Es war ein schöner Sommertag.



Eine kleine Mücke summte lustig durch die warme Luft und wollte sich jetzt ein wenig vom Fliegen ausruhen.



Sie entdeckte ganz in ihrer Nähe einen hohen Turm, der auf einem von Fichten umsäumten Hügel stand, hielt darauf zu und saß einen Augenblick später auf der schmalen Regenrinne des spitz zulaufenden Turmdaches. Von dort oben hatte sie einen wunderbaren Blick nach allen Seiten über das ganze Land. Verträumt blickte sie in die Ferne, wo der Horizont lag.



Die Welt um sie herum war wirklich groß und schön. Dann schaute sie nach oben. Über ihr zogen kleine weiße Wolken am blauen Himmel vorbei, die alle in die gleiche Richtung schwebten und bestimmt um die ganze Welt reisen würden, wie sie dachte.



Auf einmal keimte in der kleinen Mücke das sehnsuchtsvolle Gefühl von Fernweh heran. Sie wünschte sich daher, auch mal auf eine weite Reise zu gehen, um ferne Länder zu erkunden.



Aber sie war eben nur eine Mücke und hatte viel zu kurze Beinchen, um damit auf Wanderschaft gehen zu können. Außerdem konnte sie auch nicht weit weg fliegen, weil sie keine Ausdauer hatte für eine so lange Reise in die weite Welt.



Plötzlich kam eine Möve herbei geflogen und setzte sich auf die Dachrinne, gleich neben die Mücke.



„Was machst du denn hier oben auf dem Turm, Mücke? Es wäre besser für dich, wenn du da unten auf der grünen Wiese am Weiher bleiben würdest. Da ist die Deckung viel besser. Hier oben sind auch Spatzen und andere Vögel, die dich nur all zu gerne fressen würden.“



„Ja ja, ich weiß das auch. Aber ich wollte mal die schöne Gegend von hier oben sehen. Jetzt bin ich aber auf einmal von sehnsuchtsvollem Fernweh ergriffen worden. Leider komme ich trotzdem hier nicht weg. Ich bin eben nur ein mickrige Mücke und werde wohl nie die weite Welt bereisen können.“



„Da kann ich dir aber helfen. Ich bin gerade auf dem Rückflug zum Meer und könnte dich auf meinem Rücken mitnehmen. Du musst dich nur gut an mir festhalten, mehr nicht. Was ist? Kommst du mit oder nicht?“, fragte die Möve die kleine Mücke, die jetzt ein ganz erstauntes Gesicht machte.



„Ehrlich? Würdest du mich wirklich mitnehmen auf deinen Flug zum Meer? Das wäre wirklich super! Natürlich komme ich mit, keine Frage.“



„Wenn das so ist, kann ich nur sagen, steig auf, halte dich gut fest an meinen Federn, damit du nicht runter fällst und verloren gehst. Schon bald kannst du dir alles von oben anschauen, was sehr interessant ist. Alles sieht so klein aus, auch die Menschen und ihre Häuser. Du wirst schon sehen.“



„Dann lass uns loslegen!“, rief die Mücke vor lauter Lust, weil sie es kaum erwarten konnte, zusammen mit der Möve auf eine große Reise zu gehen.



Schon bald rauschte die kleinen Mücke auf dem Rücken der Möve durch die Luft über das weite, unendlich erscheinende Land. Sie kam einfach nicht mehr aus dem Staunen heraus, denn die Welt sah von hier oben wirklich ganz anders aus, nämlich unglaublich weit und unendlich schön. So etwas hatte sie noch nie in ihrem ganzen Leben gesehen.



Die kleine Mücke jauchzte vor lauter Freude, als die Möve in einen rasanten Sturzflug überging, durch die Wolkendecke stieß, um sich etwas später an der steinigen Küste eines weiten Meeres nieder zu lassen.



„So Mücke, hier bin ich am Ziel. Das Meer ist meine Heimat, weil es hier viele Fische gibt, von denen wir Möven leben. Manchmal kommen auch Zugvögel vorbei, die dich vielleicht mitnehmen würden, wenn du noch weiter reisen möchtest. So, ich wünsche dir noch viel Glück. Ich muss jetzt aufs offene Meer raus, um mir eine paar Fische zu fangen. Ich habe von dem langen Flug einen mächtigen Hunger bekommen.“



Im nächsten Moment breitete die Möve auch schon ihre Flügel aus und flog hinaus über die hohen Wellen des Meeres, bis sie irgendwo am fernen Horizont nicht mehr zu sehen war.



Zurück blieb eine kleine Mücke, die jetzt plötzlich einsam und ganz allein am steinigen Strand eines gewaltigen Meeres saß. Irgendwie fühlte sie sich auf einmal nicht mehr richtig wohl. Sie wurde bald sehr traurig, denn hier in der Fremde kannte sie niemanden.



Wie sie so da saß und wehmütig über das wogenden Meer blickte, sehnte sie sich wieder nach Hause zurück, auch deshalb, weil es hier an der felsigen Küste keine anderen Mücken gab, mit denen sie zusammen sein konnte.



Bald wurde das Heimweh in ihr immer stärker. Jetzt bedauerte die kleine Mücke ihren Entschluss, die weite Welt bereisen zu wollen und träumte von ihrer Heimat am Schilf bewachsenen Weiher, den sie wohl nie wiedersehen würde.

ENDE

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


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