Vier Mal Hoffnung und ein Ziel

Prolog

Es gab sie schon immer. Ob sie für immer bestehen werden? Man weiß es nicht. Doch etwas Neues, Unbekanntes und vor allem vollkommen Unerwartetes schleicht sich zwischen alteingesessene Strukturen.

Zu Beginn war alles heiß. Nur Lava und Gestein. Doch es wandelte sich. Das Klima wurde es kühler und die Lava verschwand größtenteils. Erst entstanden Bäche, dann Seen und schließlich ganze Meere. Das Wasser war da! Leben konnte gedeihen. Vier Stämme überboten alles Andere. Die Lebewesen blieben entweder im Wasser, kamen an Land, oder wurden die Herrscher der Lüfte. Und wenige, wirklich sehr wenige erreichten die Abgründe der ehemaligen Grundwelt.

Nach einiger Zeit wurden immer häufiger Kriege geführt. Oft bekämpften sich gerade die Menschen auf dem Land auch gegenseitig. Normal war dies aber nicht, denn Kämpfe untereinander würden bei den anderen drei Stämmen nur in Ausnahmen, wie z.B. bei Hochverrat, entstehen. Der schlimmste Krieg dauerte ganze 68 Jahre und wurde zwischen den Stämmen der Lüfte und denen des Landes geführt. Die Gestalten, welche in den Abgründen lebten wurden nur sehr selten gesichtet und über sie war mit Abstand am wenigsten bekannt. Gerade die Stämme der Lüfte versuchte schon lange die Abgründe zu erforschen, da viele ihrer Krieger über Lavagebirgen und Kilometer tiefen Schluchten verschollen, welche sich in den weit verbreiteten Gebirgen auftaten. Nach all diesen Jahrmillionen, in denen es kein Leben gab und diesen paar Jahrtausenden, in denen sich die Ursprungsstämme bildeten war es geschafft. Der Planet, auf dem sich das alles abspielt wird von seinen Bewohnern Merin genannt. Platz war genug vorhanden und es gab oft riesige unbewohnte Flächen. Merin war ja schließlich ungefähr drei Mal so groß wie die Erde aber eben mit Gebirgen übersäht.

Doch es gab noch etwas, von dem niemand etwas ahnen konnte. Eine Bedrohung? Das wird sich noch herausstellen. Ein fünfter Stamm ist entstanden und schaffte es erstaunlicherweise fürs Erste unbemerkt zu bleiben. Er ist sicherlich gefährlich, ja das ist er. Die Frage ist nur, für wen? Für die Wasser-, oder die Flugstämme? Für die Menschen auf dem Flachland? Oder sogar für die Abgründler? Am Ende wird es sich zeigen.
Eine Geste der Freundschaft


„Ist alles bereit?“, rief General Lorlan seiner Flugstaffel zu. „Bereit General!“, kam die einheitliche Antwort zurück. Lorlan drehte sich um und wendete sich seinem Unteroffizier zu: „Sind die Pfeile noch rechtzeitig eingetroffen?“ „Ja, soeben wurden jedem Krieger fünf von ihnen zugewiesen.“ „Gut, geben sie den Befehl zum Abheben.“ Der Unteroffizier erhob sich mit einem Sprung in die Lüfte und kurz danach war General Lorlans Flugstaffel schon ein ganzes Stück von dem Berggipfel entfernt, auf dem die Familien der Krieger ein großes Dorf bewohnten. Lorlen flog als letzter los, um noch ein wenig nachdenken zu können. Hatte er noch etwas Wichtiges übersehen? Nein, er war in der zurückliegenden Woche mehrfach mit seinen Patrouillen an der Grenze entlang geflogen und hatte sich selbst davon überzeugt, dass es so nicht weitergehen konnte.
Man muss wissen, dass die Stämme der Lüfte ihre Dörfer und Städte immer auf mal mehr und mal weniger großen Berggipfel bauten, die zum Teil auch vereist waren. Städte wurden oft in den Berg hineingebaut, allein schon wegen der damit gebotenen Sicherheit.
