Die Bruchlandung

© EINsamer wANDERER

Lautlos schwebte das Raumschiff in der Schwerelosigkeit. Während der Mann am Steuer auf Autopilot schaltete, sah sich der Copilot den Film Alien an und verschlang dabei chinesischen Nudeln aus der Pappschachtel. Undeutliche Laute, die sich wie Worte anhörten, drangen aus seinem vollen Mund. Halbgekaute Nudeln fliegen auf die Anzeigen. „Was?!“, fragte der Pilot. Der Copilot schluckte hörbar. „Ich sagte, man ist der Film trashig. Sieh dir das an! Da sieht doch jeder, dass das ein Pappkopf ist. Und dieses weiße Zeugs! Sieht aus wie Kotze! Und die Hälfte des Films passiert gar nichts!“ „Trotzdem ist der Film Kult. Du kannst ihn nicht mit den Filmen von heute gleichsetzen.“ „Trotzdem ist der Film totale Kacke!“ Zischend öffnete sich die Tür zum Cockpit und herein trat die Ärztin des Schiffes. Seufzend ließ sie sich in einen der leerstehenden Sessel fallen. „Und Doc, wie geht es ihm?“ Die Ärztin machte eine wegwerfende Bewegung. „Dem geht´s gut. Verdammter Bastard.“ Sie steckte sich eine Zigarette an. „Haben sie ihn analysiert?“, fragte der Copilot, bevor er versuchte sich einen weiteren viel zu großen Happen in den Mund zu stopfen. „Ja, habe ich, aber …“, sie machte eine Pause und stieß den Rauch aus. „Was aber? Jetzt sagen sie bloß nicht, dass es länger dauern wird, seine Technik zu knacken.“, versuchte der Pilot sie zum Reden zu bringen. „Es ist nicht die Technik, verdammt!“, sie seufzte und rieb sich resigniert die Augen. „Er hat keine Technik.“ Beide Piloten waren wie versteinert. „Wie meinen sie das?“ „Er ist der echteste Mensch, den ich je gesehen habe. Solche wie ihn, kennt man nur aus Geschichtsbüchern.“ Der Copilot verschluckte sich bei diesen Worten und begann wild zu husten. Er klopfte sich mehrfach gegen das Brustbein, bevor er die Essensreste ausspie. „Wie meinen sie das?“, krächzte er unter Tränen. „Er hat noch nicht mal einen Registrierungschip?“ Die Ärztin schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie. „Er ist nicht registriert, obwohl jeder Säugling gleich nach seiner Geburt diesen Chip in den Kopf gepflanzt bekommt.“ „Aber wie erklären sie sich das?! Er hat doch Sachen abgezogen, die … Fuck! Ich kann es noch nicht einmal beschreiben, was er da getan hat!“ „Ich weiß es doch auch nicht“, schrie die Ärztin verzweifelt. Nach ein paar Atemzügen sagte sie etwas ruhiger: „Es gibt schon seit langer Zeit eine Theorie, die besagt …“, sie legte eine Pause ein und nahm noch einen Zug. „Geist über Materie“, während dieser Worte drang ihr Rauch aus dem Mund.

