Episode 15: Drei Welten brechen zusammen

Als Zip an diesem Abend in Gabrielles Büro gerannt kam, war sie kreidebleich. Sie hatte soeben den Hörer aufgelegt und keine guten Nachrichten erhalten. Weder für sie noch für Zip. Wie sie das Zip beibringen sollte, wusste sie noch nicht. Und Zip wusste nicht, wie er Gabrielle beibringen sollte, dass ihr Personal bereits anderweitig angemeldet war und Werbung für ein neues Bordell machte. Das würde Gabrielle nicht so leicht wegstecken. Er würde ihr die Zeitung geben und einfach gar nichts dazu sagen. Das wäre wohl das Beste. Als er das Büro betrat, sah er ihr bereits an, dass es ihr nicht gut ging. Das lag nicht an den Tritten des Babys, sondern an viel schlimmeren Nachrichten. Gabrielle schaute ihn und er schaute zurück. Dies war ein Bild für die Ewigkeit, denn was hatten diese Beiden nicht alles schon erlebt. Sie waren durch alle Tiefs der Welt gegangen und dieser Moment würde sich nahtlos daran anschließen. Dachte Zip. Doch auch er würde gleich in einem Loch versinken, aus dem er hoffentlich irgendwann wieder rausfand. Wer sollte anfangen? Sie hatten sich beide was zu sagen, aber sie würden sich gegenseitig damit verletzten, soviel stand fest. Zip schloss hinter sich die Tür ab, um zu verhindern, dass jemand hinein kam und Verdacht schöpfte. „Gabrielle ich muss mit dir reden! Ich wäre nicht gekommen, wenn es nicht wirklich wichtig ist! Lies dir das hier mal durch!“. Gabrielle schaute auf den Artikel, den ihr Zip auf den Schreibtisch legte und las ihn in Ruhe durch. „Reg dich bitte nicht auf! Wir werden das schon schaffen! Wir müssen genau überlegen, was wir jetzt machen!“. Doch für Gabrielle brach grad eine Welt zusammen. Ihre Freunde lächelten sie auf der Titelseite an und bewarben ein Bordell, von dem sie nicht mal etwas wusste. Sie hatte nicht einen Moment bemerkt, dass sie beschlossen hatten, zu gehen. Alle wollten sie gehen und das schon lange. Dies musste seit Wochen geplant sein. Gabrielles Herz zerbrach erneut. Ihre Freunde hatten sie alle verraten und im Stich gelassen. Mit einem Wurf landete der Artikel im Müll. „Nun gut!“, begann sie. „Dann können wir ab morgen ja schließen! Ich denke der Laden ist damit offiziell am Ende!“.

Zip schaute sie lange an und er spürte im Raum, wie sehr sie verletzt war. „Dass ich nicht die beste Chefin der Welt bin war mir klar! Mir war auch klar, dass meine Stimmung in letzter Zeit schwankte, aber dass ich so ein Ungeheuer bin, dass man sich heimlich aus dem Betrieb schleicht und es nach so vielen Jahren der Freundschaft nicht mal fertig bringt, etwas zu sagen oder mit mir darüber zu reden ist ja wohl..“. Und in diesem Moment brach sie in Tränen aus und der ganze Schmerz der letzten Wochen kam in ihr hoch. Zip kniete sich neben sie und nahm Gabrielle in den Arm. Lange hielt er sie so gedrückt und trotzdem konnte sich Gabrielle nicht beruhigen. Sie war unbeschreiblich verletzt. Dass ihre Freunde ihr dies antaten, konnte sie nicht verstehen. „Wir schließen am Montag! Ich suche mir einen anderen Job und dann schauen wir, dass du wieder gesund wirst Zip!“. Doch der sagte nichts und hielt sie nur im Arm. Gabrielle hatte in diesem Schockmoment vergessen, dass auch sie noch etwas zu beichten hatte, dass Zip wohl völlig aus der Bahn werfen würde. So sehr sie sich an ihn gewöhnt hatte und wie sehr er sich auch bemühte, aber Zips Herz würde heute auch noch brechen. Das wusste sie. Und das tat ihr unheimlich leid. „Ich muss auch noch etwas mit dir bereden! Ich habe eben einen Anruf bekommen!“. Zip schaute sie an und küsste ihr auf die Wange. „Nur zu! Erzähl schon! Nichts kann schlimmer sein als das!“, sagte er und zeigte auf den Artikel. „Doch Zip! Dieser Artikel nimmt eine große Last von mir, denn ich war sowieso überfordert hier! Dann machen wir eben dicht und ich suche mir was Anderes! Das hat mich verletzt und geschockt, aber der Anruf war schlimmer! Es geht um das Baby!". Zip ahnte nichts Gutes. Jetzt hatte er sich so bemüht. Er hatte sich so sehr auf das Kind gefreut und nun war es eventuell krank, behindert oder sogar schon tot? „Was ist mit dem Baby?“. Gabrielle begann wieder zu weinen, doch sie wusste, dass es raus musste und sie höchstens noch ein paar Sekunden gewann, bis sie es ihm doch sagen musste. Armer Zip.