Als er durch die eiskalten Winde zwischen den Bergen flog, dachte er noch einmal an das Gesehene zurück. Dort wo eigentlich Wälder den Zugang zu den Bergen erschweren sollten und wo die letzten Jahrzehnte ein versteckter Bodenstützpunkt der Luftstämme betrieben wurde, existierten nur noch einige, zerstreute Bäume. Der genau wie die großen Städte der Luftstämme, in den Berg geschlagene Stützpunkt, war vollkommen freigelegt. Überall liefen Menschen herum, die entweder das Gelände sicherten, oder mit Lastpferden und großen Försterkutschen das Holz davontrugen. Den das war es, was den Menschen so wichtig war: Holz. Sie bauten ihre Häuser und Möbel damit, ebenso ihre Kutschen und Wagen. Sie benötigten es zum Heizen und zum Schiffsbau. Sie rodeten sogar ganze Wälder, einfach nur um das Holz zu lagern! So ein Verbrechen gegenüber der Natur verabscheuten die Stämme der Lüfte bis aufs Äußerste! Bei ihnen war eher Gestein gefragt und zum Heizen bauten sie Steinkohle aus ihren Bergwerken ab. Doch Gestein lebt nicht, so die weit verbreitete Meinung in den Luftstämmen. Generell nahmen sie der Natur nur wenig. Holz brauchten sie höchstens für ihre Waffen, und selbst das kam nicht häufig vor…
Lorlan flog nun etwas schneller und befahl sich selbst ruhig zu bleiben. Er war erst seit dem letzten Sommer der General dieser Fliegerstaffel. Es war sein erster Generalsposten und er musste oft an die Schlacht zurückdenken, in jener der angesehene General Picket starb, der gleichzeitig auch Lorlans Vorbild und Mentor gewesen war. Lorlan hatte im Juni letzten Jahres an Pickets Seite gegen Menschen gekämpft, die in ein Steinkohlewerk eingefallen waren. Sie hatten diesen Kampf knapp verloren und beim Rückzug in die vermeintliche Sicherheit der Lüfte wurde Lorlans Mentor dann von einem Langbogenpfeil der Menschen in den Rücken getroffen… Er stürzte sofort ab und verschwand im Schlachtfeld. Kurz danach war Lorlan selber zum General über die 25.te Fliegerstaffel ernannt worden, wenn auch mit einigen skeptischen Beobachtern.
Was ist ein Mentor, wird man sich jetzt vielleicht fragen, und diese Frage ist natürlich durchaus berechtigt. Mentoren sind beim Flugtrieb ein altbewährtes Mittel. Schon seit geraumer Zeit bilden Mentoren das zukünftige Führungspersonal bei den Fliegerstaffeln aus. Damit sind die Unteroffiziere gemeint, welche sich bei ihren Mentoren, also den Generälen, das Handwerkszeug für eine starke Führungspersönlichkeit abkucken sollen, und den Tagesablauf eines Generales begleiten dürfen. Außerdem sollen sie Erfahrung im Kampf an der Seite ihres jeweiligen Mentors sammeln und mit der Zeit immer mehr Verantwortung in der Fliegerstaffel übernehmen. In Kriegszeiten war es leider recht häufig der Fall, dass die Mentoren häufig viel zu schnell von den Unteroffizieren beerbt werden mussten…
Lorlan stieß jetzt zu den anderen. Die Fliegerstaffel 25 flog in fünf Reihen nebeneinander. „Kampfbereit?“ „Natürlich Sir, was erwarten sie, wir sind Krieger!“, kam die schnelle Antwort eines Soldaten zurück. „Staffel bitte mal herhören! Wie ihr alle wisst, roden die Menschen auf unserem Gebiet Wälder. Das dürfen wir nicht dulden. Es ist leider sinnlos mit ihnen darüber zu reden und außerdem würde es ihnen nur verraten, dass wir auf sie aufmerksam geworden sind. Ich werde euch gleich in drei Gruppen aufteilen. Außerdem werden sich zwei von euch als Späher beweisen müssen. Ich persönlich werde auch mitkommen um mir selbst nochmal ein Bild von der Lage zu machen. Wer meldet sich freiwillig?“ Eine ganze Reihe von Soldaten gaben ihre Einwilligung. Schlussendlich wählte Lorlan zwei Krieger namens Morphus und Gabriel aus. Die Sonne ging jetzt unter. Die Umgebung in rötliches Licht getaucht trennten sich die drei also von der Staffel. Der Rest der Staffel war angewiesen sich in den drei zuvor zugewiesenen Gruppen ruhig zu verhalten. Sie begannen kleine Patrouillenflüge zu machen. Dann kamen sie an den Berg, wo der angrenzende Wald wo gerodet worden war. „Still jetzt!