Servicewüste Deutschland


Heute strahlt man endlich die Dokumentation aus, über die ich mich schon in einem kleinen Bericht meiner Fernsehzeitschrift informiert habe und mit Spannung erwarte. Ich zelebriere die Ausstrahlung wie einen Kinobesuch und stelle mir die üblichen Utensilien wie Eiskonfekt, Cola und Knabberkram bereit.

Unwissend, was mich in der Reportage erwartet, ist es der Titel, der meiner Neugierde eine völlig neue Dimension gibt:
>>Der Kunde ist Dein Freund! Servicewüste Deutschland<<
Natürlich handelt es sich laut Inhaltsangabe mal wieder um desinteressiertes, unfähiges, überfordertes und unfreundliches Verkaufspersonal.
Der größte Teil der Verbraucher ist nämlich der Meinung, dass man nur Verkäufer wird, weil es für einen anderen Beruf nicht gereicht hat. Er ist sich der komplexen Tätigkeit, die wir ausführen überhaupt nicht bewusst und trampelt auf uns herum, wie auf einem achtbeinigen Insekt, dessen Körpermaße mit einer Damenkonfektiongröße von 48-50 gleichzusetzen ist.

Während noch ein paar Minuten bis zur Sendezeit verbleiben, stellt sich mir die ein- oder andere Frage: Wieso teilt man dem Verbraucher nicht einmal mit, dass man mit Anstand durchaus freundlichem Fachpersonal begegnen kann? Glaubt ein Kunde wirklich, nur weil er für ein erworbenes Produkt zahlt, uns gleich mit gekauft zu haben und seine Leibeigenen sind?
Diesbezüglich wäre doch eine Aufklärung sinnvoll und könnte mit Berichterstattungen wie:
>>Verkäufer grüßt man nicht!<< oder >>..schlecht gelaunt
eingekauft...<<
zur Abhilfe diverser Missverständnisse beider Parteien aus der Welt geschaffen werden.

Showtime! Mein Programm beginnt.
Wie ich schon geahnt habe -und ich widerlege mit aller Deutlichkeit hellseherische Fähigkeiten zu besitzen- stellt man einen geleckten Typen "Marke Bachelor" ins Scheinwerferlicht, der sich Verkaufscoach nennt. Jemand, den man antrifft, wenn man eine Immobilie auf Ibiza sucht. Ich bin überzeugt davon, dass er prädestiniert ist, diese auch zu verkaufen. Gerade empfängt er seine Zuschauer allerdings via Bildschirm aus einem Baumarkt. An seiner Seite hat man Dekomaterial in Form eines mit Berufskleidung ausgestatteten Mitarbeiters platziert. Gemeinsam mit ihm lehrt er uns nun effiziente Verkaufsgepräche. Die Begrüßung habe ich dem Couch noch abgenommen, aber was darauf folgt lässt mich an seiner Kompetenz zweifeln. Ich komme ganz schnell zu der Erkenntnis, dass ich es hier ausschließlich mit einem Theoretiker zu tun habe. Überzeugt von sich selbst und seiner Idee, die Unzufriedenheit der Verbraucher zu konkretisieren greift er nun nach dem Ausstellungsstück, dessen Name akkurat auf der Brusttasche seiner Weste gestickt ist und macht sich mit ihm auf den Weg durch die einzelnen Abteilungen.

Die -laut Drehbuch- erste Begegnung mit einem Kunden erscheint mir schon sehr unglaubwürdig. Mal abgesehen davon, dass meine Besuche im Baumarkt ergebnislos verlaufen, wenn es um die Entdeckung eines Mitarbeiters geht, kommt er einem hier direkt entgegen.
Auf Anweisung des Trainers streckt Max Mustermann dem Interessenten die Hand entgegen und heißt ihn mit einem
Satz, der mich nun zum ersten mal nach der Fernbedienung greifen lässt um dieser Komödie ein Ende zu setzen, herzlich willkommen:
>>Guten Tag, mein Name ist Max Mustermann. Mein Fachwissen in der Holzabteilung wird gerne in Anspruch genommen. Wie kann ich Ihnen weiter helfen?<<
Die Kamera stellt wieder den "Bechalor" in den Fokus, der nun sichtlich überzeugt bemerkt:
>>Diese Geste schafft eine vertraute und entspannte Atmosphäre<<.
Sofort stelle ich fest, dass hier nicht nur EIN klitzekleiner Fehler eingebaut ist:
Wie lange soll denn der nachfolgen Hobbyheimwerker entspannt auf Personal warten, während der Verkäufer damit beschäftigt ist, sich bei einem Kunden zu bewerben um ihn anschließend bedienen zu dürfen?
Wieso bietet uns ein Baumarkt hunderte von Arbeitsplatten, Regalbrettern, Holzleisten ect. an, wenn die Jungs bei solch einer Ansprache sowieso nur zwei bis drei Teile täglich an den Mann bringen können? Wenn ich mir so überlege, wieviel Zubehör man, außer einer Arbeitsplatte, noch braucht um seinen Arbeitsplatz in der Küche fachmännisch zu gestalten, wundert es mich nicht, dass Herr Mustermann Stunden damit beschäftigt ist nur einen Kunden zufrieden zu stellen. Es erklärt vor allen Dingen, warum ich nie einen hilfsbereiten Mitarbeiter finde.
Ich habe das Gefühl, die laufen vor mir weg.
Ich kenne seine Signalrote Weste abseits der Dreharbeiten nur von hinten und was man darauf, wenn man nicht gerade kurzsichtig ist, lesen kann ist wirklich Kundenfreundlich:
>>Ich helfe ihnen gerne<<
Allerdings würde ich darunter noch folgenden Hinweis geben:
>>Vorausgesetzt....Sie sind schnell genug!<<
Das wiederum wäre ehrlich!
Sollte man es doch schaffen, einen dieser Herren zu fangen, liest man auf seiner Brusttasche wahrscheinlich nicht seinen Namen sondern die Information:
>>Bitte wählen sie einen anderen Mitarbeiter<<
oder
>>Glückwunsch! Sie haben ihr Ziel erreicht.<<
Selbstverständlich ist das reine Spekulation. Bestätigen kann das nur ein flinker Kunde, den ich persönlich noch
nicht kennen gelernt habe.
Fakt ist, dass der Verbraucher, egal welche Dienstleistung er gerade in Anspruch nehmen möchte, niemals über Zeit verfügt. Lässt man ihn länger als drei Minuten warten, wird er mit hundertprozentiger Sicherheit das Personal als lahmarschig, unflexibel, inkompetent oder fehl am Platz betiteln und feststellen, weit länger als dreißig Minuten gewartet zu haben.
Herr Mustermann wird auch bestimmt nicht zum Mitarbeiter des Monats gekürt wenn er sich stundenlang an einem Produkt aufhält, für dessen Warenwert es sich kaum lohnt, die Farbpatrone der Kasse zum Einsatz zu bringen.
Ist es eventuell möglich, dass sich ein Kunde in einem Verkaufsraum mit fünfzehn Fachabteilungen, circa hundertzwanzigtausend Produkten und nicht selten fünfzehntausend Quadratmeter Verkaufsfläche verläuft und gar kein Holz sondern Gardinen sucht?
Begleitet ihn der Holzwurm daraufhin bis ans andere Ende der
Filiale, obwohl es nicht sein Fachgebiet ist? Hat er dann sein kundenorientiertes Bewerbungsgespräch umsonst herunter geleiert? Ist er in der Lage mir nicht nur Kiefer oder Teak zu verkaufen, sondern auch die Vorzüge von Organza- oder Baumwollstoff zu vermitteln?
Wieviel Fachwissen mutet man uns eigentlich zu? Wieso wird unsere Überlastung nicht in Dokumentationen zum Ausdruck gebracht?

