Kapitel 4 – Eskorte durch die Dunkelheit

© EINsamer wANDERER

Zwei Jahre nach Liams Tod.
Hoch oben im Norden. Wo der Schnee das ganze Jahr fällt und der Wind durch Mark und Bein geht. Wo Tag und Nacht jeweils ein halbes Jahr dauerten. Und wo nur die härtesteten Kämpfer überleben konnten.
Ein Dichter hatte einmal geschrieben, dass man dort nach dem Himmel greifen könne. Man müsse nur seine Hand danach ausstrecken. Diese schönen Zeilen schrieb er mit einer halbausgetrockneten schmutzigen Feder, kurz bevor man ihm wegen Diebstahls zur Bestrafung die Hand abschlug.
Und mitten in dieser unwirklichen Gegend stand eine Taverne Namens Sturmgrimm. Dort trafen sich die übelsten Söldner der Welt. Selbst der größte Schuft hätte jeden einzelnen als Abschaum bezeichnet und auf ihn Gespuckt. Aber er hätte nicht lange genug gelebt um sich darauf schleunigst zu entschuldigen.
In dieser Spelunke hatte sich der verstoßene Zwergkrieger Muresch verkrochen. Sein Zorn über den Verrat seines Bruders war immer noch nicht abgeklungen. Und mit jedem Tag an der Oberfläche wuchs er weiter.
Diese Welt über der Erde war so unwirklich, als entstamme sie einem verrückten Traum. Hier war alles bunt und hatte einen eigenen Geruch – selbst die Erde. Licht und Dunkelheit kamen im ständigen Wechsel, sie nannten diese Unnatürlichkeit dann Tag- und Nachtzyklus. Welcher Gott auch immer diese höllische Welt erschaffen hatte, er musste vollkommen wahnsinnig gewesen sein.
Darum war Muresch auch nach Norden gezogen. Dieser triste Ort kam seiner Heimat wenigstens etwas gleich.
Hier war es beständig eisig, aber der Zwerg weigerte sich beharrlich mehr als seine Stoffhose, die Fußfessel und den Ledergurt seines Zweihänders zu tragen. Auf Fragen warum er seine bis auf die Tätowierungen nackte Haut zeigte, antwortete er stets: »Ich bin kein Weichei, wie ihr Langen«
Nach einem Jahr hatte er sich schon an das Klima gewöhnt, während alle anderen in Pelze bekleidet zitterten. Aber das war nicht das einzige an das er sich gewöhnen musste. Er hatte immer noch Schwierigkeiten mit der starken Helligkeit der Oberwelt. Es hatte allein schon acht Monate gebraucht, bis er sich an das triste Licht in der verschmutzten Spelunke gewöhnt hatte.
Hier wartete der Zwerg nun die Jahre auf den Tag an dem er nach Gotschrik zurückkehren würde, um Rache an der Stadt zu nehmen. Doch worauf genau er wartete wusste nicht einmal er selbst. Die Ahnen würden ihn schon leiten und solange konnte er wenigstens was trinken.
Unterdessen verdingte er sich als Söldner, was viele Zwerge oberhalb der Erde taten. Natürlich waren sämtliche Zwerge auf der Oberfläche verbannt worden und hatten sich geweigert in den Gedärmen der Erde unterzugehen und sind stattdessen auf die Oberfläche geflohen, wo sie nun lebten.
Grimmig dreinschauend kippte Muresch sein Bier in sich hinein. Eines musste man dem langen Volk lassen, sie wussten wie man Bier braute oder Met – wie sie es hier nannten. Auch wenn in ihrem Gesöff nicht so viel Dreck und Pilze war, wie die Zwerge es mochten.
Ein Mensch hatte mal behauptet, dass weder das eine noch das andere im Menschenbier enthalten sei, aber diese abstruse Geschichte hatte Muresch ihm nicht abgekauft. Wer sollte diesen Schwachsinn glauben? Wie sollte man Bier ohne Dreck und Pilze herstellen können? Das war ein Ding der Unmöglichkeit und das wusste der Zwerg.
