Ich träumte stark. Nachts war ich ständig unterwegs und dabei spielte es keine Rolle, in welcher Umgebung ich meine ausgewählten Traumgestalten traf. Die Hälfte meiner Träume entwickelten sich als Abenteuer, in denen ich auf der Suche (nach irgendetwas oder irgendjemanden) war und als ob dies noch nicht genügte, jagte mich mein Albtraum in der restlichen Zeit rund um den Globus.

Sicherlich ist es aufgrund dieser extremen Aktivitäten leicht zu verstehen, dass ich am frühen Morgen Hunger verspürte und mein Frühstück so opulent ausfiel, dass ich mich den Rest des Tages träge fühlte. Während meiner nächtlichen Ausflüge gab es einfach nichts zu essen und genau darin lag das Problem.

Wie herrlich wäre es doch gewesen, zwischendurch einen kleinen Imbiss zu sich nehmen zu können. Mit frischer Kraft wäre es mir leicht möglich, den wilden Abfolgen meiner Traumsequenzen zu folgen und am Morgen erfrischt aufzuwachen. Doch träumte ich nie von einem Kiosk oder gar einem Schnellrestaurant. Es schien, als wären solche Einrichtungen in meinen Kulissen schlichtweg vergessen worden. Doch schließlich löste ich dieses Problem.

Als mich der Gedanke durchzuckte, dass alles, was mir in der Nacht begegnete, durch den Einfallsreichtum meines Kopfes entwickelt wurde, kam mir die Idee. Ich stellte mir einen mobilen Traum-Snack-Automaten vor. Ein Gerät, das mir immer und überall zur Verfügung stehen würde, so dass ich des Nachts immer etwas zum Essen bekommen könnte. Welch wunderbarer Gedanke!

In der folgenden Woche durchdachte ich meine Erfindung immer wieder und entwickelte sie in ihren notwendigen Details weiter. Ich wandte sogar Gedächtnisübungen an, dass mir dies verführerische Gerät möglichst tief ins Unterbewusstsein einsacken konnte. Es funktionierte ausgezeichnet. Wäre einer Nachmittags-Schlaf-Probe dachte ich für einen Augenblick an den Automaten und schon stand er in der Kulisse meines Traumes herum.

Ich hatte ihn so konstruiert, dass er ohne Geld funktionierte (die Vorstellung, nichts aus dem Apparat zu bekommen, weil ich im Traum kein Geld besaß, war mir unerträglich). Ich konnte also problemlos ein Käse Sandwich wählen.

In der Nacht zog ich eine Weile durch die Traumwelt und wie das manchmal eben ist, traf ich sogleich meinen schlimmsten Albtraum. Der Alb schien auch erfreut und war sofort bereit, mich durch die Nacht zu hetzen.

Da ich wusste, dass solche Verfolgungsjagden ziemlich lange andauern können, glaubte ich, dass eine kleine Stärkung vorab nicht schaden könne und schon ploppte mein Traum-Snack-Automat ins Bild hinein.
Scheinbar war mein Alb solch unkontrollierte Handlungen nicht gewohnt. Er hielt einen Augenblick inne und fragte mich, was das denn sei. Ich erklärte ihm, dass unsere geplante Jagd viel besser zu ertragen wäre, wenn man etwas im Magen habe. Mein Alb schien diese Antwort einzuleuchten und fragte mich, ob es denn möglich sei, sich halbe Hähnchen in den Automaten zu denken.

Das lehnte ich jedoch ab. Immerhin war es mein Traum und meine Snack Station und diese bestückte ich mit dem, was mir schmeckte. Das sah mein Alb natürlich ein. Jeder habe das Recht auf eine freie Entscheidung, erklärte er mir. Ebenso wie er beschließen könne, mich in dieser Nacht endlich zu erwischen. Letztendlich bin ich ein Mensch, der gerne teilt und so ein Alb muss schließlich auch leben. Was bedeutete schon ein halbes Hähnchen? Mir nicht viel und ihm schmeckte es.

Nach unserer Jagd (wir unterbrachen sie immer wieder für kleine Rastzeiten am Snack Automaten) fragte mich mein Alb, ob ich den Apparat jede Nacht aufs Neue mit mir hereinschleppen wolle. Viel bequemer sei es doch, ihn für die paar Stunden in der Kulisse stehen zu lassen.

Ich fand die Idee hervorragend, zumal es ziemlich lästig war, vor dem Einschlafen immer an den Automaten denken zu müssen. So ging ich auf den Vorschlag ein.

Ich weiß nicht, inwieweit bekannt ist, dass Albs über ein außerordentliches handwerkliches Geschick verfügen und dabei eine schier unbegrenzte Phantasie an den Tag legen können. Nun, sie sind darin jedenfalls wahre Meister und mein Alb hatte sich darauf konzentriert, meinen Traum-Snack-Automaten ein wenig zu modifizieren, wie er es nannte.

