X-Files - Das Unfassbare (Staffel 2)

Episode 3: Nachts im Zug

Ivola hatte für diese Nacht genug Spaß gehabt. Definitiv. Sie war mit ihrer Freundin in einer neuen Disko gewesen, die gar nicht so berauschend war, wie sie in der Werbung immer dargestellt wurde. Es war eigentlich viel früher als sonst, denn an anderen Samstagen waren sie manchmal bis 3.00Uhr oder 4.00Uhr nachts unterwegs. Diesmal mussten sie aber noch den Zug nach Hause erwischen, weil sie kein Auto zur Verfügung hatten. Ihre Freundin Maria war ziemlich betrunken und Ivola war froh, als sie endlich im Zug saßen. Dies war der letzte Zug, der samstags hier in dieser Gegend fuhr und den hatten sie unbedingt bekommen müssen. Maria hing ganz schön in den Seilen. Zum Glück holte sie jemand am Zielbahnhof ab und brachte Maria nach Hause. Es war schwer genug, sie hier im Zug unter Kontrolle zu halten. Als beide endlich saßen und der Zug losfuhr, ahnten sie noch nicht, was ihnen in dieser Nacht widerfahren würde.

Nur 2 Stationen weiter, kam ein Mann mit einem Koffer in ihr Abteil und setzte sich zwei Reihen von ihnen entfernt in einen Viersitzer. Maria hatte ihn in ihrem Rausch auch bemerkt und faselte irgendeinen Mist durcheinander, den nur niemand verstand. Große Reden würde Maria in dieser Nacht wohl keine mehr schwingen, aber sie wiederholt immer wieder, dass sie diesen Mann kenne. Er sei bekannt. Er fährt den ganzen Tag mit dem Zug. Ivola gab natürlich nichts auf ihre Geschichten, weil sie kaum noch gerade Sätze herausbekam, aber Betrunkene sagen ja oft die Wahrheit und so war es hier leider auch.

Dieser Mann war allseits bekannt. Er hatte nicht nur studiert, sondern auch als Professor an einer Universität gearbeitet. Maria erzählte dies alles so real, dass Ivola irgendwann annehmen musste, dass es stimmte. Maria wirkte auch mittlerweile etwas nüchterner, auch wenn sie immer wieder auf den Mann zeigte, der dies zum Glück nicht sehen konnte, weil er auch mit dem Rücken zu ihnen saß. Maria versuchte immer wieder annehmbare Sätze zu formen und erzählte, dass man ihn an der Universität rausgeworfen habe, weil er an mehrere Studentinnen gegangen sei. Er habe sie angeblich betatscht. Woher Maria das alles wusste, war Ivola zwar nicht klar, aber sie glaubte ihr die Geschichte mittlerweile. Er war ein hohes Tier an der Universität gewesen und ist niemand darüber hinweg gekommen, dass man IHN entlassen hatte. Seitdem fand er keine Anstellung mehr. An keiner Uni. Seine Frau sei kurz darauf auch gestorben und er verbringt seitdem jeden Tag damit, diese Strecke den ganzen Tag hin und zurück zu fahren. Teilweise 8 Stunden am Tag. Und immer quatscht er fremde Passanten an und erzählt ihnen, er würde angeblich noch an der Uni arbeiten. Wenn dies so war, wunderte sich Ivola allerdings sehr darüber, dass er jetzt so leise war. Er gab keinen Mucks von sich. Er starrte scheinbar nur diesen Koffer an, den er bei sich trug. Darin stecke der Kopf seiner Frau. Und sie rede auch regelmäßig durch diesen Koffer noch mit ihm. So hatte Maria es gehört. Doch das wurde Ivola dann doch ein Stück zu gruselig und sie hatte auch definitiv genug gehört. Als Maria wenige Minuten später darum bat, dass Ivola sie zur Toilette bringen würde, war Ivola heilfroh, dass sie endlich aufhörte, über diesen verrückten Mann zu sprechen. Schlimm genug, dass er nachts in ihrem Zug saß. Wenn er hörte, dass sie über ihn redeten, dann würde er vermutlich noch handgreiflich werden. Also brachte Ivola ihre Freundin zur Toilette und wartete davor auf sie. Als sie mehrmals auf und ab ging, bemerkte sie plötzlich, dass der Mann angefangen hatte mit jemandem zu reden. Saß dort noch jemand? Soviel sie mitbekommen hatte, war niemand mehr in diesem Abteil außer ihnen. Mit wem redete er denn? Erst wollte sie ja an die Toilettentür klopfen und Maria darum bitten, schnell rauszukommen, aber das ließ sie dann doch lieber bleiben. Sie ging ein wenig in Richtung ihres Platzes und versuchte zu erkennen, was dieser Mann dort trieb. Er saß immer noch am gleichen Fleck. Aber er redete. So wie sie das einschätzen konnte, mit sich selbst.

