Das große Waljahr

© Alf Glocker

Emil Sandel ist pfefferstark, schneckenschlau und gebildet wie ein Eselsbaby, aber diesmal konnte er sich nicht mehr aus der Aff-Aire ziehen. Wir hatten ein Waljahr und etwas Riesiges kam auf uns zu. Normalerweise vertraute Sandel ja auf sein Glück, doch diesmal kam ihm das komisch vor! Die Zeichen standen auf Wurm!

Sollte Emil dieser Wurm sein, den der frühe Vogel finden würde, um ihn ganz einfach aufzupicken? Es sah ganz danach aus. Was würde er, als linientreuer Fan kultiger Murksmacher noch behalten dürfen, wenn er endlich zu Ende ging, dieser Erdentanz?!

Eine einzige Misere war er gewesen und niemand durfte, angesichts der allgemeinen Weltlage, noch darauf hoffen ungeschoren davon zu kommen. Dieses Waljahr würde höchstwahrscheinlich zu einem Schicksalsjahr werden, denn was da kam sah fürchterlich aus, benahm sich fürchterlich und konnte auch nur fürchterlich ausgehen.

Die Weltpresse bezeichnete es ganz allgemein als Verschwörungstheorie was ehrliche Lebenskapitäne, Mehresforscher und Sensitive neuerdings von sich gaben. Ein gewaltiges Etwas kam auf die Küsten Europas zu. Etwas das es noch nie vorher gegeben hatte!

„Es wird eine Bereicherung sein!“, sagten die einen und die anderen warnten vor einer katastrophalen Flutwelle, unter deren Ansturm alle Dämme brechen würden. Das Ungeheuer, das sich da auf uns zu wälzt muss aus der Urzeit kommen, dachte Emil einfach.

Fotos davon hatte er schon gesehen und im Fernsehen hatte man bereits einige Filmberichte von diesem Schatten gebracht, der da, unter der Oberfläche alles Begreifbaren, angeschwommen kam, um das Land mit seiner Bugwelle restlos zu überschwemmen.

„Ein Tsunami! Ein Tsunami!“ riefen ängstliche Kreaturen, die keine Lust hatten etwas wegzudiskutieren, das nicht nur offensichtlich SCHIEN, sondern dies auch war. Aber es gab immer noch Besserwisser, die meinten „Wir schaffen das“!

Als sich dann endlich, auf dem Höhepunkt der Hysterie, unabhängige Denker mit dem Thema „Wall oder nicht Wall“ befassten, wurde eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Es gab gar keinen Wal! Niemand hatte die Wahl – alles war ganz normal…

Es musste einfach nichts entschieden werden, weil nichts auf uns zukam. Nichts von Bedeutung jedenfalls und schon gar nichts was abwendbar gewesen wäre. Die Welt ging ihren Gang, wie immer – ihren Zentrifugengang könnte man sagen. Es gab keine Gefahren! Und wenn, dann durfte nicht darüber gesprochen werden…sonst „Verrat“)

Von nirgendwo her kann irgendetwas, kein Tsunami, keine Misere, keine Bereicherung, kein Unhold aus dem Mehr, es gab nur Strömungen. Den Golfstrom gab es (noch), oder den Tennisstrom, das Menschärgeredichnicht, den Mainstream und den Malstrom der Weltgeschichte. Alles ging seinen Gang – man musste es nur gut genug finden.

Denn eines gab es wirklich: Den Zeitstrom! In ihm vereinigten sich alle Teilchen zu einer einzigen, riesigen Belanglosigkeit, die in den sogenannten „Wal- oder Wahljahren“, in denen keiner eine Wahl hatte, weil es zum Strom der Zeit keine Alternative gab, untergingen.

An diesen Kulminationspunkten des Schicksals, brachen die Springfluten des Glücks (oder Unglücks) über die Menschen herein, überschwemmten die Landmassen und die Kulturen mit dem Unrat der bloßen Existenz, um die Zeichen der Erneuerung, wie ein Menetekel an den Himmel zu schreiben, damit niemand auch nur einen Hauch davon wahrnehmen konnte. Das Wort „Wahr“-Nehmen mauserte sich zum Unwort der Epoche!

Denn man glaubte eine Wahl zu haben, während sich im Unbewussten der gesamten Menschheit etwas näherte, das mit nichts zu vergleichen war. Am ehesten vielleicht noch mit einem Blasentraum, oder eben mit dem gewaltigsten Tier, das die Schöpfung je gesehen hatte, dem Walfisch. Er näherte sich mit einer Zerstörungskraft die ihresgleichen suchte.