“, kam die gezischte Anweisung Lorlans. Sie landeten auf einem Bergvorsprung und sahen fünf bärtige Männer, welche bewaffnet das nun freigelegte Unterholz durchkämmten. Lorlan setzte zu sprechen an: „Der eine hat ein Langmesser, die vier anderen glaube ich Schwerter. Wir müssen warten bis sie hier wieder weg sind, sonst können die anderen ihre Positionen nicht ungesehen einnehmen. Wir gewinnen diesen Kampf nur wenn wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben! Zahlenmäßig sind die uns sehr überlegen. Gut, dass sie ein paar Büsche und die Sträucher stehen gelassen haben!“. Morphus umrundete auf Anweisung seines Generals noch einmal den Berg. Als er zurück kam sagte er: „Ich hab was entdeckt! Ein kleines Waldstück ganz im Süden des Berges haben sie stehen lassen! So könnten wir doch eigentlich die restlichen Krieger hinter den Berg holen ohne dass die es bemerken?!“ Gabriel stimmte zu und so fand sich die Fliegerstaffel, zuvor von Gabriel informiert, dort ein. Der Unteroffizier wurde beauftragt die erste Gruppe zu befehlen, während Lorlan die Zweite und Gabriel die Dritte anführte. Nachdem die Patrouille zum zweiten Mal außer Sichtweite war, wurden zuvor zugeordnete Positionen besetzt. Gabriels Staffel sollte alles von oben verfolgen und mit Bögen, eisernen Wurfsternen und leichten Armbrüsten Luftunterstützung bieten. Dann kann es ja losgehen, dachte Lorlan, der selber in einem Gebüsch am Hang Platz gefunden hatte. Alle warteten auf ihn. Mit seinem ersten Pfeilschuss war der Angriff eröffnet. Er visierte den größten der fünf Männer an und schoss. Der Pfeil traf sein Ziel. Der Mann gab einen kurzen, überraschten Schrei von sich und lag schon Bruchteile später auf dem von Laub bedeckten Boden. „Achtung!“, schrie der mit dem Langmesser, doch auch er lebte genau wie der Rest der Truppe, Sekunden später schon nicht mehr.
Jetzt ging alles ganz schnell: Mehrere, nur sehr notdürftig ausgerüstete Männer kamen der Flugstaffel entgegen. Diese wurden aber größtenteils von Gabriels Einheiten niedergeschossen. Lorlans Fliegerstaffel stürmte nun voran und kam nach wenigen Minuten an einen Bachlauf, ganz am Ende des kleinen Waldstückes, der den Ort der Entscheidungsschlacht darstellen sollte. „Sie sind im Wald!“, hörte man die Menschen rufen. „Feuer frei!“, rief der Unteroffizier Lorlans. Pfeile flogen durch die Luft und Schreie ertönten. Die Fliegerstaffel machte sofort Boden gut, und man merkte den Menschen die Überraschung an. Nach den ersten vier Minuten Kampf überquerten die ersten Krieger Lorlans den Bach. Spätestens jetzt war jede Deckung nutzlos, denn die Menschen warfen mit ihren Wurfsternen wahllos in die Gebüsche. Die meisten Mitglieder der Fliegerstaffel breiteten jetzt ihre Flügel aus und schiegen Meter um Meter in die Lüfte. Dies muss Eindruck gemacht haben, denn der durchschnittliche Mensch im Flugtrieb war 1,90 Meter groß und die Spannweite der normalerweise an den Rücken angelegten Flügeln betrug fast 2,30 Meter!
„Männer zerlegt sie!“, rief ein General der Menschen des Flachlands und stürzte vor. Er hielt einen riesigen Bidenhänder in den Händen und hatte eine lange Narbe, die vom linken Ohr bis zum Kinn führte. Der Bidenhänder ist ein besonders langes und stabiles Langschwert, welches so schwer ist, dass die meisten es mit beiden Händen festhalten müssen. Dieser General also wurde sofort von zwei Männern der Fliegerstaffel unter Beschuss genommen, doch im Gegensatz zu dem Großteil seiner eigenen Männer, schien ihm das nicht auszumachen. Mit wenigen großen Sätzen war er bei seinen beiden Angreifern, stieß einen furchterregenden Schrei aus und sprang… Er erreichte locker den tieffliegenden Krieger und traf ihn in Hüfthöhe. Dabei wurde er vom Säbel des anderen Rivalen am Arm gestreift: „Aaarrrghh! Das wirst du büßen, du Wurm!“. Der zweite war nun ebenfalls gelandet und rannte mit dem Säbel auf den feindlichen General zu. Dieser allerdings bewegte sich ruckartig nach rechts, so dass der Krieger des Luftstammes vorbeistolperte. Diesen Aussetzer nutzte er dann, um ihm seinen Bidenhänder in den Bauch zu rammen. Der Krieger war sofort tot.
