich erhielt nicht einmal das mir zustehende Honorar.

Ich hatte meinen Vater nie wirklich gehasst, aber als er tot war, versank ich nicht in der Trauer, in die ein Sohn hätte versinken müssen. Und nun saß sie da, in seinem Stuhl…

„Woher kannten Sie meinen Vater?“, fragte ich sie, denn ein Detail machte keinen Sinn. „Soweit ich weiß, wurden Sie von der Agentur geschickt und das nach dem Tod meines Vaters.“

„Bitte, nennen Sie mich Norma. Norma Bridges.“, sie strahlte mich wieder so freundlich an, dass ich mich beinah schlecht fühlte sie in irgendwas zu verdächtigen. „Ich kannte Ihren – deinen… kann ich ‚du‘ sagen?“, sie schaute mich fast schon flehend an und ich verstand diese Frau nicht. Ihr Angebot sich zu duzen kam mir so unwahrscheinlich vor, dass ich perplex nickte. „Ich kannte deinen Vater von der Akademie. Während meines Studiums hatte er mehrere Vorträge und Workshops gehalten. Er hatte mich damals motiviert meinen Master in Technologie- und Innovationsmanagement zu machen. Es ist für mich eine große Ehre seinen Platz hier einnehmen zu können!“

Ich nickte ungläubig, denn das was sie über meinen Vater erzählte stimmte ganz und gar nicht mit der Person überein, in deren Gegenwart ich aufwuchs und die ihr Unternehmen lieber in fremde Hände gab, als dem eigenen Sohn zu vererben, der sich zu keiner Zeit auf dem Vermögen des Vaters ausruhte, sondern immer danach strebte in allem was er tat besser zu werden.
Sie sah mich erwartungsvoll an ....


© Ronia Tading


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Beschreibung des Autors zu "The New"

Diese Geschichte ist offensichtlich noch nicht fertig und steht auch relativ weit hinten auf der "To Do"-Liste, aaaaber .... :D
Über Feedback würde ich mich sehr freuen.




Kommentare zu "The New"

Re: The New

Autor: axel c. englert   Datum: 24.10.2015 23:37 Uhr

Kommentar: Auf jeden Fall steckt da doch was drin -
Weiterschreiben macht ganz sicher Sinn!

LG Axel

Re: The New

Autor: possum   Datum: 25.10.2015 1:01 Uhr

Kommentar: Dies finde ich auch, kann dem Axel oben gerne zustimmen, würde mich freuen mehr zu lesen! LG!

Re: The New

Autor: Ronia Tading   Datum: 25.10.2015 13:05 Uhr

Kommentar: Auf jeden Fall: Vielen lieben Dank! Ich überlege tatsächlich diese Geschichte als Nebenprojekt einzuführen. Die eine oder andere Idee, wie es weitergehen könnte, gibt es schon.... :)

LG

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