Es gibt nichts in der Welt, was ich mehr hasse, als Kopfgeldjäger. Die meisten von ihnen sind leichte Beute. Ahnungslos, hilflos und ängstlich. Es geschieht nur selten, dass man mich fängt. Sie nennen mich Bestie – Monster. Einen Outlaw. Hehe. Wenn die bloß wüssten, was monströs ist. Ich hänge hier – gefesselt und fixiert - an einer eisernen Wand. Mein Mund - geknebelt. Meine Hände – in Ketten gelegt und an die Wand fixiert. Genau wie meine Füße. Der Rest meines Körpers wird mit starken Gurten aus Leder festgehalten. Na wenigstens habe ich etwas Spielraum. Wenn sie aus Stahl wären, könnte ich mich gar nicht bewegen. Ihr erster Fehler. Es sind eindeutig keine Anfänger, die mich am Arsch des Universums in einer heißen Wüste – in einer Schlucht aus roten Felsen – geschnappt haben. Zum Glück waren sie aber nicht schlau genug gewesen mir die Sinne zu rauben. Fehler Nummer zwei. So konnte ich durch die Lüftungsschächte hören, wie sie redeten. Sie dachten, ich hätte geheime Technologien im meinem Körper. Technologien mit denen sie besser wären, als all der andere Abschaum. Aber sie wurden enttäuscht. Ich habe nichts dergleichen. Nur einen Körper aus Fleisch und Blut. Nicht das geringste Mechanische ist in mir. Sie glauben, es würde sie stärker machen– die Technologie der Menschen. Falsch Gedacht. Sie macht euch nur bedingt stärker. Aber die Stärken des Geistes sind grenzenlos. Aber das geht euch nicht in den Schädel. Ihr werdet es nie begreifen. Ihr werdet alle sterben. Bloß das Wie weiß ich noch nicht. Ich habe genau auf die Geräusche eures Schiffes geachtet. Eure Triebwerke klingen nicht allzu gut. Tropfen und dann ein Zischen – ihr verliert heiße Kühlflüssigkeit. Und eure Rohre zittern unter dem enormen Druck der Strapazen. Sogar jetzt höre ich den entweichenden Dampf noch. Euer Schiff ist ein einziger Schrotthaufen. Wahrscheinlich hattet ihr kein Geld, um euer Schiff zu reparieren. Aber nun habt ihr meinen Kopf und damit mehr Asche als ihr in eurem erbärmlichen Leben je sehen werdet. Und deswegen sucht ihr so schnell wie möglich eine Raumstation auf, um euer Schiff auf Kredit reparieren zu lassen. Letzter Fehler Nummer drei. Mal sehen. In diesem Teil der Galaxie gibt es davon siebzehn Stück. Ich war auf Terra X. Es gibt in der Nähe insgesamt drei Stationen die in Frage kämen. Einen auf einen benachbarten Planeten. Der zweite ist in der Nähe der Sonne von Terra X. Und die Letzte ist auf dem vierten Mond desselben Planeten. Normalerweise würde jeder die Station auf dem benachbarten Planeten nehmen, aber euer Schiff ist zu beschädigt und würde den Weg dahin nicht überstehen. Dann bleiben nur noch die Sonne und der vierte Mond. Ihr werdet letzteres nehmen, da die andere Station zu nahe an der Sonne ist. Die enorme Hitze würde euer Schiff nicht aushalten. Also werdet ihr den Mond nehmen und mich von da aus in den nächsten Hochsicherheitstrakt stecken, der am anderen Ende des Systems sein wird. Viel Zeit für eine Panne. Viel Zeit in der Panik ausbrechen könnte. Viel Zeit zum Ausbrechen. Fortuna, bist du mir heute wohlgesonnen?

„Hier SexyBunny, erbitten um Landeerlaubnis, Over!“, sendete der Pilot einen Funkspruch an die Raumstation. Die Antwort war Rauschen. „Hier SexyBunny, bitte kommen.“ Es blieb beim Rauschen. „Vielleicht machen die mal ´ne Kaffeepause“, meinte der Copilot achselzuckend. „Ach was soll´s. Ich geh da jetzt rein“, meinte der Pilot noch, bevor er zum Landeanflug setzte. Ruckelnd raste das Raumschiff auf die Landebahn zu. Die Anzeigen rebellierten. Das Schiff war nur noch ein einziger Schrotthaufen. Ein großer Knall. Eines der Triebwerke hatte sich verabschiedet und trieb nun als Weltraummüll umher. „Scheiße, wir haben eines der Triebwerke verloren!“ Sofort war der Copilot am Steuer. Alles wurde in ein rotes Blinklicht getaucht. Eine Sirene heulte. Die Ärztin hatte sich schon längst angeschnallt und ihre Zigarette fallen gelassen. Sie rollte über den Boden und verteilte ihre glühende Asche darüber. Alle Anzeigen blinkten in bedrohlichen Farben. Die Frontscheibe bekam einen Knacks. Sicherheitshalber schottete der Pilot sie ab und verließ sich nur noch auf die Bildschirme.

