Der Tod meiner Mutter holte mich nunmehr, trotz aller schönen Ablenkungen ein...denn ich musste mein Elternhaus verkaufen: der lebensuntüchtige Troll war mit einer Aufgabe betraut, deren Ausführung ihm keiner zutraute, aber es blieb ihm nichts anderes übrig.
Schweren Herzens fing ich an es ausräumen zu lassen und selbst auszuräumen. Überall kamen mir die Erinnerungen an meine Kindheit, Jugend und den größten Teil meines Erwachsensein entgegen, denn ich hatte meine Mutter ja immer wieder besucht.
Dabei suchte ich auch mein altes Jugendzimmer auf. Es hatte sich inzwischen in einen Lagerraum entwickelt, in dem meine Mutter ihre ganzen alten Sachen stapelte.

Mein Bett stand immer noch im Zimmer. Benutzen durfte ich es allerdings nicht, denn meine Mutter sah es nicht gerne wenn ich mich länger dort aufhielt. Sie sah mich lieber gehen als kommen, wollte jedoch trotzdem immer wieder mal wissen wie es mir geht, ob ich schon gescheitert war oder nicht. Das war natürlich ihre größte Sorge, denn eines wusste sie ganz genau: Trolle können einfach nichts taugen, sie sind zu allem unfähig! Und sie hatte Angst in ihren späten Jahren nicht noch für mich aufkommen zu müssen.

Wunderle sah eine Chance auf sich zukommen endlich ihre intellektuelle Überlegenheit mir gegenüber unter Beweis stellen zu können, denn auch sie war felsenfest davon überzeugt, daß ich die nun auf mich zukommenden Vorgänge niemals würde durchblicken, oder gar meistern können.
Trotz ihrer großen Furcht vor meinem Versagen bot sie sich jedoch an mir hilfreich zur Seite stehen zu wollen, denn ohne sie, die geübte Finanz-Fachfrau, würde ich sicher nicht weit kommen. Das bedeutete, daß sie sich zuallererst einmal daran machte, geeignete Wohnungen für uns auf dem Wohnungsmarkt ausfindig zu machen, in die wir mein Geld stecken konnten.

Zum Glück überließ mir meine Schwester die Initiative in Sachen Hausverkauf. Damals war das Grundstück – nach Auskunft eines Bank-Sachverständigen – ca.145 Euro wert. Der große Run auf Grund und Boden, sowie Wohnung und Obdach hatte noch nicht begonnen. Er stand zwar kurz bevor, aber das wusste noch keiner...außer mir natürlich.
Jahrzehntelang hatten wir anderer Leute Eigentum bewohnt und ihnen mit unseren Mietzahlungen den Kauf weiterer Häuser finanziert. Davon hatte ich endlich genug! Ich wollte nicht mehr, daß uns unser Heim immer wieder unter dem Hintern weg verkauft wurde. Auf diese Weise hatten wir dreimal umziehen müssen!

Also befahl ich nun geradezu Wunderle sich nach geeigneten Objekten umzuschauen, die wir endlich auf „immer und ewig“ bewohnen durften. Sie sah es ausnahmsweise ein und durchforstete den Wohnungsmarkt...
Ich empfing mehrere Interessenten für das Elternhaus. Eine Roma-Abordnung tanzte an – ein schlauer Verhandler und und sein gefährlich aussehender Bodyguard. Sie boten mir an 100 000 Eier sofort in Bar zu bezahlen wenn ich ihnen den Grund und die baufällige Hütte (die nichts mehr wert war) auf der Stelle (sozusagen) überließ. Die Leute waren mir nicht einmal unsympathisch, aber der Betrag erschien mir dann doch zu gering. Ich hatte ja noch meine Schwester auszuzahlen. Das durfte ich nicht vergessen. Und selbst brauchte ich für den Erwerb eines Eigenheims doch auch noch ein bisschen Geld.

Die Roma (oder sollten es Sinti gewesen sein?) zogen nicht eben begeistert wieder ab und ein neuer Interessent trat an mich heran. Er bot 115 000 Euro für alles. Er könne leider nicht mehr bezahlen meinte er sachlich, da ihn die Wiederinstandsetzung des maroden Gebäudes eine ganz Stange Geld kosten würde. Ich verstand ihn und lehnte ab.
Der Nächste stellte sich als Türke heraus, was ich, dank oder undank seines europäischen Aussehens nicht sofort feststellen konnte. Er sprach akzentfreies Deutsch. Auch er bot 115 000 Euro, aber ich konnte mich mit ihm auf 125 000.- einigen. Bevor er einschlug dachte er noch lange nach und mir wurde dabei etwas mulmig, da mir kein Trick einfiel mit dem er noch etwas für sich herausschlagen könnte...

