Zweimal die Nummer Eins

© EINsamer wANDERER

„Sucht in allen Ecken nach ihm“, brüllt der Oberarsch der Kopfgeldjäger. Ich bleibe weiterhin schön im Schatten und beobachte von dort aus das Geschehen. Erst einmal will ich wissen, wer hier auf der Station alles tötet was sich bewegt. Im meinen Kopf rattern sämtliche Möglichkeiten und Szenarien durch. Wenn ich den Killer selbst suchen würde, wüsste er wer ich bin. Aber wozu sich zur Zielscheibe machen, wenn man laute Kopfgeldjäger als Köder hat. Damit schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich wüsste, mit wem ich es zu tun habe und bin noch gleich ein paar Verfolger los. Die Gruppe trennt sich. Während der Rest beim Schiff bleibt und versucht den Schrotthaufen wieder zum Laufen zu bringen, werden zwei losgeschickt um mich zu suchen. Die Armen. Sie sind schon so gut wie tot und wissen es noch nicht einmal. Lautlos folge ich ihnen. Immer im Schatten. Immer direkt in ihren Rücken. Wenn sie sich gehetzt umdrehen, befinde ich mich in der Ecke, in der sie nicht nachsehen. Ich rieche den süßlichen Geruch ihrer Furcht gemischt mit dem schweren kupfernen Metallduft des Blutes mit dem diese stählernen engen Gänge getränkt sind. Aber ihre Angst kann ich ihnen nicht verübeln. Überall liegen entstellte Leichen. Die Wände sind aufgerissen und literweise mit dem Blut einfachen Fleisches verschmiert. Die Luft ist mit erbarmungsloser Aggression aufgeladen. Selbst in den übelsten Sicherheitstracks bekam ich so etwas nur selten geboten. „Ach du scheiße. Die Leichen nehmen ja gar kein Ende. Der Kerl ist gerade mal seit ein paar Minuten draußen und richtet so ein Blutbad an?! Dieses Schwein! Wo verkriechst du dich, du feige Sau?!“, brüllt er und ballert sinnlos in der Gegend umher. Die Geräusche prallen als Echo von den Wänden ab. Ich muss gegen den Drang ankämpfen, mich hinter dem Schreihals zu schleichen, ihn leise „Hier“, ins Ohr zu flüstern und ihm dann das Genick zu brechen, ohne dass der andere Kopfgeldjäger es merken würde. Für derlei Spielchen habe ich aber keine Zeit. Wenigstens macht er mit seinem Geschrei das andere Raubtier auf sich aufmerksam. „Guck mal“, der Zweite deutet mit seinem Gewehr auf eine Gestalt die im Schatten steht. Sie trägt die Kleidung einer Krankenschwester. Ihre Hände verkrampfen sich um ein Skalpell in der rechten Hand von dem Blut abperlt. „Keine Bewegung.“ Sogar von meinem Beobachtungsposten sehe ich, dass die Knie des Kopfgeldjägers vor Angst schlottern. Der rote Punkt auf der Brust der zwielichtigen Person zittert leicht. Wenigstens ist der hintere von beiden clever genug, die Umgebung nach weiteren Feinden zu sondieren. Die Person tretet ins Licht. Es ist keine Krankenschwester sondern ein Kerl und jetzt wo er im Licht steht sehe ich auch das ganze Blut an der Kleidung. Aber das war nicht das Grauenvolle. Er hatte sich die Haut einer Frau angezogen. Wahrscheinlich hatte ihr auch die Kleidung gehört. Die Haut ist für den Kerl viel zu klein, sonst würde sie nicht an einigen Stellen aufgeplatzt sein. Unter dem falschen Antlitz leuchtet die blutverschmierte Haut des Irren im Schein der Deckenlampen. Seine Augen sprühen über vor Wahnsinn. Die Körperhaltung ist nach vorne gebeugt. Langsam und vor sich hin kichernd macht er einen unbeholfenen Schritt auf die beiden Kopfgeldjäger zu. Dabei reißt die übergezogene Haut mit einem widerlichen Reißen weiter auf. Der Typ hatte etwas von einer Hyäne. Lachend und sabbernd, wirkt er dennoch nicht harmlos. Er faselt irgendetwas vor sich hin, ohne dass seine Stimme in der Lage ist die Tonlage zu halten. Sie wird schrill, rau, quietschend, wispernd, als wenn er sich nicht entscheiden könnte, welche Stimme seine ist. „Noch nicht genug? … Immer noch nicht … Aber wie …? Wie? … Wie nur? … Wie nur? … Wie nur? …“, der Typ hört nicht auf diese beiden Wörter zu wiederholen, während der vordere Kopfgeldjäger seinen hinteren Kollegen fragt: “Scheiße. Ist der Kerl auf Droge?“, der Vordere dreht sich zu seinen Kumpel um, der immer noch den Gang nach Feinden absucht, ohne mich zu entdecken. Für einen kurzen Moment lässt er seine Umgebung außeracht. „Ich … äh … Keine Ahnung.“ Dieser Moment der Unachtsamkeit reicht vollkommen. Der Verrückte im Kleid geht schreiend mit dem Skalpell auf die beiden los. Sofort springen dutzende Menschen aus den Schatten und reißen die Kopfgeldjäger bei lebendigen Leibe in Stücke. Diese Station gefällt mir immer besser und besser. Es ist nicht so langweilig, wie im Knast, wo man dich nur zusammenschlägt oder vielleicht mit dem Messer auf dich los geht, bloß weil du den Obermacker der Innensassen einen blasen sollst. Leise schleiche ich mich innerlich grinsend davon. Ich will die Raubtiere bei ihrer Fütterung nicht stören.

