Irgendwo im tiefen, tiefen Tiefland, wo die tiefsten aller tiefen Gefühle lauern und schauern, da lebt das Phantom. Es hat riesige Hörner, ein gewaltiges Maul, sehr spitze Zähne und scharfe Krallen. Wer ihm zu nahe kommt, der kommt nicht mehr weg, der kann nicht mehr aus, der ist auf weiß nicht wie lange verloren, als flöge er aus Raum und Zeit.

Wenn du nachts alleine spazieren gehst dann lauert es vielleicht hinter der nächsten dunklen Ecke auf dich, um dich um dich haar- und hautlos aufzufressen – indem es zuerst deine arme Seele verspeist. Und da hilft es auch nichts, wenn du sie vorher an den Teufel verkauft haben solltest. Denn das Phantom liebt dich mehr als du selbst.

Es träumt von dir, so als seist du ein Idol für Monster seiner Art. Und wärst du auch gleich das Tapfere Schneiderlein, Schmidchen, Bäckerchen, oder auch Soldätchen, es erschlägt sieben wie dich auf einen einzigen Streich. Keiner wird mehr nach dir fragen, wenn es dich erst gefressen hat. Alle haben nämlich Angst davor ihm eines Tages selbst zu begegnen!

Schau ihm niemals ins Gesicht, sonst ergeht es dir wie Otto X, Emil Y, oder womöglich gar Hassan dem Überflieger, der normalerweise gegen alles gefeit ist. Höre nun die Geschichte eines namenlosen Opfers, eines kaum vermissten Menschen, der es gewagt hat sich in die tiefsten Tiefen der tiefsten Gefühle zu begeben…

Nennen wir es, das Opfer, einfach „O“! Es würde eh keiner wissen wollen wie es wirklich hieß, weil sonst alle große Angst bekämen. Also…O ging ganz alleine einen einsamen Pfad. Und da es von niemandem verstanden wurde, beschloss es tief in sich zu gehen, damit es sich er-gehe im Pfuhl schändlicher Leidenschaften, die nicht ausschließlich die seinen gewesen sein mussten.

O wunderte sich enorm als es die vielen, vielen, seltsamen Eindrücke wahrnahm, die es überfluteten, bekam jedoch zunächst keine Furcht vor sich selber – solange bis es vor einem Spiegel stand der es nackt zeigte. „Nackt“, wohlgemerkt nicht körperlich, sondern charakterlich. Das hatte es nirgends gelernt, das kam einfach so auf das O zu.

Was war geschehen? Auf seinem Weg, den es später noch als fatalen Irrweg bezeichnen sollte, waren ihm die Hinweisschilder, nach denen man sich zu orientieren habe, wenn man in sich geht, zu komisch vorgekommen…so, als hätte jemand ein Interesse daran es in eine Falle zu locken, es in Ketten zu legen, zu täuschen und sein Selbst zu tarnen.

Da wurde das O misstrauisch. Es blicke sich so lange nach allen Seiten um bis es plötzlich, hinter dem Blattwerk eines Buschwerks, etwas aufleuchten sah. Es näherte sich der betreffenden Stelle, schob das Laub zur Seite und erblickte einen, an einem Baumstamm oder Stammbaum angehefteten Zettel auf dem „Erkenne dich aus eigener Kraft!“ stand.

Zuerst erschrak das O empfindlich. Doch dann fasste es Mut und ergriff die Initiative: Es ging in einer völlig neuen Richtung weiter! Es rechnete damit daß es nun dunkel werde, da es sich doch vermutlich um einen verbotenen Weg handle den es da beschritt – wozu sollte der Hinweis auf diesen Weg sonst verborgen worden sein?!

Zuerst wurde es jedoch hell, dann sonnig, dann heiß, dann kam das O ins Schwitzen denn es sah überall nackte Leute herumstehen, die nichts weiter anhatten als ihren Charakter (der oft mehr als nur unansehnlich war). Dann verfiel es in Panik und schließlich hörte es hinter sich leise Schritte…die langsam, aber stetig lauter wurden.

O drehte sich nicht um. Was wäre, wenn es hinter sich etwas erblicken würde dem es nicht gewachsen war? Was wäre, wenn es ein wildes Tier, ein wilder Mensch, oder eine ganze Horde wilder Tiere oder Menschen ist, dachte es ängstlich. Dann blickte es sich doch um und rechnete damit vor lauter Angst zu erstarren…aber es kam ganz anders.

Nach vielen Stunden der Erkundung des tiefsten aller tiefen Tiefländer kam plötzlich ein ureigenes Hochgefühl in O auf, denn es glaubte die Angst überwunden und die Wahrheit erkannt zu haben. Die Wahrheit die da lautet: Ich bin auf dem richtigsten aller meiner Wege, sei das Tiefland auch noch so tief wie die tiefsten meiner Gefühle!

Von nun an schritt es entschlossener voran, je überzeugter es von sich war und es dachte schon daran den Himmel zu erstürmen, da gefror ihm das Blut in den Adern!! Die Schritte hinter ihm hatten inzwischen natürlich nicht aufgehört. Im Gegenteil – sie waren zu einem Stampfen geworden, das so laut und eindringlich war wie ein Erdbeben.

Und auf einmal waren sie nicht mehr hinter, sondern direkt vor dem armen O. Das O traute seinen Augen nicht, nachdem es schon nicht auf seine Ohren gehört hatte – und während sein Blut gefror und es zu steif geworden war um sich zu einer späten Flucht zu wenden, musste es ansehen was da vor ihm stand: Sein surreales Spiegelbild – das Phantom!

Es hatte riesige Hörner, scharfe Krallen, sehr spitze Zähne…und bei seiner Wanderung durch Zeit und Raum war das O ihm so nahe gekommen wie einst Ikarus der Sonne. Das O verglühte durch sich selbst, wurde zerfressen vom Anblick eigener Unzulänglichkeit, wobei ihm einfiel, daß es so nicht mehr weiterleben wolle.

Und die Moral von der Geschicht‘? Übe immer nur was man dir sagt, damit sich keiner mehr beklagt du seist nicht wie man dich bedarf. Nun mach dich schnell als Bombe scharf, die explodiert wie dir befohlen und gestehe unverhohlen: Ich bin nicht was ich bin, nein, nein! Ich lebe hier doch nur zum Schein und wenn wer was vom O (wie Opfer) will, dann bleib ich fügsam, brav und still!

Das Phantom

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Das Phantom"

Re: Das Phantom

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 23.01.2022 10:18 Uhr

Kommentar: Lieber Alf,
eine Geschichte mit austauschbaren Hauptdarstellern. Und irgendwo lauert auch das Monster Omikron ...
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Das Phantom

Autor: Alf Glocker   Datum: 23.01.2022 16:41 Uhr

Kommentar: ...und nach Omikron kommt Phantasielikron und dann Quatschrilikon und ann...

Liebe Grüße
Alf

Re: Das Phantom

Autor: Sonja Soller   Datum: 23.01.2022 20:10 Uhr

Kommentar: Das Phantom hat viele Gesichter!!
Mit Maske erkennt man es nicht!

Interessante Geschichte!!

Herzliche Grüße aus dem scheinlosen und unfügsamen Norden, Sonja

Re: Das Phantom

Autor: Alf Glocker   Datum: 30.01.2022 13:33 Uhr

Kommentar: Ja, Maske auf und Ma... halten
Lach! So sollen wir wohl sein!

Herz Grü aus dem maskierten Süden
Alf

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