Ich bin ein wenig genervt nach dem Termin beim Psychologen. Einerseits mache ich Fortschritte, andererseits nicht. Es ist so, wie voranzukommen und gleichzeitig zu stagnieren. Die langen ruhigen Gespräche, welche zukunftsweisend sind und doch so überhaupt nichts an meiner Lage ändern, machen mich unruhig. Ich muss mir in den Arsch treten und endlich etwas tun. Leichter gesagt als getan.

Es ist früher Nachmittag und ich hab wenig Lust schon in den Zug zu steigen, also laufe ich ein wenig in Köln rum. Eine schwarze Gestalt zwischen Vielen, ein Hund ohne Leine an der Halskette.
Ich halte den Kopf gesenkt, während ich über den gepflasterten Gehweg laufe. Nur einen halben Meter neben mir prescht ein Transporter vorbei. Ich existiere nicht, bin nur ein Schatten. Und die Wenigen, die mich bemerken, scheinen verwundert darüber oder wenden sich schnell Interessanterem zu, was ja nicht sonderlich schwer ist.

Mich selber kümmert das kaum. Ich bin ein Einzelgänger. In meinen Gedanken hat nur eine Person, die Eine, einen Einfluss auf mich. Er ist so stark, das ich mich über hunderte Kilometer zu ihr hingezogen fühle, eine Kraft die seitdem an mir zerrt.

So beschäftigt es mich fortlaufend, was sie über mich denkt, das ich mir Sorgen mache, ob es ihr gut geht oder wie ich ihr begreiflich machen kann, das sie mein Herz besitzt.
Ich biege um eine Straßenecke. Der anhaltende Lärm und die Abgase bereiten mir Kopfschmerzen. Aber man muss ja nicht gerade über die Aachener laufen.
Eine Straßenbahn hält mit quietschenden Bremsen an der nächsten Haltestelle. Ein paar Jugendliche, umgeben von einer stinkenden Wolke Zigarettenrauch, kommen mir entgegen. Sie beschallen sich laut mit Hiphop. Einer von ihnen wirft mir im Vorbeigehen eine Beleidigung an den Kopf. Alltag. Kein Grund, überhaupt zu reagieren, wenn mir sowas Unterirdisches wie diese Kinder begegnet. Ich ignoriere sie. An der nächsten Ecke streitet sich ein Obdachloser mit einem fetten Ladenbesitzer. Zwei kleine Mädchen mit Schulranzen rennen an mir vorbei. Die Autos wirbeln Staub und kleine Steine von der Straße hoch. Von weitem kann man ein Martinshorn hören.
Die Atmosphäre der Stadt, das Durcheinander, die Menschen, die Geräusche, der Verkehrslärm, die Gerüche und auch die zeitweilige Ruhe in abgeschiedenen Gassen, majestätisch dampfende Türme in der Ferne, die vielen Lichter in der Dunkelheit oder an einem grauen verregneten Tag, der Blick aus einem Fenster über monotone Wohnblocks, das alles könnte sehr inspirierend sein. Sollte ich es schaffen die gemäßigte Hölle zu verlassen, wäre das die Stadt, in die es mich ziehen würde.

Ich sitze allein an einem Fenstertisch, in einem von den vielen Cafes hier und denke an die Nacht mit meiner Herrin im Regen. Mit dem Rücken zum Zaun stand ich da, ohne Oberteil, ihre Arme um meinen Nacken. Kein Entkommen. Es war ein Bild, keine Realität, aber ein sehr schönes Bild und so echt, wie es nur sein konnte. Ich wünschte, es wäre die Wirklichkeit gewesen.
Ich hätte ihre Haut und den nassen Stoff ihrer Kleidung unter meinen Händen gespürt. Es war ein sehr sinnlicher Moment, voller Leidenschaft und tiefem Vertrauen. Aber Vertrauen muss man sich verdienen.
Ich spüre das Gewicht der Kette um meinen Hals, ein ebenfalls sehr vertrautes Gefühl. Die anderen Cafebesucher nehmen mich nicht wahr. In meiner schlichten schwarzen Kleidung, bin ich fast unsichtbar zwischen der bunten und konsumorientierten Vielfalt an Kleidungsstilen.