Manche nannten ihn „Lobby Dick“, manche „Globalisierung“, wieder andere sahen sich auf dem Floß der Medusa, im Ozean des Seins vergehen. Die allermeisten aber feierten eine Party nach der anderen… Dort steckten sie kleine Wunschzettelchen in Weihnachtsmann-Briefkästen, rülpsten sich gegenseitig einen fröhlichen Weltuntergang zu – und als es endlich wieder einmal vorbei war, behaupteten alle besonders witzig gewesen zu sein!

Emil Sandel tangierte das kaum. Sein Beutel wurde zwar immer schmaler, sein Ansehen als pfefferstarkes und schneckenschlaues Eselsbaby schmolz im grell-schrägen Licht absurder Toleranz, zu einem winzigen Lämpchen. Aber sein strahlendes Gesicht sprach ungeschminkte Bände, denn seine Träume vom Glück waren auf der Walstatt des kleinkarierten Überlebens zurückgeblieben.


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Das große Waljahr"

Re: Das große Waljahr

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 28.08.2021 9:27 Uhr

Kommentar: Super, lieber Alf,
da sind wieder viele Leckerlis drin. Bis jetzt wusste ich nicht, wen ich wählen werde. Ist doch ganz klar ... Emil Sandel :-)
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Das große Waljahr

Autor: Alf Glocker   Datum: 28.08.2021 10:28 Uhr

Kommentar: genau, den wähl ich auch!

Liebe Grüße
Alf

Re: Das große Waljahr

Autor: Sonja Soller   Datum: 28.08.2021 12:15 Uhr

Kommentar: Das ist auch meine Wahl!!!!!!

Herzliche Grüße (zurück aus dem Exil) aus dem durchwachsenen Norden, Sonja

Re: Das große Waljahr

Autor: Alf Glocker   Datum: 28.08.2021 13:23 Uhr

Kommentar: Harharr,
dann wird er Kanzler!

LG AQlf

Re: Das große Waljahr

Autor: Alf Glocker   Datum: 28.08.2021 13:23 Uhr

Kommentar: Harharr,
dann wird er Kanzler!

LG Alf

Re: Das große Waljahr

Autor: Michael Dierl   Datum: 28.08.2021 16:02 Uhr

Kommentar: Das hast Du uns ja wieder eine Bescherung aufgetischt die mit vielen Leckereien gewürzt und wo man gar nicht weiß wo man anfangen soll mit dem verköstigen.

Im übrigen wähle ich auch einen Emil aber einen Emil Steinbrecher. Der lebt zwar gar nicht in Deutschland sondern in der Schweiz aber ist mir wurscht wo jemand wohnt den ich mag. Ich schreibe einfach seinen Namen in die Liste und mache mein Kreuz dahinter. Habe ich schon mal so gemacht und das schon öfters. Den vergessen sie einfach. Auch OTTO habe ich schon mal eingetragen. Leider er hat dann nur eine Stimme. Immerhin besser als nix! ;-)

lg Michael

Re: Das große Waljahr

Autor: Jens Lucka   Datum: 28.08.2021 16:23 Uhr

Kommentar: Auch ich bin immer noch nicht ganz Schlüssig.
Da bin ich wohl eher ganz bei euch.

Liebe Grüße ,Jens

Re: Das große Waljahr

Autor: Alf Glocker   Datum: 29.08.2021 9:33 Uhr

Kommentar: Ich glaube ich wähle jemanden, der keine Ahnung davon hat was grad in der Welt passiert - andere gibts ja fast nicht in der Politik

...ganz ehrlich gesagt hat mir immer gut gefallen was die Wagenknecht so von sich gegeben hat...aber die will ja keiner! Das spricht Bände!!

LG Alf

Re: Das große Waljahr

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 29.08.2021 11:46 Uhr

Kommentar: Doch, lieber Alf,
ich will sie, egal bei welcher Partei sie ist. Oaahhh, diese Frau, schon der Gedanke ... (das müsste ich aber vorher mit meiner Frau klären).
:-) Wolfgang

Re: Das große Waljahr

Autor: Alf Glocker   Datum: 29.08.2021 12:48 Uhr

Kommentar: :-)))

Re: Das große Waljahr

Autor: Michael Dierl   Datum: 29.08.2021 19:21 Uhr

Kommentar: Hmmm......ihr macht's Euch aber einfach mit der Wahl der Frau! Ich hingegen mag nur die Burka das kann ich mir die passende Frau reindenken! Jeden Tag dann eine andere. ;-)

lg Michael

Re: Das große Waljahr

Autor: Alf Glocker   Datum: 30.08.2021 6:25 Uhr

Kommentar: harrharr - da hast du den Zeitgeist aber wieder schwer am Wickel...
da werden wir wohl über kurz oder lang keine andere Wahl haben.
Das haut rein!
Es hat schon auch seine Vorteile, wenn man es richtig betrachtet.

LG Alf

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