Und doch hatte das Überraschungsmoment seine Wirkung nicht verfehlt. Die Luftstämme waren nach einer Dreiviertelstunde blutigen Kampfes leicht in Überzahl gekommen und hatten dabei ihre Kampfmoral noch aufrechterhalten können.
„Kommt! Wir müssen rüber zu den Kämpfen in ihrem Lager!“, rief Lorlan einer kleinen Gruppe seiner Krieger zu. Er selber hatte sich zu Beginn mitten ins Kampfgetümmel gestürzt und sich nach und nach wieder herausbewegt. In den letzten zehn Minuten hatte er dann nur noch Befehle gegeben um seine Truppen besser zu ordnen. Schließlich konnten sich acht Krieger zusammenfinden, welche Lorlan jetzt bis in den Tod folgen würden. Minutenlang rannten sie, nun schon längst auf freiem Feld, auf das jetzt in Sichtweite liegende Lager der Menschen zu und mussten nur ab und zu wegen Feinden stoppen. Sie stürmten durch viele gefallene Krieger und zerrissene Zelter, bis sie gerade noch beobachten konnten, wie ein riesiger Mann mit einem Bidenhänder einen Flugtriebler niederstreckte. „Du Monster!“, entfuhr es Mallar, einem kleineren Krieger, der zur Gruppe Lorlans gehörte. Der Riese, der mindestens zwei 2,20 Meter maß und offensichtlich ein General war, drehte sich um. Auch Lorlan erblickte jetzt seine lange Narbe. „Bill!“. „Lorlan!“. Die beiden sahen sich ein paar schrecklich lange Sekunden tief in die Augen. Bei dem Riesen konnte man kurz ein Zweifeln und eine Unsicherheit erkennen, denn er schwankte und atmete schwer. Dann wurde das Schweigen jäh unterbrochen: „Killt dieses Monster!“, schrie ein weiterer Krieger und stürmte los. In diesem so ungleichen Kampf stellte der Großgewachsene unter Beweis, dass er der Bezeichnung „Monster“ sehr gut nachkam. Er sprang umher und streckte einen Gegner nach dem anderen nieder. Seine Schläge folgten beeindruckend schnell und präzise und es hatte den Anschein, als seien es nur gelernte Muster, welche er abspulte. Lorlan griff an: Einen Hieb in Brusthöhe. Pariert. Der direkte Gegenangriff: Lorlan musste zurückweichen. Er versuchte mehrfach mit Schlägen gegen die Beine Erfolg zu landen, doch es war zwecklos. Bald kämpfte Lorlan mit nur noch zwei Kriegern an seiner Seite und blutete aus einer Wunde am Knie und am Rücken.
Dann die Rettung: Mehrere Trommelsignale bewirkten, dass sich alle Menschen langsam nach hinten, also zur eigentlichen Grenze trieben ließen. Nach einer Minute liefen sie dann mal mehr, mal weniger schnell los. Der Riese wurde schnell umzingelt, da er als einer der wenigen standhaft blieb. Nach zwei weiteren Minuten höllischen Kampfes ließ er dann seine Waffe fallen. Er blutete fast überall stark und hatte einen tiefen Schnitt in der Stirn, welcher garantiert ebenfalls vernarben würde. Dann erhob er die Stimme, da alle nur noch auf Lorlans Signal warteten dem Ganzen ein Ende zu bereiten. „Tötet mich. Ich bin ein Niemand. Wenn ihr mich gefangen nehmt verletzt ihr meine Ehre.“ Morphus, der jetzt auch da war sah Lorlan an. „Lasst uns seinen Worten Folge leisten.“ Alle schwiegen. Man hörte jetzt nur noch das laute Atmen der völlig fertigen Krieger und noch etwas. Etwas leises, knisterndes. „Was?“, stieß einer hervor. „Feuer, der Wald brennt!“ Alle schauten sich um. Es stimmte. In der Ferne sah man Rauch aufsteigen und die ersten Flammen schossen aus den äußersten Bäumen des Waldes hervor. Lorlan wendete sich wieder dem geschlagenen Mann zu, welcher nun kniete und zu Boden starrte. „Lasst in gehen.“ „Was?“, riefen einige. „Er ist zu gefährlich!“ Lorlan hatte mit dieser Reaktion gerechnet, doch er konnte diesen Krieger, welchen er doch so gut kannte, und ja, welchen er sogar bewunderte, doch nicht töten. „Lasst ihn gehen sagte ich!“. Langsam traten seine Krieger zurück und machten für den Riesen Platz. Dieser erhob sich ging einige unsichere Schritte und nickte Lorlan kurz zu, als er schlussendlich an ihm vorbei ins Unterholz rannte.