Auf meinem Rückweg fällt mir die Leiche eines Mechanikers auf. Seine Augen sind ausgestochen. Den Mund speerangelweitoffen. Vor dem Tod sind ihm etliche Zähne gezogen worden. Die Gliedmaßen lagen unnatürlich verdreht da. Neben der Leiche lag auf dem Boden ein Schraubenzieher. Erste Regel eines wahren Killers: Alles kann zu einer Waffe werden. Wenn man weiß wie. Ich habe viele Leute kennengelernt und die meisten von ihnen getötet. Dabei lernte ich schnell, dass ich Regeln befolgen musste, um zu überleben. Um ein wahrer Killer zu werden. Seit ich mich zurückerinnern kann, bin ich entweder im Gefängnis oder auf der Flucht vor Kopfgeldjägern gewesen. Warum ich so heiß begehrt bin, weiß ich selber nicht. Aber es ist im Moment auch egal. Ruhig bücke ich mich nach dem Werkzeug und wiege es abschätzend in der Hand. Der Schraubenzieher ist schlecht ausbalanciert. Das vordere Ende ist mehr stumpf als spitz, aber es würde fürs erste reichen. Hoffentlich finde ich schnell ein Messer oder etwas Ähnliches. Erst einmal will ich aber zurück zu den Kopfgeldjägern. Hoffentlich habe ich nichts Wichtiges verpasst.

