Zum 250. Jahrestag geschrieben

En passant ging einst entlang
Ein Wanderbursche mit Gesang
Ein Geselle auf der Walz
Ein Charmeur auf seiner Balz

Jeden Tag sucht er sich neu
Den Platz am Ofen und im Heu
Er findet dabei Zeitvertreib
Als Freund von Trubel, Wein und Weib

So ging er hin, von Ort zu Ort
Es treibt ihn immer weiter fort
Lebt unbedarft, denkt nichts dabei
Kennt kein Problem und fühlt sich frei

Eines Tages trifft er SIE
Nach des Tages Wandermüh
Das Gretchen dort, als Magd im Haus
Kredenzt den Gästen Trank und Schmaus

Er lädt sie ein zu einem Wein
Sie fällt herein auf seinen Schein
Und nach Pülverchen im Trank
Macht er sie im Bette lang

So hat sie es zumal erzählt
Vielleicht hat sie ihn auch erwählt
Cést bon: Verboten war die Liaison
Bei Hurerei gab´s kein Pardon

Diese droht publik zu werden
Wie es passieren kann auf Erden
Denn die Frucht vom Kopulieren
Sah man bald ihr Bäuchlein zieren

Der Geselle war ganz schnelle
Längst davon, nicht mehr zur Stelle
In der Falle saß die Dralle
Not entblößte ihre Kralle!

Auf die Entbindung von dem Kind
Folgt die Entlassung ganz geschwind
Denn ihrer Wirtin droht Gefahr
Dass man in Kumpanei sie sah

Die Magd war völlig durch den Wind
Was man wohl nicht sehr seltsam find
Sie krallt ihr Balg und macht es kalt
Denn nirgends findet sie mehr Halt

So zumindest ließ sie´s scheinen
Zwischen seelenvollem Greinen
Am Ende musste sie gestehen
Von Anfang an sollt es geschehen!

Erst versucht sie es mit Flucht
Indes, sie ist nicht sehr betucht
Und muss, um nicht in Not zu enden
Sich leider wieder heimwärts wenden

Dort wurde schon nach ihr gefahndet
Auf dass man ihre Straftat ahndet
Am Stadttor setzt man sie gefangen
Sie muss jetzt um ihr Leben bangen

Man zeigt ihr den Corpus Delicti
Sie wird schwach, der Anblick bricht sie
Da ist ihr alles einerlei
Und sie gesteht ganz frank und frei

Vor Gericht kommt es zur Schau
Ihr Anwalt ist beredt und schlau
Die Fachwelt tat den Fall studieren
Und in Finessen sich verlieren

Im Umbruch findet sich das Recht
Zutage tritt ihr Notgeflecht
Neu stellt die Frage sich für alle
Wie man nun urteilt in dem Falle

Der Landesherr gäb gern Pardon
Sein Rat jedoch hielt nichts davon
Nach allem Für und vielem Wieder
Tendiert man zu Bewährtem lieber

Wenn man auch am Horizont
Schon ein Licht erkennen konnt
War man für eine neue Zeit
Noch nicht recht willens und bereit

Die große Mehrheit war dagegen
Das Verbrechen zu vergeben
Die Richter hielten sich gestrenge
An des Gesetzes voller Länge

Kindermord und Hurerei
Sind auch heut nicht einerlei
Man konnte dies in jenen Tagen
Noch viel weniger ertragen

Ein kleines Seelchen war zerstört
Das alleine Gott gehört
Für ein solches Sakrileg
Gab es keinen Rettungsweg

Nebst Warnung war´s auch Zeitvertreib
Wenn ein junger, hübscher Leib
Wieder einmal auf der Bühne
Blutig seine Schulden sühne

Drum wurde ganz am Schluss entschieden
Die letzte Ölung soll sie kriegen
Nach den alten Traditionen
Soll sie denn der Henker holen!

