Und Watson außer Rand und Band
schwenkt wild die Zeitung in der Hand:
"Holmes, haben Sie das gelesen,
in U.S.A. ist es gewesen,
da hängten sie gerad' einen Mann,
und was man fast nicht glauben kann,
den schlimmsten Mörder aller Zeiten,
wird Ihnen Übelkeit bereiten,
hier steht, er hat - hab's nicht erdacht -
200 Menschen umgebracht.
Das ist schon schlimm genug, jedoch
das Allertollste kommt erst noch,
ich flehe hier, Gott hab' Erbarmen,
der Kerl trug nämlich Ihren Namen:
Er ist als Henry Holmes bekannt,
Sie sind doch nicht mit dem verwandt?"

"Ja, Watson, ich hab's auch gehört
und bin darüber sehr empört.
Ich mach' jetzt auch auf Diffamie,
denn jener Holmes war Arzt, wie Sie,
und Mudgett war sein wahrer Name,
doch dieser Unhold, der infame,
nannte sich Holmes wohl wegen mir,
es reicht mir aber nicht zur Zier.
Dacht' wohl, er sei auch ein Genie,
als er sich meinen Namen lieh."

"Hier steht auch - und das ist ein Ding -
dass man ihn nur durch Zufall fing.
Der Kerl war nicht besonders klug,
durch 'nen Versicherungsbetrug
kam man ihm schließlich auf die Schliche,
und was macht er, der Widerliche,
setzt sein gesamtes Haus in Brand,
wo man dann hundert Leichen fand."

"Und was lernt man aus der Geschichte?
Polizisten sind dumme Wichte,
und Ignoranten - das ist bekannt -
sehr viele gibt's im Amiland."

"Ach, Holmes, warum so aufgebracht,
hätten Sie's besser denn gemacht?"

"Das denk' ich wohl - nein, wette d'rauf -
denn Indizien, die gab's zuhauf:
Holmes war steinreich, doch niemand fand' 'raus,
woher das Geld und Riesenhaus.
Heiratete mehrfach junge Damen,
die kurz darauf um's Leben kamen,
und alle waren gut betucht,
da hätt' ich schon sein Haus durchsucht.
Die Polizei schöpfte kein' Verdacht,
die ham' sich lächerlich gemacht!
Er traute sich gar - zum Haare raufen -
Skelette an Unis zu verkaufen,
und kein Mensch fragte diese Ratte,
woher er die Gerippe hatte.
Selbst auf der Flucht - hätt's nicht gedacht -
hat er noch Menschen umgebracht.
Hätte man meinen Rat genommen,
dann wär' es nicht so weit gekommen."

"Der Fall macht'n Unterschied auch klar,
zwischen Britannien und U.S.A.
Unsere Bobbies*, sehr adrett,
sind doch stets hilfsbereit und nett,
und man fragt sich, wie sie's nur schaffen,
denn sie tragen niemals Waffen.
U.S.-Cops** - sorry, dass ich's erwähne -
sind bewaffnet bis an die Zähne,
denn dort - ich wag' es kaum zu sagen -
darf jeder Mensch 'ne Waffe tragen.
Bedrohlich find ich's und verkehrt,
dann ist die Freiheit auch nichts wert."

"Watson, der Hauptaspekt - Sie ahnen's schon -
der liegt doch hier in meiner Person:
Wir Briten kennen - da lieg' ich nicht schief -
Holmes nur als Meisterdetektiv.
In U.S.A. ist alles schriller,
die kenn' Holmes nur als Serienkiller."



P.S. * Bobby ist der weitverbreitete Spitzname für einen britischen Polizisten.
**Als "Cops" werden amerikanische Polizisten mit Spitznamen bedacht. Das Wort stammt wahrscheinlich von "Constable on Patrol" (wachhabender Polizist), aber auch eine Herkunft von dem Verb "to cop" (verhaften) wird diskutiert.