Zurück am Schrotthaufen, der noch vor wenigen Stunden mein Ticket ins Kittchen gewesen war, stellte ich mich unauffällig in die dunkelste Ecke der Halle. Zweite Regel: Sei unsichtbar. Verstecke dich im Schatten, dann sieht dich niemand. Ein wahrer Killer wird nicht gesehen, selbst wenn sein Verfolger direkt vor ihm steht. Wieder eine Regel. Inzwischen haben sie sich regelrecht in mein Hirn eingebrannt. Ich schaue wieder auf das Schiff. Es ist nicht zu retten. Damit waren die Kopfgeldjäger und ich auf dieser Station gefangen. „Irgendetwas neues?“, fragt ihr Anführer jemanden der an einem Funkgerät steht. Erst jetzt, wo ich mehr Respekt für den Anführer verspüre, nehme ich mir Zeit ihn genauer zu betrachten. Seine braunen Haare sind kurz gehalten. Das Kinn stoppelig. Die verwaschene Kleidung ist voller Schmutz und Schweiß. Dadurch dass er so abgewrackt aussieht, stechen seine stahlgrauen Augen umso mehr hervor. Er versprüht eine Art Autorität, die es nur selten unter den Kopfgeldjägern gibt. Seine Crew strahlt ihm gegenüber eine starke Loyalität, ja sogar Vertrauen aus. Die meisten Kopfgeldjäger sind Abschaum. Schlimmer als die Verbrecher, die sie jagen. Wahrscheinlich rührt daher der plötzliche Respekt für diesen Jäger her. Es wird mich aber nicht daran hindern, ihn falls nötig zu töten. „Wo sind Rick und Charlie“, bellt er. „Gefressen“, wispere ich. Als wenn er mich hören könnte. Bei diesem Gedanken muss sogar ich lächeln. „Achtung! Achtung!“, hallt es knisternd durch die Halle. „Wir haben Gäste.“ Ein unterdrücktes Lachen dringt aus den Lautsprechern der Hallen. „Was zum …?“ Sofort ziehen alle Kopfgeldjäger ihre Waffen und stellen sich Rücken an Rücken. Ich verhalte mich ganz still und schaue mich nochmal genau um. Jemand muss sich ins System der Station gehackt haben. Die Stimme konnte von überall herkommen. Gerade ist es wieder interessanter geworden. „Seid doch nicht so schüchtern, meine Lieben“, sagt der Kerl mit gespielter Freundlichkeit. „Ich weiß, ihr seht es nicht, aber ich habe meine Arme von mir gespreizt, um euch alle zu umarmen und willkommen zu heißen. Hihihihihi.“ Ich weiß zwar nicht, wer der Kerl ist, aber er geht mir jetzt schon tierisch auf den Sack. Hoffentlich ist er dumm genug, sich mir in den Weg zu stellen. „Wenn ich mich vorstellen dürfte, Cron. James Cron.“ Cron? Hat er da gerade Cron gesagt? Cron und ich sind die meistgesuchtesten Verbrecher des Universums. Wir sind zwar vollkommen unterschiedlich, haben aber unsere jeweiligen Fähigkeiten perfektioniert. Am Ende weiß niemand, wer von uns die größere Bedrohung ist. Ich frage mich, wie viele Wetten laufen würden, wenn das bekannt würde. Niemand ist flinker und einfallsreicher, als ich. Aber Cron ist ein sehr raffinierter Wahnsinniger und besitzt den besten Tech-Plunder von allen verdorbenen Kreaturen. „Also. Wie ich in der Datenbank eures verschrotteten Schiffes sehe, seid ihr mittellose Kopfgeldjäger. Verzeiht mein Eindringen in eure Privatsphäre, aber ich konnte einfach nicht wiederstehen, eure lausige Software zu hacken.“ Wieder ein Lachanfall. Er schien sich bestens über die schlechte Ausrüstung meiner Jäger zu amüsieren. „Also. Werdet ihr an unserem Spiel teilnehmen? Es heißt, findet-die-versteckten-Rettungskapseln-bevor-ihr-getötet-werdet. Hihihihi. Und so wird gespielt: Alle haben die gleiche Chance … Naja. Vielleicht nicht ganz. Hehe. Sämtliche Rettungskapseln sind von mir an verschiedenen Stellen auf der Station versteckt worden. Jeder Sträfling und Irre sucht sie. Dabei ist es erwünscht, nein sogar Pflicht seine Mitbewerber auszuschalten, sobald man sie sieht. Hehehehehe. Und wer es schafft eine Kapsel zu finden, kommt in die vogelfreie Freiheit. Aber Vorsicht! Das Angebot ist streng limitiert. Hahahahaha. Also. Macht euch ans Werk, bevor alle Kapseln weg sind. Habt noch einen schönen Tag in der Cron-Space-Station. Oh! Bevor ich es vergesse. Es werden einige Überraschungen auf euch warten. Zwinker, zwinker. Hahahahahaha.“ Mit wahnsinnigem Gelächter endet die Durchsage von Cron. Wütend steckt der Anführer seine Waffe weg. „Mist! Wir müssen los.“ Leise mache ich mich aus dem Staub. Die Kopfgeldjäger sind nun nebensächlich. Jetzt geht es darum eine der versteckten Rettungskapseln zu suchen. Ein reiner Mensch gegen eine wahnsinnige Killermaschine. Es wird sich also nun entscheiden, wer von uns beiden der Größere ist. Ich freu mich schon auf das Katz- und Mausspiel. Schließlich kann es nur eine Nummer Eins geben.

Fortsetzung folgt…


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Zweimal die Nummer Eins"

Ok. Hier ist endlich der zweite Teil. Leider muss ich gestehen, dass mir zum Thema Horror in Space nichts einfiel, weshalb ich das Subgenre geändert habe. Ich hoffe es macht niemanden was aus, dass es nun eher thrillerartige Züge annehmen wird.

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