Habe ich da etwa gehört, wie eines der Triebwerke davonflog? So. Bald beginnt der Spaß. Es wird lange dauern, bis das Schiff repariert sein wird. Wochen, vielleicht Monate. Und diese Zeit werde ich nutzen. Vorausgesetzt natürlich wir überleben die Landung. Und mit „wir“, meine ich vor allem mich selbst. Ich kann nicht anders, als zu lächeln, auch wenn es durch das Beißgummi nur schwer zu sehen ist.

„Scheiße, man! Du wirst uns noch alle umbringen!“ „Na hoffentlich“, meinte der Pilot grinsend. Das Ruckeln wurde stärker. Der Pilot versuchte mit all seiner Kraft die Schnauze nach oben zu heben. Die Steuerung reagierte kaum. Und so konnte der Pilot nur eine Bruchlandung hinlegen. Das Schiff kratzte kreischend über die Landebahn. Noch 200 Meter bis zum Hangar. Einer der Flügel brach ab und überschlug sich auf der Landebahn. Noch 150 Meter. „Scheiße, man! Wir sind tot!“, schrie der Copilot. Der Pilot biss unterdessen die Zähne zusammen. Er gab all sein Können. Setzte alles auf eine Karte. Das Flugzeug wurde langsamer. Noch 100 Meter. „Komm schon, Baby! Lass mich jetzt bitte nicht im Stich!“ Langsam und kreischend schaffte es die SexyBunny gerade noch in den Hangar. Gerade weit genug hinein, so dass die Tore noch schließen konnten.