Henry Howard Holmes (eigentlich Herman Webster Mudgett) 16.05.1860 - 07.05. 1896 war in der Tat der vielleicht größte Serienmörder, den es je gab. Er ließ sich 1886 als Arzt und Apotheker in Chicago nieder und änderte seinen Namen. In den nächsten Jahren heiratete er eine Reihe von jungen Frauen, die alle bald darauf ihr Leben verloren.

Die meisten Taten führte er in einem von ihm errichteten Hotel, "the Castle" genannt, durch. In diesem Haus gab es Falltüren, Geheimgänge, einen Keller mit Foltertisch und Säurebad und einen Raum, den er mit Gas füllen konnte. Holmes tötete meist alleinstehende Frauen, die sich besonders zur Weltausstellung 1883 in Chicago in seinem Hotel aufhielten (Norman Bates lässt grüßen). Er verkaufte wirklich Skelette seiner Opfer an Universitäten.

Als ihm die Polizei wegen eines Versicherungsbetruges auf die Spur kam, zündete er sein Hotel an, das bis auf die Grundmauern nieder brannte. In den Trümmern fand man die Überreste von über 100 Leichen.
Auf seiner Flucht durch die USA ermordete er weitere Menschen. Die Gesamtzahl seiner Opfer wird auf über 200 geschätzt.


Als ich durch Zufall den Bericht über H.H. Holmes googelte, musste ich wegen der Namensgleichheit natürlich sofort ein Krimigedicht daraus machen. Welch Zufall aber auch, Holmes - der größte Serienmörder und der größte Detektiv, also der doppelte Holmes.


© Pedda/gog 30.05.2013


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Beschreibung des Autors zu "Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes"

Hallo Freunde, zum ersten mal ein Krimigedicht nicht unter der Rubrik "lustige Gedichte", sondern "Gedichte zum Nachdenken", denn diesmal wird es richtig düster und schaurig und da passt lustig einfach nicht. Dennoch ist es wieder ein klassischer Sherlock Holmes - Dr. Watson Dialog geworden. Gruß Pedda

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Kommentare zu "Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes"

Re: Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes

Autor: micha221b   Datum: 30.05.2013 20:29 Uhr

Kommentar: Hätte Doyle gedichtet, wäre es genau so geworden.

Re: Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes

Autor: Karwatzki,Wolfgang   Datum: 31.05.2013 0:59 Uhr

Kommentar: Hallo Pedda, ein wahres Meisterwerk.Bin begeistert.

Gruß Wolfgang

Re: Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes

Autor: Pedda   Datum: 31.05.2013 13:57 Uhr

Kommentar: Hallo Micha und Wolfgang,
Zu viel der Ehre, aber großes Dankeschön. Konnte mir einen Seitenhieb auf die US-Waffengesetze nicht verkneifen. Freut mich, dass es euch gefällt. Gruß Pedda

Re: Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes

Autor: Ulf-Ingo Otto   Datum: 31.05.2013 19:55 Uhr

Kommentar: Hallo Pedda, gefällt mir sehr gut. Die gut erzählte Historie als Hintergrund stellt den Bezug für "Nichtwissende" her. Wieder was dazu gelernt. Vielen Dank. Gruß Ulf

Re: Krimigedicht 46: Der doppelte Holmes

Autor: Alex Anders   Datum: 01.06.2013 18:34 Uhr

Kommentar: Hallo Pedda,
war wegen Blitzschadens PC-mäßig vier Tage außer Gefecht gesetzt und hatte heute nur wenig Zeit, da mein Freund und dessen Sohn zum Musikertreffen hier waren und wir bis jetzt spielten. Es ist schon bemerkenswert, dass Bobbies waffenlos sind, was sicherlich deeskalierend wirkt. Allerdings gibt es für Extremsituationen auch schwer bewaffnete Eingreiftruppen, wie sollten sie sich sonst helfen?
Deine Umsetzung des komplexen Themas ist wie immer 1A, muss immer noch über Annegrets Bemerkung schmunzeln, die Idee habe man schnell, aber...

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