In der nächsten Nacht fanden sich in fast allen Schubladen Bratwürste, Schinken, Torten, Gebäck und sogar ein spezielles Fach mit Spagetti Bolognese. Doch hatte der Alb freundlicher Weise auch an mich gedacht und in einem kleineren Fach Käse Sandwiches eingelegt. Er erklärte mir, dass wir uns in einer freien Traumwelt befänden und es doch wirklich nicht angehe, dass außer diesen kargen Broten nichts weiter zu wählen gewesen sei.

Auf meinen Einwand, dass seine Auswahl vielleicht ein wenig zu einseitig sei erklärte er mir, dass er ja schließlich nichts dafür könne. Immerhin wäre ich es ja gewesen, der ihn durch meine unterdrückte Persönlichkeit überhaupt erst erschaffen habe und wenn ich es nicht wagen würde, mich von Würsten und Torten zu ernähren, müsse ich mich eben damit abfinden, dass er es tat. Ich entgegnete ihm daraufhin, dass ich bislang der Meinung war, dass Albträume immer etwas mit Angst zu tun haben und ich solch ein Gefühl keinesfalls gegen Bratwürste empfinden würde. Mein Alb meinte jedoch, dass ich ihm hier in dieser Welt keinesfalls mit Logik ankommen solle. Das habe noch nie zu etwas geführt.

Ich musste ihm natürlich Recht geben und in dieser Nacht dehnten wir unsere Pausen ein wenig aus, dass die wilde Jagd eher einem gemächlichen Spaziergang glich.

Der Alb erzählte mir, dass er eigentlich als ganz einfacher Traum angefangen habe. Er wäre ein Funken Hoffnung gewesen, der mit der Zeit jedoch verdrängt worden sei, dass ihn gar nichts anderes übrig blieb, als ein Alb zu werden, um nicht vollends verloren zu gehen.
Ich sagte ihm, dass es mir Leid täte. Er aber meinte, es mache nichts. Er wäre lieber ein Alb als ein unerfüllter Traum. Die hätten wirklich Probleme! Er hingegen hätte es doch ganz gut. Immerhin könne er aktiv sein und ich überließe ihm vollkommen die Gestaltung unseres Zusammentreffens. Seine Kreativität könne er sich bei mir voll ausleben und außerdem würden wir ja nun über hervorragende Verpflegung verfügen.

Zu meiner Überraschung standen in der folgenden Nacht eine ganze Reihe neuer Snackautomaten in der Kulisse. Sie sahen ein wenig anders als mein Ursprungsgerät aus und in den Fächern wurden nun auch Obst und Gemüse angeboten.

Zunächst dachte ich, der Alb hätte sich meine Bedenken zu Herzen genommen, doch erklärte er mir, dass diese Geräte ausschließlich für die Veganer unter den Traumgestalten gedacht seien. Es wäre doch wirklich eine Schande, wenn wir beide nur an uns denken und all meine anderen Traumgestalten außer Acht lassen würden. So hatte der Alb sich tagsüber mit dem Automaten beschäftigt und eine ganz neue Serie entwickelt, die nun die Bedürfnisse aller Traumwesen befriedigen würde.

Mein Alb war ein wirklich soziales Wesen und in den Augen der anderen Gestalten meiner Träume wuchs sein Ansehen enorm. Von nun an verbrachten wir die Nächte beim Imbiss. Es war egal, welcher Traum sich gerade in meinem Kopf entwickelte, immer stand ein Snack Automat herum und die Traumwesen, welche eigentlich zu meiner nächtlichen Unterhaltung und Verarbeitung der Eindrücke erschaffen worden waren, winkten ab, kaum, dass ich in ihrer Welt erschienen war. Da sie in dem Augenblick zum Leben erwachten, wenn ich an sie dachte, verspürten sie auch nur dann Hunger. Und so kam es, dass in jedem Traum gerade Imbisszeit war, wenn ich erschien.

Nun, im Laufe der Zeit wurden solche Träume natürlich langweilig. Ganz abgesehen von dem Umstand, dass ich tagsüber fast kaum noch einen Bissen herunter bekam. Ich ekelte mich fast vor dem Essen.
Mein Alb wurde derweil ein wenig dekadent. Er hatte sich einen eigenen Snack Automaten direkt auf dem Dach eines achtzehnstöckigen Hochhauses hingestellt (mein Lieblingsort, um herunterzustürzen und aus dem Schlaf aufzuschrecken, kurz bevor ich auf dem Boden aufschlage) und lag auf dem Rand des Daches, während er sich Unmengen an Hähnchen und Burger hineinstopfte (in einem unbedachten Augenblick hatte ich an Hamburger gedacht und somit seine Existenz der Traumwelt verraten. Ein nicht zu verzeihender Fehler).

Als ich ihn fragte, ob er mich denn nicht das Hochhaus hinunterstoßen wolle, erklärte er mir, dass es damit ja noch Zeit habe. Man solle nichts überstürzen, der nächste Traum komme ja bestimmt und bis dahin würde er einen neuen Texas-Chilli-Super-Burger, den er sich persönlich ausgedacht hatte, probieren.