Schwere Zeiten
„Lorlan Redfly“, rief die Frau, welche alle Angeklagten zu ihren Verhandlungen führte. Lorlan hob den Kopf und stand von seinem Stuhl auf. Er durchquerte die große Halle, die von den Warteplätzen zum Zentrum des Gerichtgebäudes führte. Die letzte Woche war für ihn nicht einfach gewesen. Zwei Tage nach der Schlacht hatte er erfahren, dass ihn einer seiner Männer wegen Feindesbegünstigung, also Verrats angeklagt hatte. Die Schlacht hatte trotzdem die Stämme der Lüfte gewonnen, wenn auch mit einem Dutzend Toten und 25 schwer, oder leicht Verletzten. Dabei muss man bedenken, dass Fliegerstaffeln aus Dörfern, oder in Lorlans Fall Kleinstädten, gerade einmal aus 50 Kriegern bestanden. Alle größeren Städte des Flugtriebs verfügten über Fliegerstaffeln, die jeweils 100-300 Krieger aufbieten konnten. Am dritten Tag nach dem Kampf hatte er dann die Offizielle Einladung zu einem Gerichtstermin bekommen. Dieser Termin war schon deutlich früher als Lorlan ihn erwartet hätte und so war er schon fünf Tage nach seiner Anklage in diese für ihn sehr unschöne Situation gekommen. „Guten Tag, folgen sie mir.“, begrüßte ihn die Frau. Sie bogen in einen langen Gang ein und wendeten sich zum Treppenhaus des Gerichtes. Dort angekommen drehte die Frau sich zu ihm. „Die erste Treppe runter, dann den Gang entlang und die Tür 34 nehmen. Noch Fragen?“ „Nein, verstanden.“ „Gut, noch viel Glück bei ihrer Verhandlung.“ Damit war sie auch schon wieder auf dem Weg zurück zur Empfangshalle. Lorlan nahm den eben beschriebenen Weg und kam nach einer halben Ewigkeit auch an der Tür mit der Aufschrift 34 an. Schon von weitem hatte er die beiden großgewachsenen Männer gesehen, die links und rechts von der Tür standen, doch erst als er näher kam verstand er, dass sie auf ihn warteten. „Sie sind der Angeklagte?“, fragte der eine. „Genau der bin ich.“, antwortete Lorlan. Dann wendete der andere sich zur Tür und schob mit einiger Kraft den großen Riegel um, der die Tür zum Gerichtssaal öffnete. Der Saal war größer als Lorlan ihn in Erinnerung hatte. Überall saßen Leute in weißen Umhängen und es wurde sofort ruhiger als er den Platz auf der einen Seite eines sehr langen und ebenfalls strahlend weißen Tisches einnahm. Dann traten die Richter vor, drei Frauen und ein Mann. Sie setzen sich an die gegenüberliegende Seite des langen Tisches und nahmen ihre Gerichtsmützen ab. „Angeklagter, stehen sie auf.“, lautete die unmissverständliche Anweisung der Frau in der Mitte. „Lorlan Redfly, ist das richtig?“ „Jawohl.“ „Sie haben vor genau sieben Tagen den Einsatz einer Fliegerstaffel als General geleitet, ist das richtig?“ „Ja.“ „Gut, sie dürfen sich wieder setzen.“ Lorlan setzte sich und blickte zu dem Mann neben der Hauptrichterin. Er schrieb jede Antwort von ihm mit. „Also dann, legen wir mal los.“ Sie räusperte sich kurz und fing wieder an zu sprechen: „Sie wurden von einem ihrer Krieger in der Schlacht gegen die Menschen vor einer Woche wegen Feindesbegünstigung angeklagt. Das wäre Verrat und alle Folgen die er mit sich bringt. Seiner Aussage nach haben sie in den letzten Minuten des Kampfes einen fast schon gefangenen Gegner, welcher für ganze 7 von 20 Toten auf unserer Seite gesorgt hatte, einfach so laufen lassen.“ (Dann waren doch noch so viele von den Verletzten gestorben), dachte Lorlan. Er selber hatte bis dahin nur von zwölf Toten gewusst. „Ist ihnen dabei eigentlich bewusst gewesen, dass dieser Krieger einer der höchsten Generäle der feindlichen Einheiten gewesen ist?“ Ja, er hatte es gewusst… Aber dieser Fakt würde ihm nachher wahrscheinlich noch einmal schwer zu tragen kommen, deshalb schüttelte er langsam den Kopf. „Er hatte das Kommando und hat es missbraucht!“, rief einer der Anwesenden. „Es muss eine Strafe folgen!