Der ließ sich das nicht zweimal sagen
Das Urteil ward ihr vorgetragen
In Ohnmacht sinkt erst hin das Kind
Dann hofft sie, dass sie Gnade find

Ihr Gesuch wird abgeschlagen
Ihr Haupt schon in den nächsten Tagen
Es blieb ihr nur sehr wenig Zeit
Zum Abgang in die Ewigkeit

Bestrickend schön im Büßerkleid
Steht sie am Todestag bereit
Am Markt verheißt der Glockenton
Den ewiglichen Himmelsthron

Die Glocken läuten ein ihr Ende
Durch des Exekutors Hände
Zur Endstation wird sie geleitet
Das Schafott steht vorbereitet

Ein leerer Stuhl beherrscht die Bühne
Daneben, Hand am Schwert, ein Hüne
Sei es der Stuhl, der Mann, das Schwert
Nichts ist dabei, was sie begehrt

Sie stöhnt erst schwer, dann Stoßgebete
„Gott sei mir gnädig“, seufzt die Grete
Ein Knecht ergreift sie bei der Hand
Führt sie auf das Podest galant

Es sprach der Büttel zu dem Gretchen
„Zu spät tust du bereuen
Dein Leben hängt am seidnen Fädchen
Den Teufel wird es freuen

Du armes Mädchen, weine nur
Lass deine Tränen fließen
Deine himmlische Statur
Wird man mit Blut begießen!“

Trotzdem sie kaum noch stehen kann
Die Kniee weich, die Glieder klamm
Möchte sie sich voll Entsetzen
Dem Setzen standhaft widersetzen

So wird sie erst einmal fixiert
Bevor man sie exekutiert
Die Frau wird oben und auch unten
Aufrecht sitzend festgebunden

Sie quittierts mit einem Wimmern
Tränen in den Wimpern schimmern
Der angsterfüllte Bettelblick
Beschwört noch einmal ihr Geschick

Derweil in Augen und ins Kleid
Liquidiert ihr Todesleid,
Sind Kopf und Hals schon freigemacht
Gebändigt ist die Haarespracht

Mit Tuch deckt man ihr Antlitz ab
Vor dem scharfen Schlag ins Grab
So sitzt die Sünderin bereit
Für des Himmels Herrlichkeit

Die Zuschauer in großer Zahl
Sie starren auf des Opfers Qual
Vormals Animosität
Betet nun voll Pietät

Der Pfarrer schwadroniert fundiert
Fast hat er sie hypnotisiert
Es bleiben jetzt nur noch Sekunden
Dann hat das Schwert sein Ziel gefunden

Wohl versiert und routiniert
Ward da ihr Haupt glatt separiert
Es spritzt das Blut, es fällt der Schädel
Gerichtet ist das Gretel-Mädel

Nach Trommelwirbel, Glockenklang
Folgt lang und bang die Stille dann
Das Leben, hier erneut zu sehen,
Wie schnell und scharf kann es vergehen!

Auf dem Marktplatz, ganz zentral
Steckt hernach auf einem Pfahl
Aufgespießt der Kopf der Frau
Zur öffentlichen Schreckensschau

Dieses sah der Meister Goethe
Da schrieb er über seine Grete
Fing große Dichtung mit ihr an
Faust und Teufel im Gespann

Gretchenfrage

© Widi58


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Beschreibung des Autors zu "Gretchenfrage"

Aus "Fatalfinal, Mortalerotische Verdichtungen." (unveröffentlicht)

"Verdichtungen": meine Gedichte sind eher aus dem Leben gegriffene Fantasien in Versen, als metaphysische Lyrik.




Kommentare zu "Gretchenfrage"

Re: Gretchenfrage

Autor: Golik   Datum: 10.01.2024 14:49 Uhr

Kommentar: Sehr gut geschrieben, allerdings etwas zu lang für meinen Geschmack.

L.G.

Andreas

Re: Gretchenfrage

Autor: Widi58   Datum: 10.01.2024 15:38 Uhr

Kommentar: Andreas: Ballade eben! Ist wie ein Textbeitrag zu werten, denke ich.
Herzl. Gruß.

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