Die Einrichtung des Cafes ist gewöhnlich, weiße Lampen, einfache Holztische, braune abgenutzte Lederbezüge auf Stühlen und Bänken. Der Duft von Kaffee erfüllt den Raum.
Die Espressomaschine hinter der beleuchteten Theke brummt. Daneben kann ich das leise und gleichmäßige Gestampfe von billiger Musik, zwischen dem Gemurmel und halben Sätzen aus Gesprächen hören. Nur jeder dritte Tisch ist besetzt. Eine alte Verkäuferin, die ihre grauen Haare dunkelrot gefärbt hat, steht hinter dem Ladentisch und bedient die Kunden, welche Brötchen, Kuchen, Teilchen und Brot bei ihr kaufen. Ausnahmslos alles in der Kuchenvitrine ist klebrig: mit Zuckerglasur überzogene Rundstücke, Donauwelle und Cremeschnitten, Obstkuchen und Schokoladentorte, glänzend vor fett und so süß, das einem schlecht wird.
Ein alter Mann, dessen graumeliertes Haar ein Kranz um seine Halbglatze bildet, bestellt ein Graubrot und ein halbes Dutzend Körnerbrötchen. Er fällt mir auf, weil seine Jacke eine Spur zerlumpt aussieht. Sie wirkt so abgetragen, als würde er sie jeden Tag anziehen und das seit mindestens fünf Jahren. Außerdem riecht er penetrant nach Tabak und hinterlässt etwas Dreck von seinen Schuhen auf den braunrötlichen Fliesen. Die Verkäuferin sieht ihm missbilligend nach, als er geht, die schmalen Lippen zu einem Strich zusammengepresst.

Ich sehe aus dem Fenster. Auf der Straße eilen Leute vorbei, ohne sich umzusehen. Eine Menge Fahrradfahrer sind ebenfalls unterwegs, Kopfhörer in den Ohren. Ich versinke in Gedanken. Der Verkehrslärm, die Motoren und das Hupen der vorbeifahrenden Autos, dringt als Einheitsrauschen unterschwellig in mein Bewusstsein.
Vor mir auf dem Tisch steht aufgeklappt mein Laptop. Ich habe das Schreibprogramm geöffnet. Neues Dokument. In der Umgebung kann man wunderbar arbeiten. Nachdenklich starre ich vor mich hin.

Sollte es nur die Szene in einer Gasse sein oder würde ich es mit dem Bild bzw. der Szene in der alten Fabrik kombinieren?
Ich sehe es ganz genau vor mir, wie wir beide in der Nacht, dunkel bekleidet, über einen Zaun aus Maschendraht klettern und das verlassene, schon leicht verfallene Gebäude erkunden. Der Mond schiebt sich zwischen den rauchgrauen Wolken hervor und lässt die ganze Szene unwirklich erscheinen. Er taucht alte Gerätschaften, Container, verrostete Wellbleche und Gitter in schauriges Licht. Ein Ort, an dem ich mich Wohlfühle, wie geschaffen für einen Grufti.
Aber die richtigen Worte zu finden, ist eine große Herausforderung. Es muss wie ein Bild, ein Gedicht aus Worten sein, sodass sie es sich vorstellen kann. Ich möchte, das meine Herrin es so sieht wie ich es sehe, wenn ich die Geschichte verfasse. Keineswegs leicht.
Die Dunkelheit wird nur kurz, durch von weitem aufblitzende Scheinwerfer vorbeifahrender Autos unterbrochen. Es regnet. Meine Kleidung ist durchnässt. Plötzlich dreht sie sich zu mir um, packt mich am Kragen und schubst mich unsanft gegen eine verwitterte alte Mauer. Ich atme heftig. Aufregung und Lust schießen wie Feuer durch meine Adern. Das Rauschen des Regens in meinen Ohren. Der Geruch von Teer, feuchter Luft, Erde und Rost in meiner Nase. Dieser ungewöhnliche Ort hat diese Art von Magie. Ich sehe sie vor mir. Ihre vollen Lippen sind leicht geöffnet, ihre Haare triefend nass. Die Kleider kleben ihr am Körper. Ich kann spüren wie er sich gegen meinen presst. In mir kribbelt es vor Erregung. Wir stehen so dicht voreinander, das ihre Aura mich förmlich erdrückt. Mein Halsband klirrt metallisch, als sie es mit einer Hand greift und eng zuzieht.
Meine Arme legen sich um ihre Taille. Diesmal bin ich derjenige, der anfängt und sie küsst. Ihre andere Hand krallt sich in meine Haare. Der Regen prasselt auf uns hinunter. Unsere Körper glühen. Sie leuchtet im Dunkeln.