Die anderen Söldner die nicht gerade wegen eines Auftrages losgezogen waren spielten Karten, tranken oder hurten rum, während kleine Sonnenstrahlen durch die stark verschmutzen Fenster schienen. Der beständige Mief aus Schweiß, Urin, Erbrochenem und Alkohol hielt sich heute aus einem unbekannten Grund angenehm zurück. Sonst war es hier nicht auszuhalten ohne einen kleinen Fensterspalt.
Diese – für ihre Verhältnisse doch recht saubere – Idylle wurde durch das plötzliche Aufreißen der Tür unterbrochen. Ein eisiger Wind wehte heulend mit einigen Schneeflocken im Schlepptau herein. Ein magerer Hänfling mit schmutziger Leinenkleidung stand keuchend im Türrahmen. Der Atem des Jungen bildete kleine Wölkchen, während er sich auf einem Schafshirtenstock abstützte. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet, während sein verschwitzter Körper noch zitterte. Ob nun aus Angst oder Kälte ließ sich nicht sagen.
Alle starrten diese spindeldürre Gestalt an, der eine mehr der andere weniger misstrauisch. Alles war ruhig. Schließlich sagte der Junge mit zittriger Stimme: »Ein … ein … ein Drache hat meine ganze Schafsherde gefressen!«
Alles war still. Nur das Heulen des Windes unterbrach die Ruhe. Nach einem langen Moment des gegenseitigen Anstarrens von Gästen und Schafshirten, brachen alle in der Taverne in schallendes Gelächter aus. Manch einer kippte vor Lachen sogar mit seinem Stuhl nach hinten, wobei seine Asse aus dem Ärmel fielen.
»Ein Drache?! Sind wir hier im Märchen?!«
»Der hat wahrscheinlich seine Alte gesehen!«, sagte einer, worauf alle Grölend mit dem Zeigefinger auf ihn deuteten. Mit Ausnahme eines Mannes, der gerade klammheimlich seine Karten in den Ärmel zurückschob.
Schweigend mit zusammengepressten Lippen und hochrotem Kopf verließ der Schafshirte die Taverne. Das Gelächter hielt noch an, lange nachdem er den Ort peinlich berührt verlassen hatte.
Knurrend trank Muresch seinen Met zu Ende. »Drachen, was für ein Blödsinn«, murmelte er zu sich selbst, aber durch das laute Gelächter war es wie ein Flüstern im Sturm.
»Hört auf zu lachen!«, sagte der alte Ezekiel in einem ruhigen – wenn auch grimmigen – Tonfall.
Sofort verstummten alle.
Der Alte saß direkt neben Muresch am selben Tisch, doch der Zwerg ignorierte den Langen wie immer, was auf Gegenseitigkeit beruhte. So war es den beiden lieber. Wer wollte schon lästige Gespräche beim Zechen führen?
Ezekiel wandte sich mit grimmigem Blick an den Haufen raubeiniger Schurken, die ihn ansahen wie den leibhaften Tod. Sein eines Auge ruhte für einen Moment auf jeden einzelnen von ihnen. Der andere Augapfel wurde von einer schwarzen Augenklappe verdeckt.
Früher hatte der Söldner den Namen Knochenbeißer getragen, doch heute im Alter wo er keinen einzigen Zahn mehr besaß war dieser Titel mehr als lächerlich. »Ihr vischt doch gar nischtsch über Drachen. Isch habe mal gegen einen von ihnen gekämpft.«
Der Körper des Kriegers wies etliche Narben auf. Der weiße Wolfsmantel schwang in den Bewegungen des alten Söldners mit. Der Brustharnisch war voller Dellen, Beulen und Kratzern. An einigen Stellen waren schon die ersten Vorzeichen von Rost zu erkennen. Sein zerzauster Rauschebart schaukelte hin und her, als er sich auf einen Tisch stellte, um seine Geschichte zu erzählen.