Ich höre wie das Flugzeug kreischend wie ein Baby zum Stehen kommt. Also Leben. Das fängt ja schon mal gut an. Danke, Fortuna und ein Hoch auf den Piloten, der diese Dreckslandung vollbracht hat. Aber etwas lässt mich in meiner Vorfreude inne halten. Es wird über das Lüftungssystem hereingeweht. Für mich ein unverkennbarer Geruch. Er erinnert an Heimat – an Wohlbefinden. Es ist der Geruch von Tod und Angst. Höllischer Angst und qualvollem Tod. Der Geruch ist noch ganz frisch. Wahrscheinlich ist der Verursacher noch in der Nähe. Mir wird klar, dass ich so schnell wie möglich verschwinden sollte. Gefesselt bin ich viel zu leichte Beute. Und was auch immer den Geruch verursacht hatte, es würde zu mir kommen – schon sehr bald. Ich höre Schritte. Jemand nähert sich meiner Zelle. Ein Wachmann. Armer Kerl. Er wird gleich tot sein und weiß es noch nicht einmal. Großspurig betritt er den Raum. Obwohl er mich anbrüllt und beschimpft, achte ich nicht darauf. Gut so, Junge. Brüll mich ruhig weiter an. Auch wenn meine Augen verbunden sind, weiß ich, dass er nicht auf meine Beine achtet. Durch die Landung ist einiges zu Bruch gegangen. Zum Beispiel haben sich die Schrauben in der Wand, an die man mich gekettet hat, gelockert. Vorsichtig löse ich die Schrauben mit rhythmischen Bewegungen meiner Beine. Ja, brüll weiter. Höre nicht, wie die Schrauben zu Boden fallen. Er spukt auf mich. Wer hat dem denn ins Müsli gepisst? Ich spüre, wie er sich von mir abwendet. Er lacht dreckig. Jetzt muss es schnell gehen. Ich reiße die Platten aus der Wand. Krachend fallen sie zu Boden. Ich rieche den Angstschweiß des Wachmannes. Fühle wie er inne hält und sein Blut in den Adern gefriert. Die Schrauben meiner Fuß- und Beinfesseln haben sich jetzt ebenfalls verabschiedet. Schnell packe ich den Wachmann mit meinen Beinen an den Schultern. Ich zerre ihn zurück und stoße ihn hart gegen die Wand oder was davon noch übrig ist. Dann lasse ich meine Ferse mit voller Wucht auf seinen Kopf niedersausen. Knirschend zerbricht sein Schädel. Er ist sofort tot. Einer weniger, der mich verfolgen kann. Hatte er die Tür geschlossen bevor er reinkam? Ich weiß es nicht und hoffe, dass es niemand gehört hat. Mit aller Kraft Bäume ich mich gegen meine Fesseln auf. Sie lösen sich langsam und was sich nicht löst reiße ich aus der Wand. Ich bin frei. Bleiben nur noch der Knebel und die Augenbinde. Ich nehme sie ab und lasse meine Augen sich erst einmal an das schummrige Licht der Deckenlampe gewöhnen. Weitere Schritte nähern sich mir. Ich blicke zum Lüftungsschacht hoch. Wenn ich springe, könnte ich ihn erreichen. Ich sehe mir die Größe der Lucke an und lächle. Es passt. Schnell springe ich an die Decke, halte mich mit einer Hand am Gitter fest. Ich schaukle hin und her. Das Gitter gibt nach, als ich nach vorne schaukle. Perfekt. Mit der freien Hand kann ich mich noch gerade an der Kante des nun entstanden Loches festhalten. Langsam schaukle ich ein Stückchen nach hinten und lasse meinen Körper rückwärts in den Schacht gleiten. Das Loch versiegle ich wieder mit dem Gitter. Gerade noch rechtzeitig. Meine Gastgeber betreten den Raum. „Wo ist er?!“, höre ich einen schreien. „Oh, Scheiße“, meint ein Zweiter. „Alarmstufe Rot! Durchsucht das gesamte Schiff! Ich will diesen Outlaw wieder haben! Tod oder lebendig, ist mir egal!“ Ich muss innerlich lachen. Der Typ hätte sich meinen Steckbrief mal besser durchlesen sollen. Dort stand nicht umsonst: Wanted Dead! Lebend bin ich zu gefährlich. Aber niemand hält sich dran. Ich weise sogar immer wieder darauf hin, dass ich tot leichter zu transportieren bin. Aber Lebend bring ich mehr ein. Ein berühmter Killer ist eine Zierde für jeden Sicherheitstrakt - auch wenn der Killer ein Ausbrecherkönig ist. Ich bin eine Trophäe. Ein Stück Fleisch. Ware auf dem Schwarzmarkt. Ich warte noch einige Zeit, bis ich der frischen Luft nach draußen folge. Als ich aus dem Rücken des Schiffes wieder rauskomme, bietet sich mir ein Anblick, wie ich ihn erwartet hatte. Überall liegen Leichen. Sie sind zerfetzt, erschossen, zerfressen, entstellt und sonst noch alles. Überall klebt getrocknetes Blut. Teilweise kann man noch sehen, wie jemand mit blutigen Händen sich an die Wand gepresst hatte und dann zu Boden gezerrt worden sein muss. Hier hatte sich jemand richtig ausgetobt. Wieder taucht der Begriff Heimat in meinem Geiste auf. Langsam mache ich mich auf, die Raumstation zu erkunden. Es verspricht Spannend zu werden. Hoffentlich sind die Typen auf dem Schiff nicht solche Weicheier, wie Kopfgeldjäger. Nur die Wenigsten von ihnen sind abgebrüht genug für mich. Aber diese Typen in ihrem Schrottschiff waren schon mal ein guter Anfang.

Die Crew stieg aus. Schockiert sahen sie in was für einen Albtraum sie da gelandet waren. Ihr Gefangener hatte sich in Luft aufgelöst. Sie konnten mit ihrem kaputten Schiff nicht weg. Und irgendetwas ging auf der Station um und tötete alles. Und dabei hatten sie gehofft, dass ihre Pechsträhne nun endlich zu Ende sei. Aber darin hatten sie sich geirrt. Und sie sollten sich noch weitere Male irren.

Fortsetzung folgt…


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