Neugierig betrachtete sie die Zettel, die neben den Kassen im Supermarkt an der Pinnwand befestigt wurden. Es waren Warnungen. Man solle in der Umgebung keine Anhalter mitnehmen, da ein Tatverdächtiger flüchtig ist. Sie schüttelte unruhig den Kopf. Kann man heutzutage nicht einmal mehr einkaufen gehen ohne Angst zu haben, umgebracht zu werden? Nachdem sie gezahlt hatte ging sie mit ihrem Einkaufskorb eine Etage nach unten zur Tiefgarage, wo ihr verbeulter Polo auf sie wartete. Sie hatte ihren Führerschein erst seit einem Monat und ihr Wagen sah jetzt schon aus als hätte man ihn mit einem Hammer bearbeitet. Es war bereits dunkel geworden und das dunkle Parhaus wirkte bedrohlich, obwohl es hell beleuchtet war. Endlich hatte sie ihren Wagen erreicht, der mit seiner Babyblauen Lackierung nur schwer zu übersehen war. Gerade als sie erleichtert aufschließen wollte fiel ihr der graue Van auf, der neben ihrem Auto parkte. Das Schloß des ziemlich alten Wagens schien aufgebrochen worden zu sein, die Rückbank war von Planen komplett überdeckt. Gerade als sie sich wieder abwenden wollte bemerkte sie einen Fleck auf der Rückbank. Vorsichtig sah sie sich um, ehe sie die aufgebrochene Wagentüre öffnete. Hatte sie richtig gesehen? Als sie eine der Planen wegzog taumelte sie erschrocken zurück. Auf der Rückbank war ein großer Blutfleck, der noch relativ frisch aussah. Erneut drehte sie sich um. Hatte das etwas mit dem Gesuchten zu tun? Und wenn ja, was machte er hier? Sie legte kurz ihren Einkaufskorb in ihren Wagen und lief dann zum Supermarkt zurück. Im Büro könnte man ihr sicher weiterhelfen. Sie würde es ja selbst tun, doch in diesem riesigen Gebäude hatte sie keinen Empfang. Der Supermakt war ungewohnt leer, vermutlich weil es schon halb 8 war und er bald schließen würde. An der Türe des Abteilungsleiters angekommen sah sie sich abermals an und klopfte dann mehrmals, bis ein unfreundliches „Ja?“ von drinnen ertönte. Als sie die verdreckte Türe öffnete erblickte sie einen älteren Mann mit Halbglatze, der mit seiner hässlichen Krawatte und dem billigen weißen Hemd aus dem Discounter wohl wie ein richtiger Geschäftsmann aussehen wollte.
„Wie kann ich ihnen helfen?“ fragte er mit gekünstelter Freundlichkeit, als er sie erblickte. Sie starrte ihn kurz stumm an und setzte sich dann auf einen Stuhl neben der Türe zum Büro.
„Ich..ich habe in der Tiefgarage einen Wagen entdeckt dessen Türe aufgebrochen war und...“
„Gute Frau, sowas passiert hier jeden Tag. Wir haften nicht für entwendete Gegenstände. Wenn die Leute ihre Sachen im Auto lassen sind sie selber schuld!“ fuhr er ihr ungeduldig ins Wort. Sie lachte kurz eingeschüchtert.
„Nein, das meinte ich gar nicht. Ich habe einen Blick in den Wagen geworfen und...“
„Sie haben WAS? Gute Frau, sie wissen das ich sie nun eigentlich anzeigen müsste?“. Sie starrte ihn genervt an. Er schien alleine durch ihren Blick verstanden zu haben das er still sein soll. Zumindest hielt er endlich die Klappe.
„Hinten im Wagen lagen mehrere Planen. Und darunter war ein ziemlich großer Blutfleck auf dem Rücksitz. Ich habe ihre Zettel an der Pinnwand gelesen, mit der gesuchten Person und so weiter. Da dachte ich melde das ihnen mal!“. Er nickte leicht gelangweilt. Sonderlich beeindruckt wirkte er jedenfalls nicht.