»Da schtand isch nun! Mit meinem Schvert in der einen und dem Schild in der anderen Hand. Die Beschtie funkelte mich bösche an. Dasch Pfeuer meinesch Lagersch pflackerte im Hintergrund. Und meine Zähne glitzerten in ihrem Schein. Da muschsch ich geschtehen, daschsch dasch die schönschten Beischerchen der ganzen Velt waren. Schie varen schtrahlend weisch. So weisch, dasch schie die Schonne blendeten und … wo war ich? … Wo bin ich hier eigentlich?« Verwundert schaute der Söldner sich um. Das Alter schien seinem Gedächtnis nicht zu bekommen. Nach einem peinlichen Moment des Schweigens fand er den Faden schließlich wieder. »Ach ja. Todeschverachtend zog ich mein Schvert«, seiner Erzählung gleichtuend zog er blank. »Ich wollte esch gerade heben, da trapf mich die Bratpfanne des Veibes am Kopfe und der Kampf var schomit beendet.«
Alle verfielen in grölendes Gelächter. Auch der alte Ezekiel stimmte mit ein und zeigte den Söldnern sein blankes Zahnfleisch. Worauf es noch mehr Gelächter gab.
Ein junger Söldner sah fragend zum Alten auf.
Er war von Natur aus käsebleich mit aschblondem Haar. Eindeutig jemand der hier groß geworden war. Er schien jedoch noch nie körperlich gearbeitet zu haben. Die leichte Lederrüstung war ihm zwei Nummern zu groß und in den gusseisernen Helm hätte sein Kopf zweimal Platz gefunden. Es war ein Wunder, dass er überhaupt sah wohin er lief.
»Wo ist Eure Frau jetzt?«, fragte der Söldner, wobei er mit seinen Astdünnen Ärmchen am Wolfsmantel des alten Haudegens zog.
Alle hielten mit dem Lachen inne.
»Keine Ahnung«, gestand Ezekiel. »Ich habe schie nichʼ mehr geschehen, scheit schie in den Brunnen gepfallen ist.«
»Ist sie …?«, fragte der junge Söldner schockiert.
»Ja«, bestätigte Ezekiel mit einem traurigen Nicken. »Ver hätte auch gedacht, daschsch dieschesch Veibschbild da wieder rausch gekrochen kommt, nachdem ich schie da rein geschupscht hatte.«
Wieder lachten alle. Ezekiel mochte auf den ersten Blick wie ein raubeiniger, hartgesottener Söldner erscheinen, doch seinen Witzen zufolge hatte er eigentlich Hofnarr werden wollen. Dennoch gab es nur wenige die es in einem Kampf mit ihm aufnehmen konnten.
Aufmunternd klopfte der alte Knochen den jungen Söldner auf die Schulter. »Vürschtchen, venn du vas Lernen willst, scholltescht du mich begleiten.«
»Ich heiße nicht Würstchen«, gab der Söldner entrüstet zurück. »Ich heiße Heinrich.«
Ezekiel prustete los. »Bei scholchen Namen schind die Veiber schneller veg, alsch du gucken kannscht. Hascht du eigentlich schon mal mit einer Pfrau …? Du veischt schon.« Ezekiel beäugte Heinrich eingehend mit seinem verbliebenen Auge.
»Was? Keine Ahnung was Ihr meint.«
Ezekiel räusperte sich darauf mit einem »Schon gut. Keine veiteren Pfragen.«
Muresch der die ganze Zeit über keinen Mucks von sich verlauten ließ, hing seinen düsteren Gedanken nach. Unweigerlich führten sie zu jenem schicksalshaften Tag, an dem sein eigener Bruder ihn getötet hatte. Er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht den Dolch des Verrats aus seinem Rücken zu ziehen.
Kaum das der ehemalige Krieger sich an die Lügen und das hämische Funkeln in den Augen seines Bruders während der Verhandlung erinnerte, brandete die Wut ihn ihm auf. Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und fing an mit dem Stuhl den Tisch kurz und klein zu hauen. »Scccccccccchhhhhhhhhhiiiiiiiiiiiiiiiillllllllllllllllllllllllllllllllllllllllljjjjjj«, schrie er dabei in Richtung des Himmels als wenn er ihn mit seinem Schrei herausfordern wolle.