Zur selben Zeit war es mir vergönnt Schnatterata noch einmal zu treffen. Es teilte mir ihre neuesten Überlegungen mit. Offensichtlich hatte sie jetzt begriffen, daß sie nun, wo ihre atemberaubenden Kurven gut genährt und deutlich sichtbar prangten, etwas mehr für ihre Dienste als Model verlangen dürfe. Ich konnte nichts anderes als ihr recht geben, denn wie sollte ich bestreiten daß sie ein sexy Hit war?!
„Wir werden uns in Zukunft nicht mehr so oft sehen“, gab sie von sich, denn ich bin deinem Rat gefolgt und habe mit an Mr.X gewandt, der mich sofort engagierte. Tatsächlich hatte ich ihr geraten sich an den bewussten Herrn zu wenden, von dem ich wusste, daß er einerseits über die geeignete Barschaft verfügte und andererseits menschlich unbedenklich war.

Ich beglückwünschte sie, mich gleichzeitig im Geiste wegen meines freundschaftlichen Rates ohrfeigend, denn die Abende mit ihr waren doch auch sehr nett gewesen. Sie war mir fast wie eine Tochter und nahezu wie eine unerreichbare Geliebte gewesen. Dabei beschlich mich eine seltsame Vorahnung: Sie würde irgendwann auch beinahe meine Frau werden wollen – ich aber würde sie mir dann nicht mehr zu Gemüte führen können. Kurios!

Schweren Herzens ließ ich Es gehen und befasst mich statt ihrer eingehend mit dem anstehenden Wohnungswechsel...
Wunderle hatte indessen mehrere schöne Objekte entdeckt, die zum Verkauf standen. Ein höchst attraktives befand sich auf einem sogenannten Erbbaugrund – will heißen: man konnte zwar das Haus erwerben, konnte sich aber nicht sicher sein, daß einem der Grund nicht eines Tages einfach streitig gemacht werden würde.
Der Verkäufer beschwichtigte uns selbstsicher: „Da brauchen sie keine Angst zu haben, das wird wohl erst in 10 Jahren neu berechnet, oder entschieden werden was mit dem Grund passiert!“

Ich horchte auf! „Und wenn der Staat in 10 Jahren den Grund verkauft – was dann?!“ „Sind sie immer so pessimistisch?“, fragte der Verkäufer zurück, das hat er in der Vergangenheit doch noch nie getan“. Da meldete sich der Troll in mir zu Wort und sagte entschlossen aus meinem Mund: „Diesmal wird es es tun!“ Natürlich stellte sich 10 Jahre später heraus, daß mein Troll, also ich, recht hatte. Der Staat verkaufte den Erbbaugrund meistbietend...um einen Betrag den wir nie und nimmer hätten bezahlen können. Wir wären also wieder ohne eigenes Obdach dagestanden.

Wunderle suchte weiter und weiter...
Nach mehreren hoffnungsvollen Versuchen entdeckte sie eine aus meiner Sicht wunderschöne Wohnung, in einer Gegend in die ich schon als kleiner Junge einmal ziehen wollte. Wir fuhren hin und nahmen sie in Augenschein.
Es war die einzige Wohnung bisher gewesen, die einen nicht zu kleinen Garten hatte, der nach Westen hinausging. Im Süden hatte sie eine eigene Einfahrt mit Stellplatz für ein Auto. Ich sagte sofort zu und achtete nicht auf Wunderles Einwände. Sie hatte ein wenig Angst vor einem Garten, da weder sie noch ihre Eltern je einen gehabt hatten. Dann lud sie einen ihrer Brüder, den Ingenieur Matsoh ein meinen Einkauf zu beurteilen. Der war richtiggehend entsetzt!

„Warum wartet ihr denn nicht noch ein paar Jahre, bis sich etwas Besseres findet? Hier müsst ihr doch einiges richten und instandsetzen!“
Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß der nicht zu kleine Garten, außer einem alten Baumbestand, sogar eine große 7 m lange und 3 m breite Hütte beherbergte, die ich, nach ausgiebiger Instandsetzung, als Arbeitszimmer, als Garten-Atelier nützen könne. „Außerdem“, so argumentierte ich überzeugt, „hat die Wohnung einen fast 10 Meter langen Balkon, der verglast ist!“
„Na und?! Konterte der Herr Schwager, „verglast oder nicht, der ist im Winter saukalt!“
Ich hingegen warf ein: „Ich werde ihn isolieren, dann ist es ein Wintergarten!“
„Macht was ihr wollt!“ meinte Matsoh resignierend und Wunderle schaute traurig in eine ihr wohl nicht ganz passende Zukunft hinein!

Ich hatte ausgesucht, ich hatte bestimmt! Das waren ja ganz neue Methoden... Wie würde es denn da weitergehen? Sie würde auf irgendeine Weise (quasi modo) eingreifen müssen. Und ich war mir sicher sie würde sich etwas Unpassendes einfallen lassen.
Vorher aber kamen noch andere Schwierigkeiten auf uns zu: denn auch der Käufer der Immobilie hatte sich etwas einfallen lassen...
Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, als wir praktisch in der Luft hingen, erfolgte sein vernichtender Schachzug...