„Und sie glauben der Wagen hat etwas damit zu tun? Oje, ich hab doch bald Feierabend! Können sie nicht woanders Colombo spielen?“. Sie schüttelte genervt den Kopf.
„Das war Blut, ich bin mir sicher. Und zwar nicht gerade wenig! Rufen sie die Polizei!“. Er verdrehte genervt die Augen.
„Ich mache ihnen ein Angebot. In 20 Minuten schließt der Supermarkt, dann sind nur noch ein paar Angestellte hier. Sie verstehen sicherlich das es keine gute Werbung für uns ist wenn unsere Kunden sehen das hier die Polizei ermittelt!“. Sie starrte ihn kritisch an.
„Ist das alles was sie kümmert? Na schön, dann warten sie halt noch. Aber bis dahin könnte doch der Täter schon längst weg sein!“. Er warf ihr einen genervten Blick zu und zündete sich eine Zigarette an.
„Ich glaube kaum das er hier im Markt ist. Vermutlich hat er den Wagen dort nur abgestellt um ihn loszuwerden! Sie müssen übrigens nicht warten, die Polizei kann ich durchaus auch alleine rufen!“. Sie starrte ihn fragend an.
„Natürlich muss ich warten! Die wollen doch hören wie ich überhaupt auf das alle hier gekommen bin!“. Nervös tippte der Fillialleiter auf dem Tisch herum.
„Na schön. Gehen sie sich doch unten in der Kantine einen Kaffee holen, ein paar Minuten ist dort ja noch auf!“. Sie nickte und verabschiedete sich mit einem vorsichtigen Lächeln, welches er zu ihrem Erstaunen sogar erwiderte. Ein seltsamer Kerl! Die Kantine war fast leer, nur 2 Kunden saßen noch auf einen der Plätze und unterhielten sich. Gerade als sie sich ebenfalls mit einer Tasse Kaffee setzen wollte hörte sie zwei der Angestellten am Tresen reden.
„Der Chef ist schon ein komischer Kautz! Ich wollte Heute eigentlich sein Büro saubermachen weil ich nichts mehr zu tun hatte, aber er erlaubt ja niemanden es zu betreten solange er nicht da ist! Weißt du wo er ist?“.
„Nein, Ich hab ihn Heute noch nicht gesehen. Bestimmt macht er wieder Blau!“. Irritiert starrte sie die Angestellten an. Er war doch da! Naja, bestimmt hatte ihn nur noch keiner bemerkt. Kein Wunder wenn er die ganze Zeit in diesem stickigen Büro hockt! Nach einer Weile lief sie wieder nach oben. Es war kurz nach 8, und einige der Angestellten fragten bereits, was sie hier noch zu suchen habe. Der Kerl soll endlich die Polizei anrufen! Ungeduldig hämmerte sie gegen die Türe der Büros. Keine Antwort. Hinter ihr liefen bereits einige der Angestellten nach Draußen.
„Sie wissen schon das unser Chef Heute nicht da ist? Gehen sie nach Hause, wir haben geschlossen!“. Sie wollte ihm antworten, doch es hätte wohl keinen Sinn gehabt. Langsam wurde sie nervös. Sie drückte die Türklinke nach unten. Abgeschlossen. War sie jetzt verrückt geworden? Sie hatte doch lange genug mit diesem Kerl geredet! War er einfach nach Hause gefahren? Das war es, das musste es sein! Er hatte ihr nicht geglaubt! Wütend verpasste sie der Tür einen Tritt. All die Mühe umsonst! Sie wartete, doch als nach einer Weile der Hausmeister kam und sie bat zu gehen verließ sie den Supermakt wieder. Das Parkhaus war komplett leer. Nur noch der Wagen des Hausmeisters und ihr kleiner Polo standen noch im grellen