Es steht - Ausverkauf- am Fenster! Mein Lieblingswort in vier weissen Lettern auf rotem Untergrund, prangert von riesigen Bannern: SALE

Ich denke:“ Endlich, vielleicht bekomme ich heute alles für den halben Preis!“

Im Laden sind, wie erwartet, sehr viele Menschen unterwegs. In den einzelnen Gängen tummeln sie sich vor den Regalen. Jung und Alt schieben sich aneinander vorbei in der Hoffnung, ein Schnäppchen zu schlagen. Ich, mittendrin!
Bereits Zuhause hatte ich mir vorgestellt, wie wundervoll es wäre, alles auf meinem Wunschzettel auf einen Schlag haben zu können, ohne die hohe Endsumme in Kauf nehmen zu müssen. Heute ist es soweit, denke ich. Meine Freude ist riesig. Ich beginne meine Suche und verfrachte Gefundenes in meinen Einkaufskorb. Man sollte meinen, dass sich dieser immer schwerer tragen lässt, aber nein!
Ich bin im Fieber. Ich glaube, dass nennt man Kaufrausch! Um wieviel glücklicher ich sein werde, mit meiner Ausbeute! In mir macht sich Jubel breit.
Es fühlt sich grossartig an!!!! Ich schlendere wie auf Wolken durch das Schlaraffia an Angeboten!
Durch die Lautsprecher ertönt eine heitere Stimme in Chaka-Manie: „Heute alles im Angebot!“ Spare und kauf‘ glatt doppelt ein!“ Träume werden wahr!“

Neben mir ein Junge in meinem Alter. Er wirkt euphorisch; ebenso das Mädchen, dass am anderen Ende des Regals nicht weiss, ob es das eine oder andere in ihren Korb legen soll. Sie entscheidet sich für beides!

Auch ich habe Mühe, mich zu entscheiden! Das Angebot ist sooo riesig. Und wer weiss, wann das nächste Mal diese Angebotspalette für den halben Preis zu haben ist?!

Nach gut zwei Stunden Nervenkitzel, stehe ich an einer der vielen Kassen in der Warteschlange.
Es geht nur langsam voran. „Was dauert denn da nur so lange?“, frage ich mich im Stillen. Ich schaue mich um. Auch andere wirken ungeduldig. Endlich bin ich an der Reihe.
Gott sei Dank ????????
Ich beginne, alles aufgeregt auf das Band zu legen. Mein Herz hüpft voller Vorfreude in meiner Brust. Endlich habe ich alles, um meine Lebensträume zu verwirklichen.

An der Kasse sitzt ein mürrisch dreinblickender Mann mittleren Alters. Teilnahmslos zieht er die einzelnen Waren über den Scanner:
- ein Herz voll Selbstliebe,
- einen Korb voll Anerkennung,
- den Magic Button „Ich sage frei raus, was ich wirklich denke“
- die „auch mal Nein sagen“ - Tröte,
- den Kalender, der mich 365 Tage im Jahr daran erinnert, das ICH wichtig bin,
- die Bauschbällchen, welche meine sensible Seite betonen,
- der Handspiegel, welcher mich täglich darauf hinweist, dass ich gut bin wie ich bin, und zu guter Letzt
- die Buntmalstifte für das Malen der Welt, wie sie mir gefällt.

Das Piepen der Kasse verstummt, der Mann schaut mich aus seinen trüben Augen an.
„Das macht in der Summe „potenzielle Einsamkeit“, bitte!“, sagte er gelangweilt. Ich starre ihn entsetzt an und spüre, wie sich meine Augen langsam mit Tränen füllen.
„Wie bitte?“, frage ich. „Es hiess doch, alles sei im Angebot.“, stottert es aus mir heraus.

Der Kassierer verdreht seine Augen und kontert mit einem schräg aufgesetzten Lächeln: „Na, dann ist der Preis doch angemessen!“


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Beschreibung des Autors zu "Der Einkauf"

Die Verletzlichkeit und Verletzbarkeit ist Thema dieser Kurzgeschichte. Inspiration fand ich durch meine langjährige Arbeit als Pädagogin, Lehrerin und vor allendingen im Coaching von Jugendlichen und Erwachsenen.




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