Wie so oft: es ist dunkel und ich bin auf der Autobahn. Das Radio läuft und versorgt mich mit Informationen aus der ganzen Welt. 20:10 Uhr! Ein Feature zum Thema Haustiere. Gespannt folge ich dem Beitrag über gute deutsche Haushalte und ihre vierbeinigen Mitbewohnern. Im Großen und Ganzen nix Neues über die Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Meine Gedanken reisen schneller als mein Auto zulässt und sind schon bei meinen Vier- und Zweibeinern zu Hause. Wenn ich das Gartentor aufmache beginnt das wöchentliche Freitagabendritual. Es rappelt in der Wohnung, es bellt in der Küche 16 Beine rennen über Laminat, Fliesen und Teppich und ich öffne die Terrassentür. Es wuselt um mich herum ohne dass ich weiß, wo ich zuerst kraulen soll. Also greifen meine Hände nach allen vorhandenen Köpfen und streicheln circa 2 Sekunden pro Kopf. Das dauert, da aus den real vorhandenen Hundeköpfen durch absolute Schnelligkeit gefühlte 200 Köpfe werden. Das macht circa 400 Sekunden, genügend Zeit um dem Zweibeiner im Haushalt mitzubekommen, dass ich da bin. Sie kommt nicht schwanzwedelnd zur Tür, verlangt aber auch einen Knutsch und mindestens genau so viel Streicheleinheiten.
Geschafft von der Woche und den langen Stunden im Auto liege ich im Bett. An meiner rechten Seite liegt Ayka, links von mir Alli (ein echter Anstandswauwau, denn durch sie ist es unmöglich mit meiner Gutsten zu kuscheln), an meinen Füßen liegt der Balu, hinter Alli liegt wie schon nebenbei erwähnt meine Zweibeinige Freundin und dich an sie gekuschelt liegt die Lotte. Mit möglichst wenig Bewegungsaufwand streicheln Hände und Füße direkte und indirekte Nachbarn in den Schlaf, während uns nieveauvolle Unterhaltung des Freitagabendprogrammes uns langsam in den in der Woche vermissten Schlaf treibt. Draußen sind 4°C aber eine Heizung ist überflüssig, da genügend Kilowatt Heizleistung unter meiner Decke schlummern. Ich hörte in einer der Minuten zwischen A14 und A4 einmal, dass ein durchschnittlicher Mitteleuropäer mit circa 180 Watt seine Umwelt mit Wärme versorgt. Bei 2,4 Watt pro Kilo Körpergewicht konzentrieren sich in unserem Schlafzimmer 600 Watt Lebendheizkörper, was die Temperatur zum Schlafen auf ein fast unerträgliches Niveau anhebt, was übermäßigen Bedarf an Getränken führt. Dieses bleibt natürlich auch nicht ohne Folgen, da man alle 2 Stunden aufstehen muss um diese Mengen an Flüssigkeit wieder dem Kreislauf der Natur zurückzuführen. Am nächsten Morgen ist man dann zwar noch müder, aber glücklich.
Ein gutes Frühstück, die Grundlage eines erfolgreichen Tages auch für die Hunde. Ein durch vierstimmiges Gewinsel begleitetes Gewusel, während man durch die Wohnung hechtet um alle notwendigen Näpfe einzusammeln. Diese Handlung ist erst der Vorgeschmack auf den Moment, in dem man mit vollen Näpfen zurückkommt. Der Versuch ohne Beinbruch die gefüllten Schüsseln richtige Reihenfolge an den angestammten Stellplätzen zu postieren gleicht Morgen für Morgen und Abend für Abend einem Wunder, aber es schult die Reflexe ungemein. Jetzt ist an der Zeit für ein schönes zweisammes Frühstück für Zweibeiner mit frischen Brötchen und Kaffee.