Mit dem Baby hatte er einen Neuanfang gesehen und gehofft, dass sich sein Leben zum Besseren wenden würde. Er hatte die Chance am Schopf gepackt und versucht sich zu ändern. Er war so glücklich, dass er Vater wurde und endlich einen eigenen Sohn oder eine eigene Tochter bekam. Das hatte er sich doch immer gewünscht. Unter den besten Umständen war es zwar nicht gerade entstanden, aber das lag nun weit in der Ferne. Jetzt war es wichtig, dass es gesund war. „Nein es ist nicht krank und kommt auch nicht mit einer Behinderung auf die Welt! Es ist kerngesund!“. Zip war erleichtert. Na und nun? Jetzt konnte ihn eigentlich nichts mehr schocken. „Ja und?“, fragte er. Gabrielles Gesicht wurde weiß. Da klingelte plötzlich das Telefon. „Lass es klingen, sag mir, was mit dem Baby ist!“, sagte Zip energisch. Gabrielle wollte drangehen, um noch ein wenig Zeit zu gewinnen, aber sie tat es nicht. „Das Baby ist nicht von dir! Du bist nicht der Vater Zip! Es tut mir leid!“. Zip erhob sich und stellte sich erschrocken vor Gabrielle. Einige Sekunden sagte er nichts und schaute sie an. Sie schaute erst in tote und dann in wutverzerrte Augen. „WIE KANN DAS SEIN?“, schrie er sie an und verlor total die Kontrolle. „Du miese Schlampe! Mit wem hast du denn noch gefickt? Komm sag es mir! Komm los! Komm rück raus, wer ist es? Von wem ist das Kind?“. Gabrielle agierte nur noch wie ein Roboter, denn sie war innerlich womöglich soeben gestorben. Und wieder klingelte das Telefon. Für Zip war eine Welt zusammen gebrochen. Er konnte es nicht fassen. Er wurde nicht Vater und das Kind war nicht Seins. „Du hast mich die ganze Zeit angelogen du Hure! Hätte ich mir ja denken können, dass du so wirst! Unter so vielen Huren wird man selbst zu einer! Dann noch diese Domina im Haus, die dir wahrscheinlich noch jede Menge Schweinereien ins Ohr geflüstert hat! NUN SAG ES MIR SCHON! WER IST DER VATER?“. Gabrielle hob den Hörer ab und meldete sich mit ihrem Namen. Und dann wurde das weiße Gesicht zu einem toten Gesicht. Zip war immer noch stinksauer, doch er hielt ganz kurz inne, denn er las von ihrem Gesicht, dass soeben noch eine weitere Welt zusammen gebrochen war. Und diesmal brach für sie beide gemeinsam eine Welt zusammen. Ohne ein Wort am Hörer gesagt zu haben, legte sie wieder auf.

„Das Kind ist von James!“, sagte sie leise und schaute Zip dabei nicht in die Augen. Sie war schwanger von James, dem Mann, den sie durch einen schlimmen Unfall verloren hatte. Deswegen trat das Kind wohl auch nach ihr, da es wusste, wer seinen Papa auf dem Gewissen hatte. Zip konnte das nicht fassen. Er hatte nicht mal gewusst, dass sie mit James je so weit gegangen war. Doch selbst diese Nachricht war für Zip leicht zu verkraften, wenn er wüsste, wer am Telefon mit Gabrielle gesprochen hatte. „Wer war am Telefon Gabrielle?“. Sie schaute ihn lange an und sagte nichts. Es dauerte eine ganze Weile, in der beide nichts mehr sagten. Doch dann sagte sie es. Ganz leise und still. Ganz gelassen, wie in Trance. „Ich habe soeben mit meinem Ehemann gesprochen Zip! Er ist noch am Leben und er wird uns umbringen!“.

Fortsetzung Folgt mit Episode 16 in Kürze!

Seralgo Refenoir

Anhang: Zu dieser Geschichte gibt es auch einen neuen Blogeintrag! Wer Lust hat, kann ihn sich durchlesen. Staffel 2 endet am 19.Juli pünktlich zu meinem dreimonatigen Bestehen!


© Seralgo Refenoir


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