Es betrug sich zu keiner Zeit, als der Große Gott einmal nicht lieb war und bemerkte, wie langweilig es sich anfühlte, unfehlbar zu sein. Was seine Geschöpfe auch anstellten, er hatte immer recht, selbst dann noch, wenn er jemandem etwas, auf grausame Weise nahm, das er ihm zuvor einmal als Geschenk übergab, hatte er recht! Denn auch dann war sein Handeln irgendwie nötig gewesen – und sei es auch nur aus einer seiner „Launen“ heraus. Manchmal setzte er sogar, einer seiner Launen wegen, das Schicksal ganzer Planeten auf’s Spiel! Aber was er auch immer tat, anstellte oder beabsichtigte: es war richtig!

So konnte es nicht mehr weiter gehen! Der Große Gott musste eine Abwechslung für sich beschließen. Und da er völlig zeitungebunden war, ließ er sein bereits bestehendes Universum im Zeitraffer ablaufen. Innerhalb von 3 Sekunden hatte es einen langen Bart und nach 4 Sekunden war es bereits rückstandslos, im letzten, riesigen Schwarzen Loch verschwunden! Ein neues Universum befand sich in Vorbereitung…

Der Große Gott überlegte nicht lange. Er schwebte nicht umständlich über den Wassern, er sprach nicht ausführlich „Es werde Licht!“, er duldete keinen Silberstreif am Horizont, nein, er kam sofort, ohne Umschweife, als Philosoph zur Welt!

Zuerst bemerkte er diesen Umstand gar nicht, denn er hatte (auf eigenen Schöpfungsbefehl hin) vergessen, daß er als Philosoph die Oberfläche eines Planeten betrat, der übrigens, der Einfachheit halber „Erde“ hieß. Doch dann, im Verlauf seines ungöttlichen Heranwachsens, wuchs in ihm auch ein Verdacht.

Genau an der Grenze zur Pubertät, fiel ihm ein Umstand zum ersten Mal auf, den er als Gott, der Langeweile wegen, für höchst amüsant gehalten hatte: er irrte sich unentwegt. Das wenigstens versuchten ihm all die anderen Leute andauernd einzuhämmern.

Da gab es welche, die vor gaben, von ihm gesandt worden zu sein,
oder zumindest in seinen Diensten zu stehen. Er kannte sie aber gar nicht! Dann gab es welche, die sich – im Rahmen ihrer Pflichten – berufen fühlten, ihn zu bevormunden. Irgendwie, so behaupteten sie wenigstens, handelten sie ebenfalls in seinem Auftrag.

Hier konnte etwas nicht stimmen! Das, so meinte er nun, würde vermutlich noch einem armen Teufel am Krückstock auffallen. Aber – oh Wunder – er konnte nichts dagegen unternehmen, denn das wichtigste Glied seiner wunderlichen Entscheidungskette, für den Ablauf eines kuriosen, entgöttlichten Lebens, hatte er selbstverständlich total vergessen: vorsichtshalber war von ihm eine Logik-Sperre eingebaut worden! Die besagte: egal, wie vernünftig oder unvernünftig er nun seine vereinfachten Entscheidungen als Philosoph auch immer treffen würde – es würde immer, im entscheidenden Moment, eine Initialzündung geben, die ihn ad absurdum führt!

Das sollte die „Sache“ möglichst spannend machen, denn, auf diese Weise, so mutmaßte er, würde ihm, dem Philosophen, der Denkstoff niemals ausgehen. Unendlich viele Anreize, etwas immer und immer wieder von neuem zu durchgrübeln, würden seiner Kleinkreativität andauernd auf die Sprünge helfen. Wenn er schon keine Galaxien und Zeitzonen erschaffen konnte, keine, in sich geschlossenen, funktionierenden Biosphären, dann wollte er wenigstens keinen Mangel an Aufgaben leiden.

Nun hatte er was er wollte! Und er sah, daß alles gut war! War es das? Offensichtlich war er kurioserweise so weit gegangen, die ihn umgebenden Logik-Rhythmen derart zu perfektionieren, daß sie, bei philosophischer Berührung, auch noch in die absolute Unlogik, wenn nicht gar manchmal in die Idiotie abglitten, nur um ihn zu widerlegen! Aber so lauteten nun einmal die Spielregeln: „ich darf niemals recht haben – auch dann nicht, wenn ich etwas noch so gut durchdacht habe!“ Wie lange also würden diese Regeln (s)ein Spiel gewährleisten, ohne eine gottlose Übelkeit bei ihm auszulösen?

Eines (un)schönen Tages – es mochte in seinen reiferen Jahren gewesen sein – kam er, für einen kurzen Augenblick zu sich, erkannte was geschehen war, und wahrlich, wahrlich, ich sage euch: er musste sich auf der Stelle übergeben! Denn er erkannte, daß er wieder einmal in der völligen Langeweile gelandet war.

Und so besann er sich, noch im Ungöttlichen verhaftet, auf seine Göttlichkeit und…resignierte.“ Das Leben ist einfach zu lang“, philosophierte er noch, „man dürfte einfach nicht zur Besinnung kommen, um sich, Gott oder nicht Gott, ertragen zu können! Als dies aber seine selbsternannten Nichtjünger hörten, fielen sie vom rechten Glauben ab und errichteten Kirchen der Unschuld in allen Ländern der Erde, wo sie noch heute auf eine Erlösung von der Erleuchtung harren und sich, betend, die höheren Weihen der Einfalt zu verschaffen suchen.

Der Große Gott aber herrschte, von Langeweile zu Langeweile, immerfort und immer wiederfort, Welten und Geschöpfe schöpfend und Geschöpftes aus den Augen verlierend, um zu beginnen, was begonnen werden muss, kann, darf, soll, will…


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Das 13. Notizbuch Mose"

Re: Das 13. Notizbuch Mose

Autor: noé   Datum: 29.05.2014 19:50 Uhr

Kommentar: Naja, dadurch, dass er den Menschen geschaffen hat, hat er ja sein eigenes Panoptikum, um einer möglichen Langeweile entgegenzuwirken. Das ist in dieser Hinsicht das perfekte Perpetuum mobile...denn es höret nimmer auf (bis zum großen Knall, wenn er entnervt das Spielbrett vom himmlischen Tisch fegt).
BiSi

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