Es ist völlig aus der Luft gegriffen, zu behaupten, der Kunde ist mein Freund. Egal, wie versiert wir auf ihn zugehen, eine Freundschaft kommt im Verkaufsraum eher selten, wenn nicht nie zustande. Den Verkaufscoach in allen Ehren, aber es gab noch nie Jemanden, der soviel psychologisches Einfühlungsvermögen besessen hat um König Kunde und Depp Dienstleister einander sympathisch zu machen.
Es ist genauso aussichtslos, wie das Warten auf die Meisterschale “Auf Schalke“!
Ich sehe es realistisch: Mit dem Kunden ist es wie mit der Verwandtschaft. Man kann sie sich nicht aussuchen, aber bei einem Zusammentreffen macht man das Beste daraus.
Seltsamerweise ist es immer der gleiche Typ Mensch, der sich für autorisiert genug hält, uns die erforderliche Serviceleistung nahe zubringen. Ein in Rhetorik glänzend ausgebildetes Wesen, das man nur mit einem Duden unter´m Arm verstehen kann. Bei dessen Wortwahl es nicht verwunderlich ist, auf der Suche nach einem Anti-Statik-Tuch das Geschäft doch mit einem Staubsauger zu verlassen. Wie lange diesesVerkaufsgespräch tatsächlich dauern würde, lassen wir einfach außen vor.
Sehe ich mich als Kundin, sehe ich folgendes: Ich möchte eine Arbeitsplatte. Schnell! Günstig! Weiß! Ein Meter fünfzig lang! Für mich eine aussagekräftige Anforderung, die Herrn Mustermann erlaubt, mir zügig ein Exemplar zu zeigen um sich weiteren Wartenden zu stellen. Wem bringt es wirklich etwas, wenn er mir sein ganzes Wissen über dieses Stück Holz vermittelt und mich aufklärt:
>>Sicherlich haben sie schon ein Exemplar ins Auge gefasst. Wenn ich aber -unter Freunden- einen Tipp geben darf, würde ich gerne mit ihnen unsere GretaLit Hochdruckplatte -bestehend aus kunstharzgetränkten Kraftpapieren und deren Oberfläche aus bedruckten oder durchgefärbten Dekorpapieren, die mit hochwertigen reinen Melaminharzen imprägniert werden- als Schmuckstück unserer sehr großzügigen Angebotspalette anvisieren.<<
Aha!? Im schlimmsten Fall verlasse ich jetzt ohne mein gewünschtes Produkt den Laden, weil ich mich entschlossen
habe, erst einmal zu googeln.
Bei all dieser Aufregung, die mir diese Berichterstattung zugemutet hat, habe ich mein Lunchpaket komplett verzehrt und der Liter Cola fand den Weg zu meiner Blase schneller als erwartet. Und so kam es, dass ich den Schluss dieser Comedy-Show
verpasst habe. Gerade das Ende wäre doch so wichtig gewesen.
Fragen bleiben unbeantwortet: hat der Aushängeverkäufer am Ende seines Arbeitstages nun mehr Freunde gefunden als ich bei Facebook, oder stehen die frustrierten Ignorierten -immernoch wartend- mit Handgranate bewaffnet vor der Eingangstür?
Immerhin war diese Doku ein Anreiz für mich, dass Verhalten von mir und meinen “Freunden“ zu analysieren.


© Vera Falkenberg


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