“, meinte daraufhin ein anderer. Lorlan selbst sah sich allerdings nur geringfügig in der Schuld. Bill war für ihn in seinem bis jetzt wichtigsten Lebensabschnitt nicht wegzudenken, denn was in diesem Saal niemand wusste: Lorlan war nicht immer auf der Seite der Flugstämme gewesen. Seine Eltern kannte er nicht, da er als Baby in ein Leinentuch eingewickelt nahe eines Menschendorfes gefunden worden war und bis zu seinem siebten Lebensjahr auch dort gelebt hatte. Eines Tages war auch der Mann, den Lorlan als Vater kennengelernt hatte nicht mehr von der Jagt zurückgekehrt und das gesamte Dorf hatte um ihn getrauert. Seine Adoptivmutter war zu diesem Zeitpunkt mit ihrem ersten eigenen Kind schwanger und es ging ihr sehr schlecht. Zu allem Überfluss lag das Dorf gefährlich nahe an einer Handelsstadt der Flugstämme, welche sich immer weiter in die Richtung des Dorfes ausbreiteten. Die Dorfbewohner hatten dann nach einigen Tagen, in denen der Rat des Dorfes ununterbrochen zusammengesessen und diskutiert hatte, beschlossen, Lorlan bis zu dieser Stadt zu begleiten und sich dann von ihm zu verabschieden, denn das Dorf musste früher oder später verlassen werden und niemand wusste so genau ob die Reise durch unbekanntes Gebiet nicht für die Kinder und die Alten im Dorf den sicheren Tod bedeuten würde. Daher versuchte man sie wo es nur möglich war vor der Reise aus dem Dorf wo anders hin zu bringen. Man nahm ein bedeutend höheres Engagement der Flugstämme für ein Kind des eigenen Stammes, wie Lorlan es ja unübersehbar war, an, als für Eines der verfeindeten Menschen. Das Dorf war eigenständig und mit allen anderen Menschen, sowie Stämmen zerstritten. Außerdem wurde insgeheim im Dorf vermutet, dass Lorlans Adoptivvater nicht durch einen Unfall gestorben, sondern von einer Gruppe der Flugstämme ermordet worden war. So kam es also, dass ein siebenjähriger Junge schon bald darauf in einer kleinen Familie am Rande der Handelsstadt des Flugtriebs lebte.
Und was hatte Bill damit zu tun? Er war in der Zeit im Menschendorf wie ein Bruder für Lorlan gewesen, hatte zwei Häuser neben ihm gewohnt, so dass sie sich oft sahen und sie hatten fast jeden Tag miteinander verbracht. Auch damals war er schon einen Kopf größer gewesen und zwei Jahre älter, doch das hatte beide nicht gekümmert. Und nun waren sie im Kampf aufeinandergetroffen. Lorlan dachte nach und blendete den Gerichtssaal kurz aus. Das Dorf hatte also überlebt… Warum war es aber dann genau dorthin zurückgekehrt, wo es doch vorher vertrieben worden war: In die Nähe der Flugstämme? Die Bewohner müssen auch in ihrem neuen Gebiet vertrieben worden sein. Aber: Lorlan hatte während des Kampfes kein bekanntes Gesicht wiedergesehen… Kein einziges, außer eben Bill. Vielleicht waren die Krieger gar nicht vom Dorf gewesen und auch nicht von den vereinigten Stämmen der Menschen, sondern Bill hatte eine eigene Gruppierung erschaffen. Und sein Aussehen? Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Ein Mann mit Hut war von seinem Platz aufgestanden und mit ein paar Flügelschlägen zu Lorlan geflogen. „Hören sie gefälligst zu!“, sagte er so laut, dass Lorlan erschrak. „…Stimmt das?“ „Äh, wie bitte?“ „Ich sagte: Stimmt das?“ „Nein nein, was war nochmal ihre Frage?“, nach einer weiteren halben Stunde wurde die Sitzung beendet und Lorlan durfte gehen. Er wurde im Verlauf der Verhandlung seines Amtes als General enthoben und musste sich jetzt zwischen einer neuen Laufbahn in der Fliegerstaffel, oder einem anderen Berufsfeld entscheiden. Er verabschiedete sich Tage später von seiner Flugstaffel und bedankte sich vor allem bei Morphus und Gabriel. Lorlan erhob seinen bisherigen Untergeneral zum General und wurde daraufhin verabschiedet. Ganz so viel hatte er dann also doch nicht falsch gemacht, den bei seiner Verabschiedung waren nur 6 seiner Leute nicht gekommen, unter ihnen natürlich auch derjenige, welcher ihn angeklagt hatte. Und dann war es vorbei. Nun hatte er Zeit. Viel Zeit. Zeit in der er darüber nachdenken würde, wie es so weit kommen konnte.






