Auch die Hunde brauchen jetzt noch einen kleinen Vormittagsschlaf, denn das ist ja ihre tägliche Beschäftigung während meine Gutste ihre Vormittagsschicht absolviert. Nach einer Stunde Tiefschlaf können wir erfolgreich die Waagerechte verlassen, da der Frühstückskaffee endlich seine Wirkung entfaltet. Doch die nächste Herausforderung wartet schon. Eine Links, zwei Rechts und eine Vorn. Das ist kein Strickmuster, sondern die Sitzordnung der Wuffels im Auto. Aber erst anziehen. Welcher Kopf wackelt mit gleicher Frequenz wie die Schwänze gerade in das richtige Geschirr. Ich bin froh, dass wir diese modischen Assessors in verschiedenen Farben erstanden haben, dann sehe ich wenigstens, dass das falsche Teil am falschen Hund hängt. Nach einem kurzen Kampf sitzen doch alle Hunde korrekt und stylisch gekleidet vor dem Tor. Der praktische Teil dieser Geschirre besteht nicht nur darin, dass man seine Hunde mit mehr oder weniger passenden Sprüchen beschriften kann, sondern sie statten den in den Gurten festsitzenden Hund mit einem Henkel aus, auf dessen Stabilität manch Markenkoffer neidisch werden könnte.
Immer noch wackelt die Rasselbande vor dem Gartentor und ich beginne mit der Verladung, während meine Gutste ihre Gummistiefel über ihre zarten Füßchen streift. Ich greife in die Menge und schiebe als erstes Alli in die rechte Hälfte des Kofferraumes, während die gute alte Ayka mit Schwung von der linken Seite der hinteren Stoßstange abrutscht. Schnell schiebe ich mit einem Griff das Hinterteil nach und sie sitzt sicher im Auto. Ein weiterer Griff hinter das Gartentor und ich lenke Balu in Aykas Abteil des Kofferraumes. Mit Lotte ist das einfacher, da sie nach kurzer Schnüffelei in der unumzäunten Freiheit freiwillig in den Fußraum vor den Beifahrersitz springt. Nur noch eine kurze Diskussion zwischen meiner Gutsten und Lotte wer auf den Sitz und wer davor gehört und unsere Fahrt zum mittäglichen Workout beginnt mit einer akustischen Untermalung durch Balus zartes Stimmchen. Leider klingt sein Lied genauso wie Meines, wenn ich einsam in meinem Auto singe. Allerdings sitze ich dann allein innerhalb dieser doch etwas beschränkten Räumlichkeit und bin froh, dass mir keiner zuhören muss. Leider sieht dies Balu etwas anders. Er ist von seinem musikalischen Talent genau so überzeugt, wie ein völlig unbegabtes menschliches Nebelhorn vor der DSDS-Jury. Schon nach der ersten Ampel beginnt der leichte Kopfschmerz, welcher linear zur Entfernung vom Gartentor anwächst. Meine Gutste übernimmt die Rolle der Jury und versucht ihn davon zu überzeugen, dass der Plattenvertrag mit dieser Qualität des Gesanges und Gebells weiter weg ist als der Mond. Und genau wie bei den meisten Castingshows glauben die kritisierten Kandidaten der fachkundigen Jury nicht und beginnen gegen den Willen der anwesenden Mehrheit mit der Darbietung des nächsten Titels. Jetzt versucht auch die Jury die Lautstärke des Künstlers zu überbieten und ich vergesse meine atheistische Weltanschauung und bete, dass ich nicht gezwungen werde diese Komposition mit meinem Gesang zu übertönen.
Noch 500 Meter Feldweg raus aus der Zivilisation und ich bin froh endlich Schall und Getier der Enge des Autos entweichen zu lassen. Mit einem Schlag sind die künstlerischen Ambitionen von Balu vergessen und alles schwärmt in Richtung Feld um in relativer Privatsphäre sein Geschäft zu verrichten. Auch bei mir fängt die Blase an zu drücken und ich frage Balu ob ich seinen Stammbaum mitbenutzten kann. Alli wedelt und verlangt unmissverständlich ihren Ball und 3 Hunde stürmen entlang der Flugbahn über das regennasse frisch gepflügte Feld. Der Schlamm spritzt in alle Richtungen und die ersten 30 Prozent der Hundeoberfläche färbt sich in denselben Farbton wie er von der Oberfläche des Feldes in Richtung Himmel geschleudert wird. Dasselbe Spiel mit Balus Ball. Er ist allerdings so nett und lässt ihn nach drei Apportierungen am Ende ihrer Flugkurve im Schlamm liegen, weil der zarte Duft eines Mauseloches seine Riechnerven streift. Ich stampfe Richtung Furche 12 und das saugende Geräusch meiner Schuhsohlen lässt mich darüber nachdenken ob die Einheit von Sohle und Oberleder meiner guten alten Armeestiefel weiterhin Bestand hat oder sie gleich Deutschland 1949 die Trennung vollziehen. Leider währe bei meinen Knobelbechern aus Zeiten der getrennten Deutschen eine Einheit im Gegensatz zum Land nicht mehr zu erreichen. Ich erreiche dennoch den Ball mit vollständigem Schuhwerk und beginne den Rückweg in Richtung meiner Gutsten. Allis Ball, geschleudert durch die geübte weibliche Hand, fliegt über meinem Kopf und ihm folgt Alli per Fuß über das Feld platschend direkt an mir vorbei um auch mich mit einer 5 prozentigen Farbdeckung Marke Acker zu versehen. Bei den Vierbeinern ist die 60 Prozent-Marke schon überschritten und ich weiß, dass die Belastung des Autos bei der Rückfahrt deutlich erhöht sein wird.