Doch dann sah sie, dass der Koffer geöffnet worden war. An die bescheuerten Geschichten von Maria wollte sie gar nicht erst denken. Es war ja auch nur noch 2 Stationen, bis sie endlich aussteigen konnten. Vielleicht noch 10 Minuten oder ein paar mehr. Wenn sie sein Gerede einfach ignorieren würde, dann würde schon sicherlich nichts geschehen. Er sprach von Liebe und einem gebrochenen Herzen. Man hätte wirklich annehmen können, dass er mit einer Frau sprach. Vielleicht hatte er ja ein Handy am Ohr? Das war die sinnvollste Erklärung und so musste es auch sein. Ivola ging wieder zurück zur Toilette und horschte, ob es Maria noch gut ging. Ihr ging es blendend, auch wenn sie noch ne Minute brauchte. Als sich Ivola allerdings wieder zu ihrem Platz drehte, traute sie ihren Augen nicht. Der Mann saß auf Ivolas Platz, starrte ins Leere und redete mit dem Koffer. Als sie das sah, klopfte sie an die Tür der Toilette und bat Maria sofort nach draußen zu kommen. Jetzt hatte sie wirklich Angst vor diesem Kerl. Er wirkte wie betäubt und gar nicht mehr anwesend. Wie in Trance. So klang ein Mönch, der ein Gebet aufsagte. Er sprach ganz monoton. Wieder klopfte Ivola an die Tür, doch Maria öffnete sie nicht. Jetzt gab sie auch keinen Mucks mehr von sich. "Mach auf Maria! Was ist los da drin? Gehts dir gut?". Doch Maria war verstummt. Sie sagte nichts mehr. Was war da drin passiert? Hatte sie sich übergeben? War sie ohnmächtig geworden? Und während sie sich das fragte, bemerkte sie nicht, dass der Mann ihr immer näher kam. Als sie wieder zum Platz schaute, stand er bereits im Flur zur Toilette und starrte sie an. Ivola erschrak und wisch ein Stück zurück. Als sie nach unten zum Koffer schaute, den er auf dem Boden abgelegt hatte, hätte man meinen können, dass etwas daraus hervorkam. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie es wirklich für einen Kopf gehalten. Doch das tat sie wahrscheinlich nur, weil sie diese dämlichen Geschichten von Maria gehört hatte. Sie hätte schreien wollen und das tat sie dann auch, als plötzlich eine Lache Blut am Boden aus der Toilettetür geflossen kam. "MARIA! MARIA!", schrie Ivola und versuchte, die Tür mit Gewalt zu öffnen. Sie war verletzt! Sie war verletzt! "MACH AUF! LOS! AUFMACHEN! MARIA!". Doch alles Schreien half nichts. Und doch bekam sie plötzlich Antwort von ihr und war zunächst erleichtert. Doch ihre Stimme kam nicht aus der Toilette. Ivola schaute voller Angst ein letztes Mal zu dem verrückten Kerl, der immer noch abseits im Flur stand und schaute in den Koffer, der sich wie von Geisterhand um 180 Grad zu ihr gedreht hatte. Was sie dort sah, versetzte sie in einen Schockzustand und an nichts, was danach geschehen war, konnte sie sich jemals wieder erinnern. Doch eins hatte sich bei ihr eingebrannt. Marias Kopf lag sprechend in dem Koffer des alten Mannes und schaute sie traurig an. Und am nächsten Tag fand die Polizei ihre Leiche in der Toilette. Ohne Kopf. Als man den Koffer des alten Mannes untersuchte, fand man rein gar nichts darin. Auch in seiner Wohnung konnten keine Hinweise auf ein Verbrechen gefunden werden. Wie Maria umgekommen war, ist bis heute unklar. Ob Ivola vielleicht unter Drogen stand und sich Dinge eingebildet hatte, ließ sich nicht ganz ausschließen. Jeder hätte ihr etwas in den Drink mixen können. Doch man fand keine Reste von Drogen in ihrem Blut. Dafür aber allerlei Blut an ihren Schuhen.

Seralgo Refenoir


© Seralgo Refenoir


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Kommentare zu "X-Files - Das Unfassbare (Staffel 2, Episode 3/13)"

Re: X-Files - Das Unfassbare (Staffel 2, Episode 3/13)

Autor: possum   Datum: 05.12.2014 21:26 Uhr

Kommentar: Danke dir für die Zeilen lieber Seralgo! LG!

Re: X-Files - Das Unfassbare (Staffel 2, Episode 3/13)

Autor: axel c. englert   Datum: 05.12.2014 21:54 Uhr

Kommentar: Lieber Seralgo!

Schließe gern mich Possum an!
Die Serie schlägt mich stets in Bann!

LG Axel

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