Wenn er sich dazu herab ließ, mich gelegentlich doch zu jagen, spürte ich eine gewisse Lustlosigkeit und die Angst, die mein Alb eigentlich erzeugen sollte, stellte sich bei mir nicht ein. Als ich mich diesbezüglich bei ihm beschwerte, meinte er, dass ich von meinen Träumen einfach zu viel erwarten würde. Ich solle froh sein, dass sich meine Traumgestalten so wohl fühlten und er selber würde sogar wieder ein Fünkchen Hoffnung verspüren. Ich solle meine Schlafenszeit also einfach genießen und entspannen.

Auch in den übrigen Kulissen war recht wenig los. Die Un- oder Bekannten saßen zusammen und aßen, während sie mich fast nicht beachteten. Ich gebe zu, dass solch eine Traumwelt recht unbefriedigend war. Wer wird schon gerne von seinen eigenen Träumen ignoriert? Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass allein der Traum-Snack-Automat die Schuld daran trug und die Idee vielleicht nicht die beste gewesen war.

Während eines spontanen Mittagsschlafes, sammelte ich sämtliche Apparate in all den Kulissen wieder ein, noch ehe meine Traumwesen bemerkten, dass ich ihre Welt überhaupt betreten hatte. Mein Alb, der sich inzwischen mit dem Gedanken trug, das erste Traumwelt Restaurant in meinem Kopf zu eröffnen, war ohnehin nachtaktiv und somit nicht zugegen, als ich sämtliche Gedanken an die Traum Snack Automaten für immer aus meinem Gedächtnis löschte (das ist gar nicht so schwer, versuchen sie sich einmal daran zu erinnern, wohin sie ihre Brille gelegt haben – falls sie eine Brille tragen).

In der Nacht beschwerte sich mein Alb natürlich bei mir. Die Traumwelt sei eine freie Lebensform, in der sich jeder ausleben könne, wie es ihm gefiel. Ich würde mich wie ein Diktator aufführen und dies könne er auf keinen Fall so hinnehmen. Doch in dieser Beziehung blieb ich stur. Mochte mein Alb mich für einen Diktator halten, mochte ich sein Fünkchen Hoffnung zerstören! Letztendlich waren mir meine Träume wichtiger als der Seelenfrieden eines verklemmten Albtraums.

In der ersten Zeit war mein Alb während der Verfolgungsjagden noch ein wenig träge. Doch langsam kam er wieder in Form und ich spürte eine Entschlossenheit in ihm, die mir vorher unbekannt war. Möglicherweise saß der Verlust des Traum-Snack-Automaten noch tief in ihm und ich hoffte, dass mein Alb keine Albträume davon bekommen würde. Ich jedenfalls ängstige mich wieder, wenn ich ihn traf und das reale Gefühl meines Traumes war mir mehr wert, als ein gelegentliches Käse Sandwich aus dem Traum Snack Automaten.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Von der seltsamen Beziehung meines Albtraums und mir"

Re: Von der seltsamen Beziehung meines Albtraums und mir

Autor: axel c. englert   Datum: 06.10.2014 21:52 Uhr

Kommentar: Lieber Mark!

Kishon selbst wäre glücklich gewesen, eine derart stupende Geschichte ersonnen und geschrieben zu haben.

Einzig der Titel hat mich etwas irritiert – die „Beziehung“ zu MEINEM Albtraum Bertha Krause erweist sich in der Tat als relativ kompliziert…

LG Axel

Re: Von der seltsamen Beziehung meines Albtraums und mir

Autor: Mark Gosdek   Datum: 07.10.2014 7:24 Uhr

Kommentar: Vielen Dank, Axel. Ja, der Titel ist ein wenig sperrig. Aber ich dachte mir, dass sind meine Träume auch, also was soll´s :-) LG Mark

Re: Von der seltsamen Beziehung meines Albtraums und mir

Autor: noé   Datum: 11.10.2014 9:31 Uhr

Kommentar: Logikfehler:
Erst als Du an Hamburger gedacht hast, tauchten sie in der Traumwelt auf. Das geht in Ordnung. Aber: Wenn Du vorher nur als "leiche Kost" wie Käse-Sandwich gedacht hattest - woher wusste "Dein" Alb dann von der Existenz als der anderen dekadenten Sachen wie Hähnchen und Spaghetti Bolognese?
Und Anmerkung:
Kann nicht das Einen-Alb-All-Dies-Verspeisen-Sehen in sich schon einen Albtraum darstellen?
Und: Sei froh, dass Du die Apparate hast abbauen können, denn sonst wäret ihr beide schließlich nur noch durch die Gegend gekullert, was wohl mehr an Kegeln als an Fangen-Spiele erinnert hätte.
Schöne Story, prima skurril mit sehr angenehmem Augenzwinkern, Magnus.
noé

Re: Von der seltsamen Beziehung meines Albtraums und mir

Autor: Mark Gosdek   Datum: 12.10.2014 19:07 Uhr

Kommentar: Da hast Du Recht, Noé. Ich sage ja, eine wirklich komplizierte Beziehung mit meinem Alb. Wer weiß, wer ihm von den Spaghetti und dem Hähnchen erzählt hat. ICH war das nicht! Danke schön, Noé. Mark

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