Die abgebrochene Flugschau


Es war ein früher, frischer Maientag und Samstagvormittag. Am Samstag war eigentlich immer bis 13.00 Uhr Schulunterricht. An diesem Samstag fiel der Schulunterricht aus.
Lehrer Fröhlich musste zur Lehrerkonferenz in die Kreisstadt. Die Lehrerin Fräulein Schmalfeld hatte „Ziegenpeter“ und die Lehrerin Frau Liebig hatte einen Sterbefall in der Familie.
Auf den Stufen zur Drogerie saßen die Jungs Klaus, Georg , Heinz, Gerd, Willi und Hans-Peter, und sie langweilten sich. Die Mädchen Suse, Ingrid und Elfriede saßen etwas abseits auf den Treppenstufen. Vor ihnen auf der Stufe lagen mehrere
Gänseblümchen. Sie spielten, er liebt mich, er liebt mich nicht, und dabei rissen sie immer ein Blütenblatt ab.
Der dicke Willi spuckte immer in den Wind und er freute sich, wenn die Spucke zurück kam. Hans-Peter hatte ein altes Taschenmesser, er schnitzte aufwendig an einem Stock. Die anderen Jungs unterhielten sich über den letzten Mickymaus Film.
Plötzlich und unerwartet sprang der dicke Willi von den Treppenstufen hoch. Hastig sagte er: „ Wollen wir nicht an die Gera gehen und mit dem SMG spielen?“ Worauf
Gerd Klauer, ihr Anführer, antwortete: „ Das macht doch keinen Spaß, da fehlt doch das Schloss.“ Georg machte danach den Vorschlag, Maikäfer von Onkel Fritze zu holen. Alle, auch die Mädchen, waren mit dem Vorschlag einverstanden.
Onkel Fritze war Nachtpförtner in der Papierfabrik, er war allein stehend. Seine ganze Liebe galt den Kindern des Ortes. Die Kinder liebten ihn auch und das kam darin zum Ausdruck, dass sie ihn liebevoll „Onkel Fritze“ nannten.
Onkel Fritze brachte jeden Tag von seiner Nachtschicht Maikäfer mit. Er sammelte die Maikäfer immer morgens unter den Laternen auf, wenn sie vom Tau befallen waren.
Georg rannte wie ein Blitz los, und es dauerte sehr lange bis er wieder kam. Er trug einen Zinkeimer, über dem ein Scheuertuch gespannt war.
Sonst brachten die Jungs die Maikäfer zu Pfarrer Langrock, der diese an seine Hühner verfütterte. Die Hühner legten auf Grund der vielen Maikäfer Windeier, also Eier ohne Schale. Man kann diese Windeier essen, doch das Richtige ist es nicht.
Die Haushälterin des Pfarrers gab den Kindern als Dank schwarze Lakritzestangen.
Alle Jungs und Mädchen ließen die Maikäfer fliegen und krabbeln, aber so eine richtige Freude kam nicht auf. Eine ganze Weile tauschte man sich aus, was jeder im Moment für einen Maikäfer hatte. Bei diesem Betrachten kam die gesamte Handwerkergilde zum Einsatz. Es gab unter den Maikäfern „Schuster,“ „Bäcker,“
und noch viele andere Berufe. Entscheidend war das kleine schwarze Rückenschild,
dass jeder Maikäfer besitzt. Ein schwarzes Schild zeichnet einen Schuster aus und ein weiß durchsetztes Schild einen Bäcker.
So langsam verschwand bei allen Kindern das Interesse an dem Spiel. Da hatte Gerd Klauer den Einfall, die Maikäfer anzubinden und dann fliegen zu lassen.
Mehrere Buben riefen, du spinnst wohl, wie soll das denn gehen. Klauer sagte: „Ich brauche nur Sternzwirn und den kann Hans-Peter doch besorgen.“
Die Mutter von Hans-Peter besaß eine kleine Nähstube. Sie nähte aus Wehrmachtsstoff und alten Stoffresten für die Dorfbevölkerung allerlei Kleidungsstücke. Die Nachfrage war so groß, dass sie oft bis in die Nacht hinein nähen musste.
Hans-Peter brachte sechs Pappsterne grauen Zwirn mit. Nun ging der Spaß erst richtig los.

Die Kinder banden den Zwirn vorsichtig um ein Paar der paarigen Beine, der Maikäfer. Danach wickelten sie den gesamten Zwirn ab, so dass ein langer Faden vorhanden war. Es dauerte immer ein Weilchen ehe die Maikäfer los flogen.
Einige Käfer mussten erst mehrmals angehaucht werden, damit sie wieder zu sich
kamen. Vor ihrem Flug mussten alle Maikäfer erst Luft unter ihre Flügel pumpen.
Einige Käfer drehten nach dem Pumpen einen Kreis, als würden sie sich erst orientieren.
Sie flogen dann schwerfällig davon. Die Maikäfer flogen mit dem Zwirn an ihren Beinen, in die Lüfte.
Auf den Dächern der Häuser saßen schilpend, und sich sonnend, einige Sperlinge.
Die Sperlinge waren wie von Sinnen. Sie flogen den Maikäfern entgegen, und sie freuten sich schon auf solche leckeren Bissen. Aber Pustekuchen! Die Kinder zogen am Zwirn, und die Sperlinge erreichten die Käfer nicht. Nach ein- bzw. zweimaligem Ziehen waren die Beine der Maikäfer ab und sie wurden eine leichte Beute der Sperlinge. Nun wurden andere Maikäfer genommen, und das gleiche Spiel wiederholte sich. Da nur sechsmal Zwirn vorhanden war wechselte man sich mit den Flugdarbietungen ab.
Plötzlich und unerwartet erschien Jungfer Kriemhild Stolzenberg. Sie schrie und schimpfte so laut, dass einige Dorfbewohner ihre Fenster öffneten, und auf die Dorfstraße schauten. Sie drohte den Kindern mit ihrem Stock, den sie immer bei sich
trug. Sie fühlte sich für Alles verantwortlich, da sie im Kirchenrat vertreten war.
Gerd Klauer, ihr Anführer, war der Erste, der Reißaus nahm, gefolgt von der ganzen Kinderschar. Am Ort des Geschehens blieb der Zinkeimer stehen. Die Jacke von Georg und die Söckchen von Ingrid lagen auch noch dort. Die Stolzenberg nahm die Kleidungsstücke auf, und sie schwenkte diese mehrmals siegesbewusst über ihren Kopf. So nahm die Flugschau ein schnelles Ende…,


© Jürgen


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