„Hier, Ihr Kaffee.“, reißt mich eine Kellnerin unsanft aus den Gedanken. Gibt es für Träumer kein Platz in dieser Gesellschaft? Offenbar nicht, denn ich gehöre nicht dazu. Den Kaffee hätte ich mir auch selber an der Theke holen können. Verärgert sehe ich auf.
Sie trägt eine Uniform, weiß mit brauner schürze, ihre Haare sind ebenfalls braun, ebenso wie ihr Lippenstift. Unreine Haut. Sie stellt den Kaffee ab. Ich antworte nicht.
Nicht besonders höflich, ich weiß. Höflichkeit war noch nie meine Stärke, auch wenn ich es grundsätzlich kann. Ich trage nie braun. Braun ist entweder süß wie Schokolade oder stinkig wie Scheiße.

Hin und wieder sollte mir jemand die Hosen straff ziehen, damit ich solche Dinge nicht laut sage. Oder möglicherweise öfter? Leute zu verletzen gehört wohl auch zu meinen zahlreichen Begabungen, neben allgemeiner Taktlosigkeit, Hingabe und depressiv orientiertem Verhalten, Malen nach Zahlen mal außen vorgelassen. Aber ich kann auch nett sein, wenn ich es will. Den Skill dazu hab ich, theoretisch.
Ich leide gerne für meine Herrin, weil es das von mir ist, das ich ihr schenken kann. Mein Herz, meine Hingabe und meinen Schmerz. Es reicht manchmal schon, hier zu sein, ins Leere zu starren und sie zu vermissen. Das alles versuche ich in diese Geschichten zu legen.
Ich mag die Atmosphäre von solchen Cafes in großen Städten. Irgendein namenloses Geschäft, durchschnittlich, nichts Vornehmes und groß genug, das keiner einem Beachtung schenkt. Alltägliche Betriebsamkeit in einer gewissen Routine. Ein ständiges Kommen und Gehen und doch liegt Ruhe über allem, Gemurmel als Hintergrund. Keiner hetzt sich ab. Wer hierher kommt, macht Pause.
Die Leute schlürfen ihre Heißgetränke, krümeln auf ihre Teller und erzählen sich Dinge, welche sie gerade erlebt haben. Ein guter Ort zum Schreiben (sofern mir niemand über die Schulter sieht). Und guten Kaffee sollte es auch geben.

Mir fällt noch kein passender Titel ein, aber den denk ich mir sowieso oft erst zum Schluss aus, nachdem ich eine Geschichte geschrieben habe. Meistens weiß ich erst dann, welcher Name als Überschrift zutreffend sein kann. Natürlich kann es auch mal andersherum gehen.

Der Kaffee hier scheint qualitativ in Ordnung zu sein. Er ist ziemlich heiß. Die Ideen lassen auf sich warten. Ich stütze mich mit den Ellenbogen auf den Tisch und schließe für einen Moment die Augen, speichere das Bild dieses Ortes in meinem Kopf, nehme Geräusche und Gerüche wahr und lasse mich inspirieren.


© D.M.


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Kommentare zu "How to write a poem"

Re: How to write a poem

Autor: DieEineHerrin   Datum: 20.06.2020 0:02 Uhr

Kommentar: ... ich werde diese Szene niemals vergessen <3

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