Bereits eine Woche zuvor – wir lebten noch in zwei Wohnungen – hatte ich bei einem Gespräch mit unseren Freunden Schlaudia, Nanana, Guntram und Senfjo „falsch“ reagiert. Die Freunde erkundigten sich bei mir, ob ich denn jetzt zufrieden sei, wo ich praktisch die Skepsis meiner holden Gattin ignoriert hatte – und ich antwortete mit: „Noch nicht ganz“.
Zum wiederholten Male musste ich mir vorwerfen lassen ich sei ein alles negierender Pessimist, den man gar nicht zufriedenstellen konnte. Ich hätte doch jetzt was ich wollte! Ich aber blieb stur bei meinen Bedenken und sagte nur: „Arglistige Täuschung!“
Zu hören bekam ich: „Wer, was, wo denn? Du wirst doch jetzt nicht auch noch Vorurteile haben?!“

Das konnte ich einwandfrei verneinen, gab aber zu bedenken, daß mein Kaufvertragspartner bedenklich lange „nachgedacht“ hatte bevor er zusagte. „Was du immer siehst, oder zu sehen glaubst“, bekam ich da zu hören. Doch ich blieb dabei, daß wir in Gefahr seien.
Und richtig – die Quittung für meine Naivität mit den falschen Leuten ehrlichen Handel treiben zu wollen bekam ich umgehend zugestellt. Es handelte sich um ein Schreiben vom Gericht, daß ich jemanden betrogen hätte!
Der mir zuerst sympathisch erscheinende Türke hatte mich wegen „Arglistiger Täuschung“ angezeigt, da er von mir ein Haus gekauft habe das nicht wie angegeben 1967, sondern 1898 erbaut worden sei. Den Beweis dafür halte er in Händen: Es handelte sich dabei um eine Versicherungspolice für das Haus, die ich ihm aus Gefälligkeit überlassen hatte, damit er sie einfach weiterlaufen lassen konnte. Diese Variante war kostengünstiger als eine Neue Versicherung anschließen zu müssen.

Darin wurde natürlich das ursprüngliche Datum der Fertigstellung des Gebäudes erwähnt, nicht aber dessen Grundrenovierung, bei der alle Mauern des alten Hauses abgerissen worden waren, nachdem man um sie herum neue hochgezogen hatte. Der Türke erkannte jedoch sofort seine Chance und forderte von mir 80 000 Euro zurück. Damit wäre ich obdachlos gewesen, denn eine derartig hohe Rückzahlung wäre für mich, für uns, ganz unmöglich gewesen!
Ich wunderte mich über das gerichtliche Schreiben, da im Kaufvertrag ausdrücklich erwähnt worden war, daß es sich um einen Grundstückskauf mit Haus, nicht um einen Hauskauf mit Grundstück handelte.
Da der Käufer jedoch mir gegenüber als „sozial unterlegen“ dargestellt wurde musste die Sache zur Verhandlung kommen.

Und jetzt wurde klar, wie intelligent der Käufer von Anfang an gewesen war. 80 000 Euro von mir zurückerstattet zu bekommen war selbstverständlich absolut utopisch, aber 10 000 musste ich ihm schon geben – so befand das Gericht, und erklärte zusätzlich: „Sie können natürlich in Berufung gehen, wo sie zweifellos recht bekommen werden, aber dann werden die Gerichtskosten für sie so hoch ausfallen, daß es aufs Gleiche herauskommt!“

Ich verstand gar nichts mehr, war aber froh, nicht auf der Straße gelandet zu sein...und außerdem erwies sich wieder einmal, daß ich als Troll doch im Voraus gewusst hatte, halbwegs heil aus der Sache herauszukommen...denn meine Schwester übernahm die Rückzahlung großzügigerweise!
Soweit so gut? Wie man's nimmt, denn nun bereiteten sich neue Fallen darauf vor von mir entjungfert zu werden, denn auch Wunderle hatte ihr ganz eigenen Pläne.

Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47

© Alf Glocker


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Kommentare zu "Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47"

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 10.11.2022 10:00 Uhr

Kommentar: Lieber Alf,
Zeilen aus dem Leben; vielleicht sogar aus deinem.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47

Autor: Sonja Soller   Datum: 10.11.2022 12:33 Uhr

Kommentar: Wow, sehr abenteurlich so ein "Trollleben", und es scheint noch nicht vorbei!!!
Grandios geschrieben und gerne gelesen, lieber Alf!!!!

Herzliche Grüße aus dem trolligen Norden, Sonja

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47

Autor: Alf Glocker   Datum: 10.11.2022 17:31 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Freunde...

Wolfgang - ja, teilweise schon.

Sonja - es geht natürlich weiter (nach menschlichem Ermessen)

LieGrü
Alf

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47

Autor: Kathleen   Datum: 10.11.2022 21:41 Uhr

Kommentar: Spannend zu lesen, lieber Alf,

Liebe Grüße

Kathleen

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 47

Autor: Alf Glocker   Datum: 11.11.2022 7:49 Uhr

Kommentar: Danke dir liebe Kathleen!

Liebe Grüße
Alf

...dann mach ich weiter...

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