Erfüllt von brennendem Bestreben
Stand ich einmal vorm Tor zu Theben
Ich fühlte mich wie Ödipus
Der Thebens Volk befreien muss.
Kein Tier, kein Mensch war rechts und links
Doch vor dem Tore saß – die Sphinx.

„Du willst hinein in Thebens Stadt?“
Ich sagte „ja“ – sie drückte ein Blatt
Geheimnisvoll mir in die Hand
Darauf ein schweres Rätsel stand.

Sie sprach zu mir: „Jetzt geh nach Haus
Und rechne dort das Rätsel aus.
Du hast dafür unendlich Zeit.
Doch fehlt es dir an Fertigkeit
Dann komm zurück zum Tor von Theben
Und lass dir einen Hinweis geben.“

Dann ließ sich mich nach Hause gehn.
Wo ich nun saß – doch ohne Ideen
Ich dachte hin, ich dachte her
Das Rätsel war mir viel zu schwer.
Doch wollt ich nicht zur Sphinx, der bösen
Ich wollt es lieber selber lösen.

Die Zeit verging, ich hab’s versucht
Geschimpft, gerätselt und geflucht
Zweihundert Tage, tausend Stunden
Hab ich gesucht und nichts gefunden.
So hab ich wieder mich begeben
Zurück zur Sphinx, ans Tor zu Theben.

„O Thebens wüste Wächterin!
Ich hab’s versucht, ich krieg’s nicht hin.
Vergeblich gerätselt, vergeblich probiert:
Dein Rätsel hat mich ruiniert.
Willst du mir helfen?“ „Allerdings“,
Erwiderte die schlaue Sphinx
Und führte mich von Anbeginn
Zu ihres Rätsels Lösung hin.

Von da an ging es nicht mehr lang
Da mir das Rätseln gut gelang.
Und endlich war die Lösung da
Hab sie gefunden! Heureka!
Sie hat sich einfach so ergeben
Da tat sich auf das Tor zu Theben


Ich schritt hinein mit festem Schritt
Die Sphinx blieb da und kam nicht mit.
Sie ließ mich ganz allein zurück
Ich war gerettet! Großes Glück!
Und ich erblickte Thebens Stadt
Obwohl die Sphinx geholfen hat.

Doch schon im nächsten Augenblick
Erfasste mich mein Ungeschick
Wie eine riesige Lawine
Wie eine scharfe Guillotine.
Weil’s gegen das Gesetz verstößt
So die Sphinx das Rätsel selber löst.

Obschon mein eigener Verdruss
Geringer als des Ödipus
(Der hatte, wie ihm prophezeit
Den Vater getötet, die Mutter gefreit
Und sich in irrer Ehrenpflicht
Geraubt das eig’ne Augenlicht)
Verschluckte mich ein schwarzes Loch
Denn meine Sphinx – sie fraß mich DOCH.



M.G., 14./15.2.2014


© Marina Garanin


5 Lesern gefällt dieser Text.







Beschreibung des Autors zu "Die Sphinx"


"Was hat morgens vier, mittags zwei und abends drei Beine?" Diese Frage stellte die Sphinx dem Ödipus, als er vor dem Tor zu Theben stand. Ödipus hat es geschafft, die Frage zu beantworten. Allerdings war sie, finde ich, nicht so schwer. Aber was, wenn die Frage der Sphinx WIRKLICH schwer ist? Folgendes Gedicht ist autobiographisch: Ich habe die Sphinx gesehen. Auch mir gab sie ein Rätsel -und ich war hochmotiviert. Nur habe ich es nicht alleine hinbekommen. Meine Sphinx war anders. Irgendwie hilfsbereit. Sie hat mir Tips gegeben und mir geholfen. Aber hat sie mir tatsächlich geholfen? Lest von meiner Erfahrung:

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Die Sphinx"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Die Sphinx"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.