Der Entschluss steht


Lorlan wachte auf. Es waren ein paar Tage vergangen und er war immer noch da. Immer noch genau da, wo er nicht sein wollte. In seinem Dorf in seinem Haus am Rande einer Schlucht. Um ihn herum lauter Flugstämmler, die er kannte, oder die sogar unter ihm gedient hatten. Doch was blieb ihm anderes übrig? Er wusste einfach nicht mehr weiter… Was sollte er jetzt machen? Als General verdiente man gut und er war nie verschwenderisch mit seinem Geld umgegangen, also musste er sich darum zu seinem Glück erstmal keine Sorgen machen. Die Richterin hatte ihm zwei Stellen angeboten, die er kurzfristig annehmen konnte, doch beides war nichts für ihn und er fühlte sich unwohl, direkt nach seiner Entlassung aus dem Militärwesen wieder eine neue Arbeitsstelle zu haben. Die letzten Tage fühlten sich an wie Minuten und er konnte einfach nicht aufhören über Bill nachzudenken. Und der Verlust seiner Fliegerstaffel schmerzte ihn ebenfalls unaufhörlich. Doch plötzlich wurde er durch ein Klopfen an der Tür sehr unsanft aus seinen Überlegungen gerissen. Es war schon früher Abend, und wer zur Hölle wollte IHN denn noch besuchen. Er fühlte sich absolut niedergeschlagen. Als er mit gezielten Flügelschlägen durch den Flur in Richtung Tür schwebte, ahnte er noch nicht, wer oder was ihn dort erwarten würde. Er öffnete: „Bill? Bist du verrückt? Was machst…“ „Lass mich schnell rein und guck nicht so doof!“, kam die leise, aber energisch gebrummte Antwort. Lorlan öffnete die Tür so weit es nur ging und sah zu, wie sich die riesige, in einen großen, schwarzen Mantel gehüllte Person in seinen Hausflur quetschte. Schnell war die Tür wieder zu. „Zum Glück“, dachte Lorlan sich, „haben die Behausungen von Flugstämmlern eine hohe Decke, sodass sich Bill wenigsten nicht bücken muss.“ Tatsächlich sahen die Häuser der Flugstämmler mit ihren hohen Dächern und zugleich für einen Menschen viel zu hoch angebracht scheinenden Fenstern, ziemlich befremdlich aus, doch da sie die meisten Wege im Haus knapp über dem Boden fliegend bewältigten musste das eben auch so sein. „Wo kann ich hin?“, fragte Bill ein wenig orientierungslos, kaum war die Tür wieder zu. „Folg mir, in der Küche wird uns niemand sehen, die geht zur Schlucht hin raus, aber was zur Hölle machst du hier?“ „Erzähl ich dir gleich, aber erstmal danke, dass du mich gerettet hast! Das werde ich dir nie vergessen.“ Mittlerweile waren die Beiden in der geräumigen Küche angekommen, die Tatsächlich nur ein großes Fenster hatte, durch welches man direkt in die Abgründe der Schluchten, die das Dorf umgaben, blicken konnte. „Tja, mich hat die Aktion direkt mal den meinen Posten gekostet, aber glaub mir, ich würde es wieder tun.“ Bill warf seinen Mantel auf eine Bank, und setzte sich laut stöhnend daneben. „Bist du verletzt?“, kam Lorlans verunsicherte Nachfrage daraufhin. „Nene, geht schon, aber der Weg hierhin ist verdammt nochmal gefährlich.“ Bill blickte Lorlan jetzt das erste Mal ins Gesicht und Lorlan erkannte eine weitere, neue Narbe, die aus der Schlacht stammte. „Das ist der Sinn der Sache. Aber erzähl endlich warum du hier bist!“ Bill legte los, aber erst nachdem Lorlan im mehrfach versichert hatte, dass die Tür mit Schloss und Riegel versperrt war, und niemand ohne Gewalt ins Haus marschieren konnte: Er erzählte, wie es ihm die letzten Jahre ergangen war, es stellte sich heraus, dass Lorlan Recht mit seinen Vermutungen gehabt hatte und Bill tatsächlich der Anführer einer vom Rest der Menschen abgeschotteten Gruppe geworden ist, die sich schon seit mehreren Jahren alleine durchschlug und sogar schon den ersten Zuwachs erhalten hatte. Zunächst hätte Bill jedoch noch mit seiner Familie im Dorf gelebt, länger als die Dorfältesten zunächst beschlossen hatten. „Du warst gerade einmal zwei Tage weg, da haben sie verkünden lassen, das Risiko Flucht aus dem Dorf sei doch zu groß und wir würden noch etwas im Dorf bleiben.