"Andere Welten, andere Sitten."


***


„Na was ist? Wollen wir ein bisschen spazieren gehen, mein kleines Fräulein?“



Rosh Mundine stand auf und sah mit ihren acht Augen den alten Herrn freundlich an, der direkt vor ihr stand. Sein Kopf war dicht behaart.



„Ja“, gab sie lächelnd zur Antwort, „gehen wir spazieren.“



„Und wohin führt uns der Weg heute?“ fragte Vholo Hath, kratzte sich mit seinen haarigen Hinterbeine am langgestreckten Körper und tat so, als ob er es eilig hätte.



„Zur Fleischfabrik..., wie immer“, antwortete Rosh Mundine kichernd.



Wenn der alte Herr gute Laune hatte, war er wirklich sympathisch. Dann ging sie besonders gern mit ihm raus, um sich von ihm unterhalten zu lassen und frische Luft zu schnappen.



Fast täglich gingen Rosh Mundine und ihr Großvater Vholo Hath zur nah gelegenen Fleischfabrik, die am Ende einer Allee ähnlichen Straße lag und von großen grün blättrigen Bäumen gesäumt wurde. Für einen kurzen Spaziergang war diese Strecke ideal geeignet.



„Erzähl mir was“, bat Rosh Mundine den alten Mann.



„Der Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“, zitierte dieser auf einmal.



„Frühling? Was ist das?“ fragte sie erstaunt.



„Keine Ahnung. Ich habe es mal bei einem Besuch in der Fleischfabrik aus einem der vielen dort angebrachten Lautsprecher gehört. Es soll angeblich ein Gedicht der Menschen vom Planeten Erde sein, wie ich erfahren konnte. Damit werden sie kurz vor ihrer Schlachtung beruhigt“, sagte Vholo Hath, blickte mit seinen acht Augen hinüber zu den gewaltigen Gebäuden am Ende der Allee und versuchte sich auf die zweite Zeile zu besinnen. Es gelang ihm aber nicht.



„Da war ein Mensch!“ rief Rosh Mundine plötzlich. Sie blieb abrupt stehen, legte die behaarte Hand ans Ohr und hielt sich mit der anderen die Nase zu.



„Was? Wovon sprichst du? Ich habe niemanden gesehen.“



„Ich habe ihn gerochen“, erläuterte Rosh Mundine.



„Gerochen? Das kann nicht sein. Das ist unmöglich“, sagte Vholo Hath mit erregter Stimme.



„Doch, ich habe einen Menschen gerochen. Ich konnte ihn ganz deutlich riechen“, erwiderte Rosh Mundine und sah den alten Herrn beleidigt an. Jedenfalls tat sie so.



Vholo Hath grinste auf einmal belustigt, wie Rosh Mundine so vor ihm stand und erklärte, sie könne Menschen riechen.



„Du willst doch nicht behaupten“, sagte er schließlich etwas ängstlich zu ihr, "dass du hier draußen auf der Straße einen Menschen gerochen hast. Niemand von ihnen kann unbemerkt die Fleischfabrik verlassen, wenn sie erst einmal dort drinnen sind. Du musst dich getäuscht haben, mein Kind.“



Rosh Mundine schüttelte auf einmal ihren Kopf laut lachend hin und her.



„Ach Großvater, ich finde es lustig, wenn ich dir ein bisschen Angst einjagen kann. Du bist immer so leichtgläubig. Sei bitte kein Spielverderber!“



„Es wird langsam Zeit meine kleine Dame, dass du endlich damit aufhörst, solche dummen Späßchen mit mir zu machen. Die Menschen sind gefährliche Tiere, die uns wie wilde Bestien angegriffen haben und vernichten wollten. Aber wir Arachnophilen konnten sie besiegen und haben dann festgestellt, dass ihr saftiges Fleisch für uns besonders nahrhaft ist und noch dazu überaus gut schmeckt. In der Fleischfabrik werden sie geschlachtet und zu Qualitätsfleisch für unsere Bevölkerung verarbeitet. Jeden Tag holt unsere Raumflotte neuen Nachschub von ihrem Planeten, auf denen unzählige von ihnen herumlaufen. Da sie sich äußerst schnell vermehren, kennen wir seitdem keine Nahrungsprobleme mehr.“



Rosh Mundine schaute den alten Mann jetzt mit respektvollem Blick von der Seite an. Dann sagte sie zu ihm: „Im nächsten Jahr werde ich volljährig. Dann gehe ich mit dir in die Fleischfabrik und lasse mir bei einer Führung alles genau zeigen. Ich wollte schon immer wissen, wie das menschengerechte Schlachten so vor sich geht.“



Noch während Rosh Mundine gesprächig neben Vholo Hath, ihrem Großvater, herging, schaute dieser plötzlich auf seine Uhr und deutete in eine bestimmte Richtung.



„Ich glaube, wir müssen langsam umkehren. Das Mittagessen wird schon fertig sein und deine Mutter hat es nicht so gerne, wenn wir zu spät zu Tisch kommen. Heute gibt es leckeres Menschenfleisch, saftig roh und dünn geschnitten. Lass’ uns also kehrt machen und schnell nach Hause gehen, mein kleines Fräulein.“



„Na gut, gehen wir! Lassen wir Mutter nicht warten“, sagte Rosh Mundine, drehte sich auf ihren behaarten acht Beinen vorsichtig auf der Stelle um und ging ihrem Großvater brav hinterher.





ENDE




©Heiwahoe


© (c)Heiwahoe


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