Heinrich beugte sich verschwörerisch zu Ezekiel. »Was ist denn ein Schilj?«
Ezekiel antwortete, während er sich wissend den Bart rieb: »Dasch ischt das zvergische Vort für einen Pfurz, Vürschtchen.«
Darauf nickte Heinrich erkennend mit einem großen »Ah-ha!«
Ezekiel ging auf Muresch zu, der breitbeinig schnaubend dastand und wie von Sinnen auf das zertrümmerte Mobiliar starrte. Seine tätowierte Brust hebte und senkte sich wie ein Blasebalg. Die Nüstern weit aufgebläht, während die Muskeln verkrampft zitterten.
Der Wirt hatte mal versucht, dass Muresch für den Schaden den er verursachte aufkam, doch der Zwerg hatte einhämmernde Argumente gehabt, die den Wirt fast den Schädel eingeschlagen hatten. Seitdem ließ der Wirt es den Krieger für zerstörtes Mobiliar aufkommen zu lassen.
»Zverg Muresch, vir könnten Eure Hilfe gebrauchen.«
»Ich bin kein Zwerg mehr«, knurrte der Krieger wie ein tollwütiges Tier. »Zwerge haben eine Stadt, einen Stamm. Ich habe nichts mehr. Bei den Gedärmen der Erde ich bin sogar an der verdammten Oberwelt.«
Ezekiel öffnete den Mund um etwas zu sagen, schien es sich aber nach einem Moment anders zu überlegen. »Vie dem auch schei. Ich habe einen Aupftrag. Esch geht um eine Eschkorte, die über den Schvarzpaschsch führt. Der Händler – ein alter Bekannter von mir – braucht noch ein paar Leibwächter. Wie wäre esch mit dir und Vürschtchen? Allein schapfpf ich dasch nichʼ.«
Muresch knurrte nur angewidert bei der Erwähnung des Ortes.
Der Schwarzpass verlief mitten durch die Berge. Es war allgemeinhin bekannt, dass die Dunklen über dieses Gebiet herrschten. Dadurch wurde die Route gemieden und als Alternative wurden die Berge oberirdisch durchquert. Was aber auch nicht ungefährlich war. Die Gezeiten tobten wütend auf den vereisten Gipfeln der Welt den Zorn von Göttern gleich.
Muresch wollte gerade ablehnen, als Ezekiel seinen Trumpf auspackte. »Ich veisch, dasch esch ein gepfährlichesch Unterpfangen ist, aber die Belohnung ist virklich pfürschtlich.«
Heinrich hob etwas verlegen die Hand. »Wir sollen wirklich durch die Finsternis? Ich meine, das ist bestimmt gefährlich. Jemand könnte stolpern und auf die Nase fallen. Können wir nicht einfach hierbleiben und uns noch etwas zu trinken bestellen? Ich hatte noch nichts.«
»Die Route durch den Pass ist der kürzeste Weg nach Süden und der gefährlichste zugleich«, sagte Muresch mit düsterem Blick.
»Ja«, ergänzte Heinrich, »Ich werde bestimmt verletzt werden und meine Haut ist sowieso viel zu Zart und die Feuchtigkeit dort bekommt ihr gar nicht. Vielleicht werde ich mir auch einen Nagel einreißen.«
Ezekiel klopfte den jungen Mann auf die Schulter. »Geschprochen wie ein echtesch Vürschtchen, Vürschtchen.«
Entrüstet schüttelte Heinrich die Hand von der Schulter. »Zum letzten Mal, ich bin kein Würstchen! Ich mag die Gefahr nur nicht, verstanden? Wer hätte auch gedacht, dass das Leben als Söldner so raubeinig und gefährlich ist. Können wir nicht lieber mit etwas ungefährlichem für mich anfangen. Ich habe nämlich noch nie gegen jemanden gekämpft. Vielleicht sollten wir kleine Kätzchen von Bäumen retten. Das entspräche eher meiner Fähigkeiten.«
Innerlich schüttelte Muresch den Kopf. Dieser Kerl war wirklich ein Würstchen. Wahrscheinlich würde er nicht einmal lebend den Pass erreichen, wenn sie ungehindert vorankämen. Aber dann müsste er die Belohnung auch nur durch zwei teilen.