Neonlicht. Und daneben der alte Kombi, der ihr so viele Probleme bereitet hatte. Scheinbar hatte der Abteilungsleiter wieder recht. Er wurde hier nur abgestellt. Sie würde nach Hause fahren und ganz einfach von dort die Polizei verständigen. Zumindest hatte sie es versucht. Müde schaute sie auf die Uhr. Viertel nach 8. Sie suchte sich ihren Autoschlüssel aus der Tasche heraus und setzte sich in den Wagen. Nachdem sie das unheimliche Parkhaus verlassen hatte schaltete sie das Radio ein. Nachrichten, nicht gerade sehr entspannend. Sie wollte gerade den Sender wechseln als ein Bericht ihre Aufmerksamkeit bekam.
„Wie soeben gemeldet wurde hat die Polizei Stuttgart die Leiche eines 50 Jahre alten Mannes gefunden. Es handelt sich hierbei um den Leiter einer Supermaktfilliale im Zentrum der Stadt, der Heute Morgen nicht zur Arbeit erschien. Die Polizei beginnt in Kürze mit der Befragung der Angestellten. Der Tote stand seit längerem im Verdacht, Komplize in einer grausamen Mordserie zu sein, die seit mehreren Tagen die Stadt beschäftigt. Und nun zum Wetter...“. Sie schaltete mit zitternden Händen das Radio aus. Wenn der echte Abteilungsleiter tot war, mit wem sprach sie dann? Und woher hatte er die Schlüssel für das Büro? Der Tote trug sie doch sicher bei sich und...plötzlich wurde sie unruhig. War der andere der beiden Täter etwa...? Nein, das konnte nicht sein! Andererseits...er hätte ein Motiv dafür gehabt sich in das Büro zu schleichen. Wenn dieser armselige Abteilungsleiter wirklich sein Komplize war musste er sichergehen das es dort keine Beweise mehr gäbe.
Ihr Puls raste, die dunkle Landstraße wirkte auf einmal bedrohlich, obwohl sie sie beinahe jeden Tag benutzte. Doch das war lächerlich! Andererseits wäre das auch eine Erklärung für den blutverschmierten Wagen gewesen. Er war direkt nach dem Mord in den Markt gefahren. Und sie hatte das Pech gerade dann in das Büro zu kommen. Er war ein guter Schauspieler, das muss man ihm lassen. Sie beruhigte sich. Sie durfte darüber nicht weiter nachdenken. Er wusste nicht wer sie war, wie sie hieß, wo sie wohnte. Es würde nichts passieren! Gerade als sie sich wieder beruhigt hatte hörte sie ein Atmen. Ihre Finger krampften sich ans Lenkrad, wie im Reflex drückte sie auf die Bremse. Zitternd drehte sie sich um. Sie war nicht alleine. Der Wagen stand noch da als sie wegfuhr, wie konnte sie das vergessen? Er war nicht geflohen, er hatte sich auf dem Rücksitz ihres Polos versteckt. Die Beifahrertüre war defekt, das Schloß ging nicht. Jeder konnte rein oder raus. Das letzte was sie spürte war eine kalte Messerklinge. Das letzte was sie hörte eine ruhige, leise Stimme.
„Game over!“.


© Stewart McCole


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Kommentare zu "Er ist hier"

Re: Er ist hier

Autor: Oktoberkind   Datum: 18.02.2015 18:13 Uhr

Kommentar: ...Gänsehaut pur...
Ich weiß schon warum ich dunkle Parkhäuser meide...

sehr schön geschrieben

liebe Grüße

Re: Er ist hier

Autor: BlackElephant   Datum: 18.02.2015 22:28 Uhr

Kommentar: Gefällt mir richtig gut :)
Spannend geschrieben...
Hast du dich schon mal an einem Krimi versucht?

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