Ich sitze alleine im Watt.
Das Wasser liegt ganz weit dort draußen.
Wo Wellen wogen und brausen,
da findet das Leben statt.
Hier fühl ich mich einsam und matt.

Gemächlich kommt’s angekrochen.
Kaum merklich schwindet der Sand.
Noch sitze ich trocken an Land,
seh vor mir die Brandung kochen.
Bald wird es auch mich unterjochen.

Zuerst umschmeichelt‘s die Füße,
leckt freundlich an meiner Haut,
gluckst friedlich und vertraut,
als ob es mich herzlich begrüße
mit seiner so salzigen Süße.

Schon sacke ich tief in den Schlick.
Es saugt mir den Boden weg,
obwohl ich mich nicht einmal reg.
Und in nur einem Augenblick
übernimmt es mein ganzes Geschick.

Im Nu bin ich überrollt,
ist mir der Atem geraubt.
Hatt ich denn tatsächlich geglaubt,
das Wasser sei mir hold?
Oder hatte ich sterben gewollt?

Um mich ein gewaltiges Streben.
Das Ufer gerät aus dem Blick.
Doch dann schwappt es jäh zurück.
Und in dessen Sog beginnt eben
mein Ringen ums bloße Leben.

Unendlich erscheint diese Schlacht
und übermächtig der Feind.
Hab mich schon fast mit ihm vereint,
als neuer Mut in mir erwacht.
Sogleich übernehm ich die Macht!

Aus dunkler Umarmung befreit -
kriech ich ans Ufer – halbblind,
wo ich mich im Watt wiederfind.
Wie gern hätt ich mich jetzt gefreut.
Stattdessen beginnt es erneut…


© Sabine Thaler


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Kommentare zu "Depression"

Re: Depression

Autor: noé   Datum: 17.04.2014 3:45 Uhr

Kommentar: Das ist so toll beschrieben! Aus doppelter Sicht. Einmal natürlich aus der Sicht der Überschrift heraus. Das ist ganz eindeutig. Und läuft genau so ab. Aber wie Du die Methaphern gewählt hast, das ist wirklich ein-ma-lig! Nebenbei erinnert es mich an ein kleines Geschehnis auf Sardinien, als ich eines Morgens als Einzige am Strand war und mich nur in die seichte Brandung stellen wollte, als die mir mit einem Male untersch-wellig den Sand unter den Füßen fortspülte und begann, mich mit hinauszuziehen. Und ich - des Schwimmens unkundig - immer wieder fast festen Boden unter die Füße bekam, bis der Sand wieder weggespült wurde. Da habe ich auch gekämpft und ziemlich viel sehr salziges Meerwasser geschluckt.
Deine Beschreibung trifft also auf beide Situationen zu - einfach genial, liebe Schwester, ganz großes Kino! Applaus!
Big Sis!!

Re: Depression

Autor: vongestern   Datum: 17.04.2014 9:21 Uhr

Kommentar: Wenn Du nur ahnen würdest, was mir Deine Worte bedeuten, liebe Noé...

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