»Was ich eigentlich damit sagen wollte,«, nahm Muresch seinen Faden wieder auf, »wenn der Auftraggeber es so verdammt eilig hat und zudem noch die gefährlichste Route wählt, ist die Ware bestimmt illegal. Also müsste unser Sold auch unser Schweigen wert sein.«
Ezekiel nickte bestätigend. »Dasch tut esch, mein Pfreund. Schelbscht venn vir durch drei teilen, kann ich immer noch hundert Huren davon kaufen.«
»Waaaaasssss?!«, fragte Heinrich ungläubig. »Das kann doch nicht Euer ernst sein! Ihr sagtet doch selbst, dass Ihr verheiratet seid.«
Ezekiel zuckte nur mit den Schultern. »Dasch Luder ischt auch nicht mehr dasch, wasch esch mal var.«
»Also wenn weiter nichts ist, dann mache ich mit«, meinte Muresch. Und wenn wir einer Zwergenpatrouille begegnen, werden sie meinen Zorn kennen lernen, dachte Muresch finster. Die Rachegelüste hatten sich über die lange Zeit im unnatürlichen Licht und Dunkelheit tief in seine Seele gefressen. Nichts konnte den Hass auf sein Volk mindern.

Klappernd schlugen die Hufe des Ochsen auf den kalten Steinboden. Das Echo prallte gespenstisch von den Wänden ab. Die Dunkelheit war selbst mit den Laternen so undurchdringlich, dass die Reisenden auf Schritt und Tritt von der Vorstellung verfolgt wurden, dass sie in einen Abgrund stürzen könnten. Nur Muresch konnte durch seine hervorragende Nachtsicht wenigstens die dunkelgrauen Umrisse des Weges erkennen. Dadurch hatte er schon einige Male eine Katastrophe vermeiden können.
Die dunklen Tunnel waren unbearbeitet und zogen sich wie die Natur sie geschaffen hatte durch den Fels. Das waren die Gedärme der Erde. Nicht die Tunnel die von Zwergenhand erschaffen worden waren. Es waren jene Gänge die der Berg in seiner Allwissenheit erschaffen hatte. Diese Gänge waren für die Zwerge heilig und durften niemals durch die Hand sterblicher Kreaturen geschändet werden indem sie mit Hammer und Meißel bearbeitet wurden. Selbst das Höhlengetier wie Spinnen, Fledermäuse und anderes war heilig.
Alle paar Meter spuckte Muresch auf den Boden, denn dieser heilige Stein hatte ihn verstoßen. Wenn ein Zwerg verbannt wurde drehten sich nicht nur die Familien und Freunde von ihm ab. Der gesamte Stein verachtete ihn. Aus seiner felsigen Sicht war der verbannte Krieger ein ungläubiger Sünder der es nicht Wert war auf ihm zu gehen. Die Erde konnte es nicht zeigen, aber Muresch konnte ihre Verachtung praktisch riechen.
»Es ist so dunkel hier und kalt«, sagte säuselte Heinrich. Er stank nach Furcht. Der käsebleiche Söldner hatte sich klein wie eine graue Maus gemacht und schaute sich ständig nervös um.
»Ja«, bestätigte Muresch nun etwas besser gelaunt durch die simple Feststellung des jungen Kriegers. Wie er doch die klamme dunkle Kälte vermisst hatte. »Ist das nicht herrlich? Man riecht auch nichts. Kein Schnee, kein Wind. Oh, wie ich diesen Wind an der Oberwelt hasse. Er ist wie ein unsichtbarer Angreifer der von allen Seiten kommt.«
»Schtimmt. Kein Vind«, bestätigte Ezekiel. Auch er schaute sich beständig um. Seine Gründe entsprangen aber mehr der Wachsamkeit denn der Furcht vor dem Dunkel.
