Nachts steht sie an der Strasse. Ich gehe da, hin und
wieder, vorbei. Ich kenne Sie. Ich weiß, wie sie lebt.
Ich weiß, wie sie denkt. Ich weiß, wie sie über ihre
Familie redet. Ich weiß, sie hat Kinder. Ich weiß,
wie sehr Sie diese Kinder liebt. Ich weiß, wie sehr Sie
nach Arbeit sucht. Ich weiß, wie Sie alles machen
würde: „Putzen! Kochen! Bügeln! Büros reinigen!“
Alles, was sich da anbietet. Aber es gibt nichts. Und
ich denke mir: „Sie hat verloren! Und die Welt hat
verloren! Und jeder Mensch hat verloren!“ Es ist
Krieg!

Nachts steht sie an der Strasse. Hin und wieder rede
ich mit Ihr. Sie erzählt dann: „Von Firmen, wo
sie gearbeitet hat! Die aber Pleite gegangen sind!"
Von Familien, wo Sie gearbeitet hat: "Wo aber kein
Geld mehr da ist!" Von Tagen, wo sie durch die Strassen
läuft. Menschen nach Arbeit fragt! Von Tagen, wo sie
Anzeigen in Supermärkten anbringt. Und, wo sie alles
probiert um Arbeit zu finden. Und ich denke mir: „Etwas
läuft falsch! Sie steht am Abgrund! Die Welt steht am
Abgrund! Jeder Mensch steht am Abgrund!“ Es ist
Krieg!

Nachts steht sie an der Strasse. Und diese Frau bringt
mich zum Grübeln. Dieses Leben: "Wie ich sie kennen
gelernt habe! Wie sie richtige Arbeit hatte! Und immer
gelächelt hat!" Wie sie kleine Geschenke kaufen konnte:
„Für Kinder und Freunde!“ Und wie beliebt sie war.
Aber etwas ist falsch gelaufen: „Firmen sind ins
Ausland gegangen! Reiche zahlen keine Steuern mehr!
Und die Politik ist blind!“ Und ich denke mir: „Das ist
alles ohne Sinn! Damit stirbt Sie! Damit stirbt die
Welt! Damit sterben alle Menschen!" Es ist Krieg!


© Klaus Lutz


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Beschreibung des Autors zu "Krieg"



In Berlin gibt es viele Stassen. wo die Mädels so
rumstehen. Also alles! Von 14 bis 80 Jahre alt.

Ich habe mal in Mainz, um die Ecke von so einer
Kneipe gelebt. Wo so ausrangierte Prostituierte
verkehrt sind. Und da habe ich manchmal für
Stunden gesessen. Und das Leben da beobachtet.
Das ist interessant wie solche Frauen reden.
Wie sie sich bewegen. Die ganze Mimik. Die
Ausstrahlung. Also, die Schwingungen dieser
Menschen.

Das ist so eine Sache. Wenn Menschen richtig
am Ende sind. Wenn sie nichts besitzen. Und
alles verloren haben. Und Ihnen nichts mehr
gehört. Wenn Ihnen nur das nackte Leben
geblieben ist. Oder das was davon übrig ist.
Da zeigt sich dann so was wie die Wahrheit.
Die zeigt sich wahrscheinlich immer da, wo
es nichts mehr zu verlieren gibt. Oder nur da
zeigt sie sich. Ohne blablabla.

Seit dem intressiert mich dieses Milieu. Also,
so mehr als Beobachter. Wie sich die Leute
bewegen. Der Tonfall dieser Frauen. Die
Lebensphilosophie dieser Menschen. Das
ganze Ambiente. Alles leben ist da anders. Es
atmet anders. Es berührt anders. Es ist so
ein Überlebenstraining für die Gefühle. Für
das Denken. Für all das was Einen bewegt.
Und was die Welt so für Einen ist.

Und es korrigiert vieles: "An Sprache! An
Wissen! An Wahrheiten!" An all dem, was sicher
und korrekt zu sein scheint. Es ist das Leben
hinter den Fassaden: „Die andere Poesie! Das
lebendige Wissen!“ Das ist so ungefähr der
Hintergrund von diesem Text. In Wahrheit,
hat er sich über jahrzehnte entwickelt.

(C)Klaus Lutz

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