Liebe Studierende und Freunde des Diagonal-, Überkreuz- und Selbstdenkens,

Jeff Bezos, Elon Musk und ein paar andere Milliardäre, die fleißig damit beschäftigt sind, den Spätkapitalismus durch wirtschaftliche Exzesse an sein eigenes Ende zu treiben, sorgen sich zuweilen durchaus auch um die Zukunft der Erdbewohner. Sie fliegen ins All, um die Voraussetzung für ein nächstes Habitat der Menschheit zu erkunden, in das wir, oder besser sie selbst nebst einem ausgewählten Grüppchen von Freunden, die Erde verlassen können. Und zwar dann, wenn sie selbst es gemeinsam mit dem Klimawandel erreicht haben werden, dass unser Globus nicht mehr bewohnbar ist.

Dumm sind diese Superreichen ja nicht. Dass ein näch­ster Planet mit ausreichend erdähnlichen Umweltbedingungen in unerreichbarer Ferne liegt, haben sie schon längst in von ihnen finanzierten wissenschaftlichen Instituten erforschen lassen. Also bleibt eigentlich nur der Mars, bis zu diesem währt ein Raumflug etwa so lang, wie ein Embryo im Mutterleib bleibt, also etwa 250 Tage.

Aber es gibt noch eine zweite Gruppe, die ein Verlassen der Erde in Erwägung zieht. Es handelt sich um die Querdenker. Diese armen Menschen fühlen sich durch die Einschränkungen, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat, so gegängelt, dass sie sich echtem Leidensdruck ausgesetzt fühlen. Zwar leugnen sie die Existenz genau dieses Corona-Virus, als ganzheitlich orientierte Zeitgenossen haben sie diesen Widerspruch jedoch verdrängt.

Die Querdenker beschließen also, mithilfe von Raketentechnik, die ihnen über Amazon Prime sogar versandfrei geliefert wurde, auf dem Mars eine Kolonie zu errichten, in der diese dummen von korrupten Politikern beschlossenen Einschränkungen endlich fallen dürfen. Keine Lockdowns mehr! Keine ebenso hinderlichen wie lächerlichen Masken! Auch das Vorzeigen von Impfzertifikaten kann auf dem Mars entfallen.

Als Landeplatz haben einige astronomisch Vorgebildete unter ihnen das Meridiani Planum ausgemacht, eine Hochebene auf dem Mars, unter deren Oberfläche sich – davon sind sie fest überzeugt – sogar Trinkwasser findet.

Nach einer kurzen Diskussion, ob man Attila Hildmann und Xavier Naidoo in die Exodus-Gruppe aufnehmen sollte, entschließt man sich, nur Naidoo mitzunehmen, um unterwegs nicht auf dessen liebliche Songs verzichten zu müssen. Das Fehlen des veganen Reiseproviantes von Attila Hildmann erscheint ihnen dagegen als hinnehmbar.

Der große Tag des Abschieds rückt immer näher. Traurig verbrennt man einige Poster und Schilder mit Aufschriften wie „Merkel an den Galgen“ oder „Show Grips – avoid Chips!“, da diese beim besten Willen in dem schon bis zum Rand beladenen Raumschiff keinen Platz mehr finden. Egal! Auf dem Mars bauen sie neue! Einer hat auch schon eine Idee für einen Slogan „Zum Mars auf dem Marsch, leckt uns alle am Arsch!“. Kurz, man ist bester Laune, zuweilen fast bis zur Euphorie.

1. April. Tag des Aufbruchs. Eine größere Gruppe von Querdenkern begibt sich zum Raumschiff, man vermeidet sorgfältig jeglichen Sicherheitsabstand, reißt sich die Masken vom Gesicht und skandiert „Kein Clown sein – Lockdown? Nein!“ Über die Mikrophone ertönt der Countdown Ten - nine - eight – seven... usw. Bei Zero beginnt ein lautes Dröhnen, die Triebwerke sind jetzt angesprungen, und wie in Slowmotion reißt sich das Raumschiff von den zur Seite kippenden Stütztürmen los.

Es folgen 250 Tage nervenaufreibenden eintönigen Fluges. Dann ist man endlich am Ziel. Der Marsboden scheint dem Raumschiff entgegenzustürzen, dann eine Erschütterung. Der Adler ist gelandet. Dieser Satz ist nicht ganz korrekt, denn das Raumschiff trägt nicht den Namen „Eagle“ sondern „Nocorona“. Alle wollen hinausstürmen, doch der mittlerweile zum Anführer ernannte Xavier Naidoo bremst diese überstürzte Aktion. Er beschließt seine Botschaft in ein Lied zu kleiden, das man sich bitte zuerst einmal anhören solle:

Bleibt bei mir, bleibt bei mir,
Sauerstoff gibt’s keinen hier.
Bevor wir in die neue Heimat laufen
Müssen wir erst lernen richtig zu schnaufen.
Die Sauerstoffanzüge scheuern an den Haxen
Aber alles besser als die doofen Masken.
Wir sind frei!
Alles besser als FFP2! Baby! Jeah!

Jetzt zwängen sich alle in ihre Raumanzüge, man flucht, aber man will ja draußen überleben, wenn man endlich aus dem 250 Tage langen Lockdown ausbrechen darf.

Man stürmt auf die Marsoberfläche. Alles verläuft eher leise, denn durch die Fenster der Raumhelme hört man die Jubelschreie kaum. Die Schwerkraft ist etwas geringer, das gibt allen das Gefühl von Leichtigkeit. Sie sind frei! Endlich frei! Sie fühlen sich wie unter Drogen. Dabei hatten nur ein paar von ihnen einige Joints dabei. Zu trinken gibt es nichts, das Wasser ist aufgebraucht, und neues hat man ja noch nicht gefunden. Und an Bier mangelt es leider nicht nur auf Hawaii. Doch lange reicht der Sauerstoff in den Flaschen nicht. Sie müssen zurück ins Schiff, zurück in den Lockdown. Von da ab jeden Tag. Wenigstens ohne Impfung, denken sie, also ohne eingepflanzte Überwachungschips.

Einer jedoch hat die gesamte Szenerie schon seit Monaten am Bildschirm verfolgt. Bill Gates schiebt die Spritzen und die Microchips zur Seite, klappt den Rechner zu und lächelt satanisch.

Liebe Studierende, aus diesem Vortrag lernen Sie zwei Dinge. Erstens, dass kleine Geschichten einen Tatbestand interessanter und eingängiger vermitteln können; und zweitens, dass Sprichwörter manchmal durchaus zutreffen, in diesem Fall, dass man „vom Regen in die Traufe“ kommen kann.

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© Peter Heinrichs


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Ein weiterer Kurzvortrag des abgedrehten Professors Anatol Hirnzwick

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Kommentare zu "Über einen Exodus der Querdenker (Episode 113)"

Re: Über einen Exodus der Querdenker (Episode 113)

Autor: Michael Dierl   Datum: 16.01.2022 19:42 Uhr

Kommentar: Hallo Peter, Wooooooooooooooowwwwwwwwww...........klasse Idee, und saugern gelesen! :-)

lg Michael

Re: Über einen Exodus der Querdenker (Episode 113)

Autor: mychrissie   Datum: 16.01.2022 23:30 Uhr

Kommentar: Danke Michael,

es gibt ja noch viele Episoden, ich werde von Zeit zu Zeit immer mal wieder eine einstellen. Die sind übrigens nicht alle absurd, manche sind auch wirklich ernsthaft.

Gruß Peter

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