Die letzten vierzig Prozent ihres Körpers werden jetzt noch durch ein gemütliches buddeln nach Mäuschen zu fünfzig Prozent mit Matsch verdeckt. Vier Schwänze ragen aus der Erde und wedeln im Herbstwind. Viel mehr war nicht mehr zu sehen. Mit einem leicht saugenden Geräusch gleich dem der Gummistiefel aus Furche 12 lösen sich die Hunde nach kurzer aber doch autoritärer Rufattacke aus ihren Mauselöchern. Platschend kommen sie über den Acker in Richtung Auto gerannt. Kurze Sortierung und die Rückfahrt beginnt. Balu ist allerdings aus Energiemangel nicht mehr willens das Radio zu übertönen. In dieser Ruhe genießen wir die Fahrt nach Hause und bereiten uns seelisch und moralisch auf eine etwas aufwendigere Reinigungsaktion vor. Als erstes stürmt meine Gutste ins Bad und holt einen Stapel der guten alten Kratzehandtücher welcher jeder gute Hundebesitzer im Regal hortet, um zu vermeiden, dass die Erdschicht in der Wohnung höher wird als die im Vorgarten. Mit hochfrequenten Rubbeln erhitzen wir die Schlammschicht damit sie zu Staub zerfällt und zu einer zentimeterdicken Lage auf der Terrasse landet. In den Wolken aus entweichenden Wasserdampf versucht der Rest der Meute auf die rettende Couch zu entkommen aber wir haben vorsorglich die Tür verriegelt. Deprimiert ergeben sich alle ihrem Schicksal und nach zwanzig Minuten sind wir alle erschöpft und glücklich sauber.
Am Abend zur Couchzeit sehnt sich der erholungsbedürftige Körper nach verdienter Ruhe um endlich neue Energie für die Aufgaben der nächsten Woche zu tanken. Doch wohin mit den müden Gliedern? Alli liegt auf ihrem eigenen Sessel. Aber wir haben ja noch unsere große Eckcouch auf der wir zu zweit ordentlich Platz hätten. Doch drei kleine Probleme liegen in der Zwischenzeit auf dem pflegeleichten Möbel mit Mikrofaserbezug. Balu benötigt etwa 1,5 Meter, da er gerade der Meinung ist seine Glieder längstmöglich auszustrecken. Ayka belegt nicht nur genau die Ecke an der wir gerne unsere Köpfe platzieren würden, sondern auch alle vorhandenen Kissen. Lotte kuschelt inbrünstig mit dem Plüschlöwen mit der von der vorletzten Hundegeneration abgekauten Schwanzspitze. Nach  kurzer und energischer Diskussion schafft sich meine Gutste einen Platz auf ihrer Hälfte der Couch indem jetzt alle drei auf meiner Seite platziert sind. Gerade wieder gemütlich in Pose geruschelt sehen sie mich erstaunt an als ich jetzt meine Raumansprüche geltend machen will. Mit einem müden Gähnen kommentieren sie meine Autorität und ich lege mich auf den flauschig weichen Teppich vor den Fernseher um dann in trauter Gemeinsamkeit sanft ins Reich der Träume zu entschwinden.
Ich wache mit der Gewissheit auf, das wir ein vollständiges Rudel mit funktionierender Rangfolge sind. Am nächsten Wochenende stellte mir dann meine Gutste die Jule vor. Jetzt schläft Jule mit auf meinem Teppich, denn sie ist ja das neuste Mitglied im Rudel.


© Axel Pätzold


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