Liebe Studierende und Freunde des Diagonal-, Überkreuz- und Selbstdenkens,

ich möchte Ihnen heute ein eher absurdes Erlebnis schildern, von dem mir ein Kollege neulich berichtet hat. Alles was er mir erzählte, sei exakt genau so geschehen, versicherte er mir, denn er sei während der gesamten Dauer der Ereignisse gewissermaßen als unmittelbarer Zeuge zugegen gewesen.

Er kam aus einer bayrischen Universitätsstadt an unsere Lehranstalt, aus einer Stadt, in der Coronavorschriften herrschten, die von der betreffenden Stadtverwaltung besonders streng gehandhabt wurden.

In diesem Städtchen kamen eines Tages zwei vollkommen unvermummte Bankräuber in eine Bank und forderten eine der Damen hinter dem Bankschalter auf, sofort alles verfügbare Bargeld in eine ALDI-Tüte zu packen und ihnen zu übergeben. Die Bankangestellte machte den beiden jedoch erst einmal freundlich klar, dass es vorgeschrieben sei, innerhalb des Bankgebäudes eine FFP2-Maske zu tragen. Eine dementsprechende Vorschrift sei ja auch deutlich sichtbar an der Tür der Bank angebracht.

Einer der Bankräuber erwiderte ihr, dass er ein ärztliches Attest besitze, das ihm gestatte, auf Grund schwerwiegender Atemprobleme auch ohne eine Maske am öffentlichen Leben teilnehmen zu können. Außerdem habe er vor dem geplanten Bankraub auch einen Antigen-Schnelltest gemacht, der negativ gewesen sei und den er gerne vorlegen wolle. Damit reichte er der Bankangestellten das Attest und auch das Schnelltestergebnis über den Tresen.

Und Ihr Kollege? Hat der auch ein Attest?“, fragte die Dame, und sie fügte dazu, dass außerdem beide einen aktuellen PCR-Test, und nicht nur einen Schnelltest vorlegen müssten. Einen solchen konnten die beiden Bankräuber nicht vorweisen. Sie sagten, dass die Vorlage eines PCR-Testes bei einem Bankraub ihres Wissens nicht vorgeschrieben sei. Sie hätten trotz sorgfältiger Recherche im Internet keinerlei Hinweise auf eine solche Vorschrift gefunden.

Darauf erwiderte die Dame, dass eine solche Vorschrift in ihrer Bank sehr wohl existiere, man könne sie auch auf der Webseite der Bank finden, und sie sei auch sinnvoll, da die oft ziemlich keimbelasteten Geldscheine eine besonders infektionsgefährdete Situation schüfen. Die beiden sollten doch mit einem negativen PCR-Test noch einmal vorbeikommen. Außerdem sollen sie auch ein Desinfektionsspray mit über 70% Ethanolanteil mitbringen, damit die Geldscheine bei Übergabe keimfrei gemacht werden könnten. „Sie wollen sich doch nicht anstecken, oder?“ meinte sie freundlich. Dann fügte sie noch hinzu, dass sie für den Bankraub doch bitte erst übermorgen vorbeikommen sollten, da morgen die Bank einen „Tag der offenen Tür“ angesetzt habe, und dann viel Betrieb herrsche. „Dann ist immer so viel los, übermorgen kann ich mich Ihrem Anliegen sehr viel besser widmen“.

Am übernächsten Tag erschienen die beiden Bankräuber wieder. Diesmal hatte sie sich eine Strumpfhose übergezogen, jeder ein Bein und darüber trugen sie sicherheitshalber auch noch jeweils eine FFP2 Maske. Die Bankangestellte bedankte sich für diese Vorsichtsmaßnahmen, merkte aber an, dass sie doch bitte darauf achten sollten, anderthalb Meter Sicherheitsabstand voneinander zu halten.

Dies erwies sich wegen der gemeinsamen Strumpfhose jedoch als schwierig. Die Bankangestellte empfahl ihnen den Kauf einer Strumpfhose in Übergröße. Einer der Räuber fragte: „Gibt es denn so große Strumpfhosen? Da müsste die Trägerin ja ein-Meter-fünfzig breit sein. Die Bankangestellte lächelte: „Heutzutage gibt es alles, schauen Sie doch mal im Internet nach Strumpfhosen in Größe XXXXXXL. Ausnahmen von der Abstandsregel gibt es leider nur für siamesische Zwillinge, die ihren Zusammengewachsenenstatus mit einem amtsärztlichen Attest nachweisen können. Ich habe da übrigens noch einen persönlichen Tipp für Sie, kaufen Sie sich doch ein Paar Damenstrümpfe und jeder von Ihnen trägt einen davon“.

Die Bankräuber bedankten sich und verließen die Bank. Am nächsten Tag erschienen sie wieder, jeder mit einem einzelnen Strumpf getarnt und darüber eine FFP2 Maske. Zudem hielten sie jetzt auch den vorgeschriebenen Abstand ein. Sie baten, von der gleichen Dame bedient zu werden, mit der sie schon am Vortag Kontakt gehabt hatten. „Sie war so überaus freundlich“, war ihr Argument, worauf die Dame auch erschien, nachdem sie den vorangehenden Kunden abgefertigt hatte.