»Könntet ihr jetzt mal endlich aufhören ständig zu reden. Das ist ja nicht zum Aushalten«, grummelte Juhkai der Schmuggler und Auftraggeber.
Muresch registrierte eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Seit seiner Verbannung hatte sich seine Nachtsicht durch die lange Zeit hier unten ohne jegliche Form von Licht verbessert.
»Tut unsch leid«
»Können wir nicht ein bisschen schneller laufen?« Die Knie des kleinen Heinrichs schlotterten vor Furcht.
»Nein, wenn der Ochse den Wagen schneller zieht fällt der … äh, ich meine … dann fällt das Teeservice meiner Großmutter heraus – sie möge in Frieden ruhen.«
»Und eine schlechtere Ausrede ist Euch nicht eingefallen?«, fragte Muresch verächtlich. Diese Riesen waren wirklich ein sehr merkwürdiges Volk. In der Heimat dachten sich die Schmuggler keine Ausreden aus. Sie schmuggelten, mehr behaupteten sie nie. So konnten sie sich auch nie in komplizierten Ausreden verheddern.
Da! Schon wieder ein Schatten! Etwas oder jemand verfolgte sie.
»Pst! Macht euch bereit, Leute. Gleich gibt es Arbeit für uns.«
»Wa-?«, wollte Ezekiel fragen, doch der Alte kam nicht weiter, da schon sämtliche Laternen verloschen. Seltsamerweise gingen die Lichter nicht ganz aus. Die Flammen wurden nur gedämpft – nicht erstickt.
Mureschs Nachtsicht war wirklich besser geworden. Jetzt konnte er sogar die Umrisse der Dunklen sehen. Sie waren hochgewachsen und schlank, aber der Zwerg hatte den Eindruck, dass sie eigentlich größer sein müssten. Gebogene Dolche und Schwerter lagen locker in ihrer Hand. Der Krieger knurrte verächtlich bei dem Gedanken, dass es dann keine Kunst mehr war sie zu töten.
Muresch zog sein Schwert schneller als alle anderen. Besser gesagt, schneller als Ezekiel, da Heinrich und Juhkai sich sofort unter dem Wagen verkrochen. Über den Tag hatte sich allerlei Zorn in dem Zwerg aufgestaut, den er jetzt an der schar Gegner entladen wollte.
Mit großen, ausholenden Schlägen hielt er sich die Dunklen auf Distanz.
Geistesgegenwärtig schnappte er sich eine der halberloschenen Laternen und schwang sie ebenfalls im hohen Bogen.
Vom Feuer verschreckt hielten die Dunklen sich die Hände vors Gesicht. Einige waren sogar so überrascht, dass sie ihre Waffen fallen ließen.
»Los, Leute! Macht es mir nach!«, brüllte Muresch.
Mit einem Schwung trennte Muresch einigen Dunklen die Füße oberhalb der Knöchel ab. Aber der Großteil sprang einen Schritt zurück.
Einem Instinkt folgend warf Muresch sein Schwert ein Stück in die Luft. Durch seine geschärften Sinne schien es in Zeitlupe zu Boden zu schwingen. Als die Spitze zum Boden zeigte, packte der Zwerg den Griff mit einer Hand und stach blind hinter sich. Gerade noch bevor einer der Dunklen sich an ihn heranschleichen und ihm ein Messer in den Rücke rammen konnte.
Betont langsam drehte Muresch sich um. Sein Feind sollte den Hass in seinen Augen sehen. »Du bist nicht der erste, der sowas versucht, Freundchen«, zischte der Zwerg.
Ächzend starb der Schleicher mit dem Schwert in der Brust. Um den Zwergenkrieger zu verhöhnen spuckte er ihm noch sein stinkendes Blut ins Gesicht, bevor er röchelnd starb.
Muresch blieb davon unbeeindruckt. Er stemmte seinen Fuß gegen die Brust des Feindes und zog sein Schwert aus der noch warmen Leiche.
Einem weiteren Instinkt folgend fuhr Muresch seinen rechten Ellenbogen aus, als ein Feind ihm in die Flanke fallen wollte.
