Eine unangenehme Begegnung


Es war Sonnabendvormittags, und ich schlenderte ohne Ziel, durch die große, alte Stadt. Ich schaute mir die Auslagen der Geschäfte an, und sehnte mich bald nach einer Bank. Dort stand ja eine Bank, unter einer alterwürdigen Platane.
Ich setzte mich und sah den Stadttauben zu. Sie verstanden es, sich durch die vielen Leute hindurch zu manövrieren. Ich wurde leicht müde und schloss die Augen.
Ich hörte ganz plötzlich jemanden meinen Namen rufen, Jürgen, Jürgen, Jürgilein.
Ich blickte in die Richtung der Rufe und erschrak fast zu Tode. Nein, das kann
doch nicht wahr sein! Das war unsere ehemalige Nachbarin, die Tante Krause.
Sie schwebte heran und sie umarmte mich derartig, dass mir die Luft weg blieb.
Eine Wolke von Körperschweiß und dem Parfüm „ Moskauer Frühling“ erfasste mich.
Mir wurde ganz schwindelig und ich sank der Krause in ihre Arme, worauf sie rief:
„ Aber Jürgilein, mach mir doch bitte keinen Ärger.“
Ich kannte die Tante Krause schon von Kind her. Sie hatte mittlere Weile die Siebziger erreicht. Uns Kindern spendierte sie immer Werthers Bonbons und
deshalb nannten alle sie, Tante Krause.
Doch wie sah die Tante Krause bloß aus. Ein Flaggschiff von Admiral Nelson war nichts dagegen!
Zwei wehende seidene Schaals umflatterten ihren Hals. Ein großrandiger Brüsseler
Hut fand, mit Ach und Krach, auf ihrem Kopfe Platz. Der Hut war mit weißen Lilien bedeckt. Des weiterem trug sie eine rosafarbige Jacke unter der eine weiße Bluse hervor lugte. Zwei schwarze Röcke, wovon einer eine Goldmusterung hatte, umrahmten das Ganze. Ein Rock war sehr lang, er berührte schon das Straßenpflaster, während der Andere kaum über ihren Allerwertesten reichte. Wie man auf solch hohen, goldenen Stöckelschuhe laufen konnte, kam einem Wunder gleich. Die großen, hornfarbigen Ohrringe hatte sie sich aus Kuba mitgebracht. An beiden Armen trug sie bunte Armreifen, die bei jeder Bewegung hin und her rutschten. Ihr alterndes Gesicht glich einer von Seewasser, Kälte und Wind gepeinigten, weiblichen Galionsfigur. Sie überfiel mich mit einem Redenschwall, den ich beim besten Willen nicht unterbrechen konnte.
Im norddeutschen Raum sagt man zu so einer Person, alte Fregatte oder vornehmer ausgedrückt, ein Hamburger Mädel.

Im Laufe der Zeit hatte sich um uns eine Menschenmenge versammelt und einige Spottbemerkungen wurden gegrölt und gerufen.
Dieses schien der Krause nicht zu interessieren und sie redete weiter.
Zum Glück musste auf diesem Platz ein Getränkeauto mit Hänger drehen.
Tante Krause musste nun wohl oder übel diesen Platz verlassen, aber sie hängte sich bei mir ein. Wir gingen zur Bushaltestelle begleitet von einer jodelten Menge.
Der Bus kam verhältnismäßig schnell. Sie stieg ein und der Bus fuhr los. Die Tante Krause warf mir noch einige Kusshände zu.
Mir war wie neugeboren und etliche Wackersteine fielen von mir ab. Die Menschenmenge zerstreute sich und ich stand schweißtriefend an der Bushaltestelle.
Wie und wann ich wieder nach Hause kam kann ich beim besten Willen nicht sagen.
Am nächsten Tag, beim Frühstück, fragte mich spottend meine Frau, bist du immer
noch fotogen ? Du stehst nämlich mit Tante Krause auf der Titelseite der Rheinischen Volkszeitung.
Die Überschrift über dem Foto lautet – ist das vielleicht nicht schon der Herbst.
Wie konnte dieses Malheur nur passieren und ich war zum ersten Mal in meinem Leben sprachlos.
Ich zog die Schlussfolgerung, nie mehr in dieser Stadt spazieren zu gehen…
















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© Jürgen


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