?Guten Morgen Lord Furtheringham?, sage der Diener in der gestreiften Weste steif, ?wie gedenken der Lord heute Morgen den Tee zu nehmen??

?Oh, guten Morgen Williams, äh, tja, das habe ich mir noch gar nicht überlegt, ich trinke doch sonst nur Kaffee?. Der Adelige schien ein wenig zerstreut und verwirrt, entschied sich dann aber für Milch und Zucker in den Tee.

Williams räusperte sich merklich, als er den Lord später beim Zeitunglesen in der Bibliothek sah: ?Aber Lord Furtheringham, sie lesen doch sonst nur die Times!?

?Aber ja, natürlich, ich lesen ja sonst nur die Times, oh je oh je, Macht der Gewohnheit?, lachte er und legte die Sun beiseite. Ihm war heute nicht sehr wohl in seiner Haut. Diese teuren Kamelhaarpantoffeln und der Kaschmirschal waren gar nicht nach seinem Gusto. Ausserdem war er um diese Zeit gewöhnlich in der Küche, bei Anne, dem Dienstmädchen und der Köchin, auf einen Schwatz und ein Tässchen Kaffee.

Aber heute war alles anders.

Auch Williams schien sich in seinen engen, schwarzen Schuhen nicht ganz wohl zu fühlen: Das war ja die Hölle, wie konnte jemand in solchen Schuhen nur gehen, geschweige denn arbeiten!

Ausserdem hatte er extrem Mühe mit den förmlichen, schneeweissen Handschuhen, wie konnte ein zeitgemässer Mensch von einem Angestellten so eine Schikane verlangen!

Lord Furtheringham währenddessen spazierte gerade durch den wunderschönen Park des Manor Hauses. Seine beiden Doggen wollten ihm so ganz und gar nicht parieren. Xerxes, der grössere der beiden knurrt ihn geradezu feindselig an während der andere, Darius, mehr als einmal einen Versuch startete sich von der Leine zu reissen. Der Lord seufzte. Was für ein Tag!

Beim Mittagessen in der Küche herrschte peinliches Schweigen. Williams ass mit dem ganzen übrigen Personal, will heissen Fahrer, Gärtner, Köchin und Dienstmagd am gleichen Tisch. Niemand wollte sich direkt neben ihn setzen, er hatte es natürlich bemerkt, nur der Gärtner zeigte sich nicht ganz so unnahbar und sprach sogar zwei drei Sätze mit ihm über die neue Rosensorte die bald blühen würde.

Als er nach den Salzkartoffeln fragte, sprangen drei Leute gleichzeitig auf, um sie ihm zu reichen. Eine komische, sehr gespannte Stimmung herrschte im Raum. Williams kam die Küche regelrecht altmodisch vor, es fiel ihm spontan auf, da waren ein paar Änderungen und Modernisierungen dringend nötig.

Lord Furtheringham lunchte ganz alleine an der riesengrossen Tafel im Speisesaal. Seine Gemüsesuppe ass er aus einem kostbaren, weissen Porzellanteller. Der Löffel aus purem Silber war blitzblank geputzt. Wohl war ihm dabei nicht. Er fühlte sich ein wenig einsam in dem grossen Raum, der in kühlen Blautönen gehalten war. An den Wänden hingen all die Furtheringhamschen Vorfahren. Lords und Ladys, Erwachsene und Kinder. Alle mit grossen, blauen Glubschaugen, sommersprossig, mit schmalen, langen Nasen und hellem Haar. Die Männer meist mit korrekt gezogenem Scheitel und einem dünnen Lippenbärtchen.

Leise kam Williams herein um abzuräumen. ?Nanu, Mylord, sie haben ja überhaupt nichts gegessen! Haben sie denn keinen Appetit?? Er lud das wertvolle Geschirr umständlich auf sein Tablett um es unter viel Gewackel aus dem Raum zu balancieren.

Am späten Nachmittag war Williams fix und fertig, er hätte nie gedacht, dass dieses bisschen Arbeit ihn so herausfordern könnte, aber in der Tat, es war so. Ausser dem zerbrochenen Porzellan hatte er auch noch ein edles, ungarisches Kristallglas zerbrochen. Die Köchin sagte zwar nichts, er konnte aber ihren vorwurfsvollen Blick im Rücken spüren.

Lord Furtheringham sehnte sich nach seinem Stamm-Pub, in dem er um diese Abendstunde gewöhnlich sein Lagerbier zu sich nahm. Nervös lief er im Raucherzimmer auf und ab, ohne dabei zu rauchen, denn die teueren Zigarren sagten ihm nicht wirklich zu.

Die Türe öffnete sich und ein müde wirkender Williams trat ein wenig gebückt in den Raum.

?War ganz reizvoll, unser Rollentausch, was meinen Sie?? sagte der Butler, der sich jetzt seiner unbequemen Montur entledigte um wieder in die Haut des echten Lord Furtheringham zu schlüpfen. ?Hihi, das Personal war ganz schön schockiert! Habe mich köstlich amüsiert aber auch einiges gelernt. Und Williams, lassen sie doch bitte in Zukunft diese grässlichen, weissen Handschuhe weg und kaufen sie sich ein paar bequeme Schuhe, ich geben Ihnen Geld dafür.

?Danke Sir, sehr grosszügig von Ihnen. Ja, das war ein aufregender Tag, die Hunde haben mich fast zerfleischt, sagte der echte Williams da zum Lord, ?und wenn ich ganz ehrlich sein soll, Mylord, ich bin ganz froh, dass Sie der Lord sind, und nicht ich. Dann lächelten sich die beiden älteren Männer an und schüttelten sich amüsiert die Hände.

?Ach und Williams, schicken sie doch morgen früh gleich die Köchin zu mir, ich muss da ein paar Dinge mit ihr besprechen?, meint der Lord freundlich. Und jetzt trinken wir ein Glas Sherry zusammen, danach lasse ich sie gehen, sie haben doch sicher noch etwas vor.?

Und wäre an diesem Abend ein Beobachter im Raum gewesen, dann hätte dieser sicher feststellen können, dass zwischen den beiden unterschiedlichen Männern eine Art von Vertrautheit und Freundschaft bestand, die wohl schon ein paar Jahrzehnte andauerte.


© Daniela Affolter-Mangold


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