Die Bankräuber bemerkten jedoch nicht, dass der Bankdirektor heimlich den unter dem Tresen angebrachten Knopf gedrückt hatte, mit dem die Polizei herbeigerufen werden konnte.

Der Funkwagen fuhr vor, die Polizeibeamten stürmten mit gezogenen Waffen die Bank. Doch sie nahmen lediglich normalen Kundenverkehr wahr, keinerlei Hektik, keine Form einer irgendwie gearteten Bedrohung. Erst als die Bankangestellte unbemerkt von den Räubern Signalgesten zu den Polizisten hin machte und sie damit zu sich herbeiwinkte, traten die Polizisten an ihren Schalter.

Die Bankangestellte sagte: „Diese separat vermummten Herren sind Bankräuber; was jedoch viel schwerer wiegt ist, dass sie vor drei Tagen, als sie bereits schon einmal hier bei mir vorsprachen, keine FFP2-Maske trugen, obwohl das vorgeschrieben ist. Sie hielten auch den vorgeschriebenen Abstand aufgrund einer gemeinsam getragenen Strumpfhose nicht ein, und nur einer hatte ein Attest dabei“.

Einer der Polizeibeamte murmelte vor sich hin, dass es das Problem mit Strumpfhosen seiner übergewichtigen Ehefrau gar nicht gegeben hätte und forderte dann barsch das Attest von dem Bankräuber. Die Bankangestellte unterbrach den Beamten: „Ich habe sein Attest hier, er hat es mir dagelassen! Aber eigentlich ist es nicht notwendig, denn heute tragen ja beide den geeigneten Mund-Nasen-Schutz und halten den vorgeschriebenen Abstand ein“. Der Polizist hängte die Handschellen, die er schon hervorgeholt hatte, wieder zurück an seinen Gürtel.

Die Bankangestellte sagte: „Ich bitte Sie trotzdem, den Herrn zu durchsuchen, um festzustellen, ob er Desinfektionsspray dabei hat, das wir zum Keimfreimachen des Geldscheinbündels bei der Beuteübergabe nutzen können“.

Daraufhin zog der Polizist Gummihandschuhe an und begann den Bankräuber abzutasten. Schnell hatte er die Sprayflasche gefunden. Er studierte die Aufschrift und stellte fest, dass der Inhalt – wie vorgeschrieben – über 70 % Ethanol enthielt, dann suchte er weiter und fand eine Pistole. Als er feststellte, dass diese ganz offensichtlich noch originalverpackt war und deshalb nicht virusverseucht sein konnte, gab er sie dem Bankräuber zurück. Damit verließ die Polizei-Einsatztruppe die Bank und rief im Weggehen der Bankangestellten zu: „Wenn wieder mal was ist, rufen Sie uns ruhig an!“. Dann sprachen sie den Kunden im Schalterraum noch kurz ein Kompliment dafür aus, dass sie Ruhe bewahrt hatten und nicht in unüberlegte Hektik verfallen seien.

Der eine Bankräuber wendete sich jetzt wieder an die Bankangestellte: „Lassen Sie uns jetzt zügig den Bankraub abwickeln“, er zog die Waffe und richtete sie auf die Bankangestellte. Diese lächelte und sagte zu ihm: „Lieber Mann, das ist doch nicht nötig, aber wenn Sie es unbedingt für nötig halten, mich mit der Waffe zu bedrohen, dann tun Sie es. Aber vergessen Sie nicht, die Pistole hinterher zu desinfizieren“. Damit übergab sie ihm die mit Geld gefüllte ALDI-Tüte, und verabschiedete den Mann mit den Worten: „Beehren Sie uns bald wieder. Wir haben da übrigens noch ein günstiges Angebot für zinsstarke Fonds und bieten unseren Kunden sogar ein kostenfreies Aktiendepot. Ich werde Ihnen das bei nächsten Besuch detailliert erklären“. Die Bankräuber bedankten sich und verließen das Bankgebäude.

Der Filialleiter ging hinaus und ergänzte das Schild „Eintritt nur mit FFP2-Maske“ um den Zusatz: „Das gilt uneingeschränkt auch für Bankräuber. Bankräuber ohne ärztlichem Attest weisen wir auf die Möglichkeit hin, ihren Bankraub mit unserem Institut online abzuwickeln. Für Kunden, die zu zweit einen Bankraub mit gemeinsamer Strumpfmaske bevorzugen, halten wir diese Textilartikel in vielen Übergrößen kostenlos bereit“.

Der Kollege versicherte mir, dass das, was er mir berichtet habe, genau so stattgefunden habe. „Die Bankangestellte hat für ihr vernünftiges Verhalten in einer kritischen Situation sogar noch eine Belobigung der Bankzentrale bekommen, sie hat es mir persönlich erzählt“.

Ihnen, liebe Studierende, habe ich diese Episode heute vor allem deshalb erzählt, um Ihnen den Ratschlag zu vermitteln, vor jedem wichtigen Vorhaben zu prüfen, ob Sie alle notwendigen Utensilien mit sich führen, und sich auf alle Vorschriften und Notwendigkeiten vorbereitet haben.

Ich bedanke mich für Ihr interessiertes Zuhören.

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© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Über Bankräuber und Coronamaßnahmen (Episode 118)"

Vortrag 118 des mittlerweise schon fast dem Wahnsinn verfallenen Professors Anatol Hirnzwick.

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