“, betonte er. Viele hätten das nicht verstehen können, da ja schon einige Kinder, unteranderem eben auch Lorlan zu verschiedenen Städten weggeschickt worden waren. Schlussendlich hätten sie noch zwei Jahre dort gelebt, ohne auch nur einen Angriff der Flugstämmler. Doch dann sei das Befürchtete eingetreten und ein paar Dorfbewohner seien von der Jagt nicht mehr wiedergekommen. Hinterlassen wurden nur Botschaften an die Dorfältesten, dass jetzt die Zeit gekommen sei, das Dorf zu verlassen. Hingekritzelt, von einem der Dorfbewohner bei im Gefecht der schlussendlich für ihn tödlich-endenden Jagt. Das Dorf hätte sich aufgemacht und es tatsächlich geschafft mit nur wenigen Kampferprobten Männern vier weitere Jahre zu überleben, bis es im Winter irgendwann kein Essen mehr gab und sie sich in schlimmster Not trennen mussten, um Nahrung zu finden. Bill war damals 15 und trotzdem schon einer der größten. „Ich glaube, nur 20% der Dorfbewohner haben die Trennung überlebt.“, vermutete er. Er hatte Glück und war schlussendlich mit ein paar Gleichaltrigen durch die schier endlosen Wälder in den Schluchten an vielen Menschendörfern vorbeigezogen, die viel weiter weg von den Stämmen der Lüfte waren, als sein Dorf es zuvor war. Immer mehr Menschen hatten sich ihnen aus den Dörfern heraus angeschlossen, weil der Winter auch für ihre Dörfer nur noch wenig Nahrung zu bieten hatte. Und so war es gekommen, dass Bill schon mit 17 Jahren am Kopfe einer Gruppe von über 30 Menschen stand.
„Und deswegen, weil wir über die Jahre immer mehr wurden, brauchten wir immer mehr Platz zum leben und vor allem Holz.“, meinte Bill. „Klar, und weil ihr nie ein Teil der vereinigten Menschenstämme wart wusstet ihr auch nicht wo die Grenzen zu unserem Gebiet waren.“, antwortete Lorlan. „Genau das war unser Problem! Ich hatte zwar die Männer aus unseren Reihen angewiesen Waffen mitzunehmen, aber mit eurem Angriff hatten wir ganz und gar nicht gerechnet…“. „Verständlicherweise“, ergänzte Lorlan, „wie viele Menschen habt ihr denn verloren?“ „Fast die Hälfte, über 30 um genau zu sein.“ Bill war auf einmal leiser geworden, als er das aussprach. Es schien so, als hätte er die Ereignisse der letzten Tage selbst noch nicht richtig verarbeitet. „Und ich habe das zugelassen… Es war so dumm von mir!“ „Nein! Dumm war es überhaupt nicht“, wollte Lorlan sagen, doch Bill fuhr direkt fort: „Irgendwie hab ich gedacht, dass wenn wir diesen Kampf gewinnen, alles für uns besser werden würde, mehr Raum zum Leben, mehr Nahrung, ein erobertes Dorf… Aber es ist alles nur viel, viel schlimmer geworden!“. Jetzt wusste selbst Lorlan nicht mehr, was er noch sagen sollte. Beide schwiegen sich an. „Schon komisch“, dachte Lorlan, dass ich für Bill´s Niederlage mehr Mitgefühl habe, als wenn ich einen meiner Männer verlieren würde.“ Diese Erkenntnis gab ihm zu denken, und er dachte auch in der Nacht noch darüber nach, als Bill schon laut schnarchend auf einem für ihn viel zu kleinen Sofa im Wohnzimmer lag und schlief. Noch in derselben Nacht fasste er einen Entschluss, der sein weiteres Leben extrem verändern würde. Kurz bevor er einschlief fiel ihm dann noch auf, dass Bill noch gar nicht gesagt hatte, warum er überhaupt gekommen war, doch es war spät und Lorlan war müde. „Morgen frag ich ihn“, nahm er sich noch vor, bevor er wenige Augenblicke später einschlief.


© Benjamin Konrad


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Beschreibung des Autors zu "Vier Mal Hoffnung und ein Ziel"

Viel Spaß mit den bis jetzt ersten drei Kapiteln meines Fantasy Buches!

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