Gerade als der Zwerg sich den anderen Gegnern stellen wollte, erklang das Echo eines Hornes, worauf sich die Angreifer wie abgerichtete Jagdhunde zurückzogen.
Muresch wäre ihnen am liebsten hinterhergerannt, doch seine Vernunft siegte ausnahmsweise über seinen Zorn. Es wäre töricht in diese Tunnel zu rennen. Nicht nur dass es ein perfekter Platz für einen Hinterhalt war, es könnte Jahre dauern, bevor er dort wieder auf irgendeine verlorene Seele traf. Wie etwa diesem verrückten Zauberer Liam.
So begnügte der Zwerg sich damit sein Schwert in den verwundeten Dunklen neben ihm zu stoßen. Wie der Zorn eines Gottes jagte die Schwertspitze durch Haut und Knochen – trennte Kopf vom Rumpf.
Nach einigen Augenblicken ohne Waffengeklirr kroch Heinrich vorsichtig unter dem Wagen hervor. »I-ist es vorbei?«, fragte er.
»Ja«, schnaubte der Zwerg enttäuscht und ließ seine Verärgerung auch schon am nächsten Verwundeten aus.
»Varum laschen schie ihre Vervundeten zurück?« Ezekiel hatte drei von ihnen sauber erschlagen. Zwei weitere waren schwer verletzt und würden in den nächsten Augenblicken sterben.
»Das sind Dunkle«, meinte Juhkai, der jetzt ebenfalls aus seinem Versteck hervorkroch. »Seelenlose Ungeheuer. Sie lassen Ihresgleichen immer im Stich.«
Muresch konnte sehen, wie Ezekiel verwundert die Augenbrauen zusammenzog. Er beugte sein Ohr näher an den sterbenden Dunklen. »Scheltscham. Dasch klingt vie Vorte. Esch kommt mir … irgendvie bekannt vor. Aber esch pfällt mir nicht ein. Voher könnte ich diesche Schprache kennen?« Wieder strich der alte Söldner sich nachdenklich durch den Bart, während der Dunkle zu seinen Füßen röchelnd auf dem kalten Boden verstarb.
Muresch hatte noch nie einen von den Dunklen sprechen hören. Sie schrien höchstens, wenn sie im Schmerz badeten.
Der Alte musste es sich eingebildet haben. Wie damals als er partout davon überzeugt war, dass die alte und leichtreizbare Vettel von Bedienung in der Schenke Sturmgrimm seine langverschollene Jugendliebe war die ihn früher verschmäht hatte und er sie unbedingt davon überzeugen wollte was für ein toller Hecht er doch war. Zu seinem eigenen Glück hatte er keine Zähne mehr, die die Vettel einschlagen konnte.
Auch Heinrich schien etwas verwundert. Mit zwei Fingern hob er einen gebogenen Dolch mit gezackter Klinge auf. »Und welche seelenlosen Ungeheuer benutzen Waffen? Dazu noch aus weiterverarbeiteten Erz.«
Muresch wunderte sich einen Augenblick auch über etwas. Diese Dunklen hier waren schwächer und langsamer gewesen, als die auf die er sonst immer getroffen war. Sie hatten noch nicht einmal die Fackeln zum Erlöschen gebracht. Der Zwerg spuckte aus. Wahrscheinlich war er einfach nur ein besserer Kämpfer geworden. »Sie sind allesamt Ungeheuer. Wahrscheinlich haben sie die Waffen ihren toten Opfern gestohlen. Wenn es nach mir ginge würde jeder einzelne von ihnen qualvoll sterben.«

Den Rest der Reise war es unheimlich ruhig. Keine Angriffe. Nicht einmal die Insekten der Höhlen ließen sich blicken. Es fühlte sich an, als wären die vier die letzten ihrer Art auf Erden.
Schließlich strahlte ihnen das schimmernde Licht der Oberfläche entgegen. Das warme Licht der Hoffnung ließ die Beine der Menschen schneller werden. Muresch versuchte sich nicht von der Euphorie mitreißen zu lassen, schlussendlich musste er aber mit seinen kurzen Beinen einen Zahn zulegen, um nicht zurückzubleiben.
