Ein kalter Tag im Januar,
einsam stehst du an der Straße,
der Rucksack ist alt und schäbig,
aber er gehört zu deinem Rücken.
Zwei Plastiktüten bergen den Rest deiner Habe,
Handschuhe, aus denen die Fingerspitzen ragen,
bläulich schimmernd von der Kälte.
Ein uralter Militärparka, grün, grau,
du weißt es selbst nicht mehr,
aber er ist warm dank Teddyfutter.
Die Hose, schwarz, sie ist das letzte Stück,
sonst gibt es nichts mehr aus deinem alten Leben.
Deine Schuhe sind abgelatscht und durchgeweicht,
sie haben dich schon sehr weit getragen.
Suchst einen Platz zum Schlafen,
nichts Großes, warm und trocken, das reicht.
Hast schon sechs Jahre kein Bett mehr benutzt,
am liebsten schläfst du unter freiem Himmel,
aber im Winter geht das nicht mehr.
Du hast Rheuma und die Feuchtigkeit macht dich fertig,
dann bist du morgens steif wie ein Brett,
kannst dich kaum noch bewegen.
Das Alter sagst du, aber du sagst nicht, wie alt du bist.
Früher, da hattest du alles, Haus, Job, Frau und Kinder,
aber irgendwann ist was passiert in deinem Leben,
du willst nicht wirklich darüber reden,
nur dass du alles verloren hast, weil, ja, egal,
es ist, wie es ist, und man kann es nicht ändern.
Aber du hast viel erlebt und viel gesehen,
quer durch Deutschland, sechs Jahre, eine lange Zeit.
Und du weißt, du brauchst wieder ein zuhause,
die Beine und Knie schmerzen,
manchmal kannst du nicht aufstehen,
der Schlafsack ist zerschlissen du hast kein Geld,
vielleicht schenkt dir mal jemand einen Neuen,
oder du findest einen Platz, wo du bleiben kannst.
Das Rheuma und die Schmerzen in den Beinen,
es wird jeden Tag schlimmer, zwei Finger erfroren,
aber du hast keine Krankenversicherung.
Ich lade dich ein, Kaffee und eine Bockwurst,
Alkohol sagst du ist nicht dein Ding,
höchstens ein Bier gelegentlich.
Der Mann vom Imbiss hat einen Schlafsack,
und ein paar neue Handschuhe,
außerdem bietet er einen Schlafplatz.
Nachdem wir ausgetrunken haben,
gehe ich nach Hause zu mir,
eine Hose holen, die dir passen könnte
und ein paar andere Schuhe.
Du bedankst dich überschwänglich,
dann gehst du Duschen und Schlafen.
Am nächsten Morgen bin ich am Imbiss
ich will dir zwei Stofftaschen bringen,
für deine Sachen und dich fragen,
ob du nicht bleiben willst, über den Winter,
aber du bist nicht mehr da.
Zurück bleibt nur eine Nachricht:
„Danke für alles, aber ich liebe die Freiheit!“


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Kommentare zu "Ein Clochard"

Re: Ein Clochard

Autor: Karwatzki,Wolfgang   Datum: 02.03.2012 1:29 Uhr

Kommentar: Hallo Jürgen,
du beschreibst wunderbar, den romantischen Freiheitsgedanken eines Clochard.
Die Pointe deiner Geschichte wirkt umso trefflicher, je mehr du vorher das doch eher qualvolle Leben des Clochards beschreibst.
Nebenbei:
Nur der Sensibilität wegen würde ich so eine Geschichte mit "Ein Clochard"
betiteln.

Re: Ein Clochard

Autor: Jürgen Kohl   Datum: 07.03.2012 22:32 Uhr

Kommentar: Hallo Wolfgang, danke für das Lob, ich hatte das Glück, vor einigen Jahren diesen ich sage mal Weltenbummler kennenzulernen. Seitdem sehe ich diese Menschen mit anderen Augen und bin sicher, ich selber würde an diesem Leben scheitern.
Nach dem Ich den Text noch ein paarmal gelesen habe und über den letzten Satz von dir nachgedacht habe, werde ich den Titel wohl entsprechend ändern. Danke!
Gruß Jürgen

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