Beflügelt von der frischen Luft rannte Heinrich ins Freie und nahm erst einmal einen tiefen Zug vom tobenden Wind der durch seine aschblonden Haare fuhr. Laut ausatmend meinte er, während er sich seinen Mantel wegen der Kälte etwas enger schnallte: »Endlich raus aus dieser muffigen Höhle.«
Auch Ezekiel konnte sich ein zahnloses Lächeln nicht verkneifen.
Juhkai unterdessen untersuchte den Wagen auf etwaige Schäden.
Nur Muresch schaute sehnsuchtsvoll zur Höhle zurück. Er kniff die Augen zusammen, da die Sonne ihn blendete. Wie er die Finsternis doch vermisste.
»Was ist da eigentlich drin?«, fragte Heinrich Juhkai, während er seinen Ellenbogen auf eines der Holzfässer stützte.
»Schmugglergeheimnis«, war alles was er vom angeblichen Händler zu hören bekam.
»Ich ersticke hier drin«, kam es gedämpft aus dem Fass.
»Hat das Fass gerade gesprochen?«, fragte Heinrich verblüfft.
»Nein, das habt Ihr euch nur eingebildet.«
»Nein, ich könnte schwören, …«
Ezekiel schlug Heinrich kräftig auf die Schulter. Dem jungen Mann war der Schmerz sehr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Vürschtchen, du schiehscht so blasch ausch. Liegt dasch am Blutverluscht?«
»W-was?! B-bin ich verletzt?«
»Schicher. Schieh doch!« Ezekiel zeigte auf das unverletzte Knie des jungen Mannes der auf einmal noch bleicher war als sonst.
Am ganzen Leib zitternd versuchte Heinrich auf sein gesundes Knie zu schauen, doch bevor er die Bewegung vollenden konnte, übermannte ihn die gnädige Ohnmacht und er fiel in den jungfräulichen Schnee.
Seufzend stemmte Ezekiel die Hände an die Hüften. »Der Knilch ischt neugieriger und bescheuerter alsch gut für ihn ischt.«
»Ein wahres Wort«, stimmte der Schmuggler zu.
»Könnt Ihr nicht wenigstens noch ein Loch in das Fass machen? Die Luft wird knapp«, kam es leise aus dem Fass.
»Habt Ihr das gehört?«, fragte Juhkai.
»Wasch gehört?«, antwortete der Söldner sofort.
»Schon gut«, sagte der Schmuggler noch.
Er warf den Beutel mit Gold achtlos in den Schnee. Scheinbar war ihm trotz der Bekanntschaft nicht genug an Ezekiel gelegen, als dass er ihm das Gold in die Hand drückte. Schnell setzte er sich auf seinen Karren, spornte den Ochsen mit der Rute zum weiterziehen an und machte sich mit dem Fass, welches ständig um mehr Luft bettelte, aus dem Staub.
Muresch unterdessen hatte all das nicht mitbekommen. Er starrte in die Dunkelheit der Höhle und fragte sich wen er mehr hasste. Die Dunklen oder sein eigenes Volk. Sein Hass wurde nur durch den sehnlichen Wunsch gelindert wieder in die Heimat zu wollen. Sein Hass trieb ihn an und war zu einer Lebenseinstellung geworden. Aber was würde passieren, wenn er erlosch? Wie würde es dann weitergehen können?
Ezekiel gesellte sich zu dem Zwerg und schaute mit ihm in die Finsternis der Höhle. »Scho. Vie kommen vier vieder zurück?«
Die beiden starrten schweigend die Höhle an. Sie kannten die Antwort. Heinrich würde sie sicherlich nicht gefallen.
Unterdessen riss der stürmische Wind den Beutel im Schnee auf. Das dunkle Grau der wohlverdienten Steine stach unter der jungfräulichen Schneedecke stark hervor. Daneben lag der noch bewusstlose Heinrich.


© EINsamer wANDERER


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