(völlig surreal)


Monsieur Kaul saß gelangweilt in seinem Waggon und hörte die Nachrichten. Seine Quappen befanden sich in der Ruhephase. Dann spielten sie im Radio das Lied „Ich will nen Kahaubeu als Pferd“ von der hübschen skandinavischen Sängerin „Brittsche“ interpretiert, als das Telefon schrillte.
„Kaul“ sagte Kaul gelangweilt, doch seine Miene hellte sich rasch auf als er das Plätschern am andern Ende der Leitung vernahm. „Ich bin bei der Bundesbahn“ antwortete Kaul in einer Art Sprechgesang, „Aber ich habe ein großes Gebiss, weshalb ich auch viel besser küssen kann als ein gewöhnlicher Kau-Boy“.
Draußen wurde es langsam Nacht und das Plätschern am andern Ende der Leitung nahm zu. Dazu säuselte eine der süßesten Stimmen der Welt: „Wenn ich ein Iglein wär kröch’ ich zu dir“.
Was sagt der Vogel nur dazu? Das ging dem Monsieur durch den Kopf. Was sollte er dem Stimmchen für einen Tipp geben? War er überhaupt der richtige Anschluss? Er kam sich vor als wäre er bei der Telefonauskunft. Leider wusste er absolut gar nichts, nicht einmal wie man Auskünfte gibt. Er hätte selbst dringend eine Auskunft gebraucht...
Die Nachrichten der letzten 3000 Jahre hatte er nämlich nicht verstanden. Offensichtlich gab es da etwas Wichtiges, das er immer wieder übersehen hatte…

Es klopfte an der Tür seines Waggons. Kaul legte den Hörer beiseite und ging öffnen. Seinen Augen traute er allerdings nicht als er draußen auf dem Bahnhof eine lange Menschenschlange mit Transparenten stehen sah. Bei der kuriosen Ansammlung schien es sich um eine Abordnung von Sektenmitgliedern zu handeln. „Wir werben für mehr Liebe im Verkehr“ sagte der Sprecher an der Spitze des Zuges, „Deshalb gib jedem Zehnten von uns einen Cent, auf jeden Dritten mach einen Schritt zu, jedem Zweiten gib was von deiner Zeit, jed…“ Kaul unterbrach den Sprecher barsch: „Tut mir nicht leid, aber ich kapiere nicht einmal was der Vorsitzende der Sozial-Partei gestern im Fernsehen gesagt hat, wie sollte ich dann Euch nachfolgen ohne Schaden an meiner sterblichen oder vonmiraus unsterblichen Seele zu nehmen?!“ Da meldete sich ein Mädchen aus der dreizehnten Reihe „Kannst du überhaupt zwei Dinge gleichzeitig tun oder haben wenn du ein Mann bist?“

In Gedanken überschlug Kaul in aller Kürze seine, sogar ihm unerklärlichen Ressentiments Glaubenskongregationen gegenüber. Ihm fiel ein Intermezzo der Geschichte ein in dessen Verlauf sich drei scheinbar verschiedene Richtungen wegen so fundamental-andersartigen Credos wie beispielsweise dem Waschen der Hände in lauwarmem, heißem oder kaltem Wasser für mindestens 666 Jahren in den Haaren gelegen hatten. Im Verlauf dieses Glaubenskrieges wurden ca. 5 Millionen Hektar Wald gerodet, 10 Millionen Frauen vergewaltigt, 10, 5 Männer kastriert oder geköpft und etwa 300 Millionen Kinder aus Protest gezeugt, da jede der einzelnen Glaubensrichtungen in der Zukunft die Bevölkerungsmehrheit darstellen wollte. Die Ursache für den Streit war die Auffassung des Kirchenobersten der Ja-Sager gewesen, daß man seine Hände nur in kaltem Wasser in Unschuld waschen könne, da nur kaltes Wasser rein sei. Die Nein-Sager hatten dem – nicht ganz unlogisch – entgegnet, man könne in heißem Wasser die Hände noch viel schneller in Unschuld waschen, worauf die Nichts-Sagenden in Pamphleten die Meinung veröffentlichten: Nur lauwarmes Wasser ist unschuldig genug für die Unschuld.

20 Konzile erfolgten unter Teilnahme der hochrangigsten Vertreter dieser 3 Glaubensrichtungen, aber sie blieben ohne konkretes Ergebnis. Während der Konzile wurden ungefähr 500 Kinder missbraucht, 1500 Jungfrauen verschleppt, 45 000 Tiere geschlachtet, 100 Felder abgebrannt, 400 000 qm Wiesenflächen verbaut und ca. 999 selbsternannte Apostel in Fallen gelockt und mit Eifer bestialisch hingerichtet um sie zu Märtyrern zu machen, während sich das einfache Volk am Rande der Veranstaltung mit einigen wenigen harmlosen Hexenverbrennungen vergnügte. Nach unendlich vielen Anstrengungen hatten schließlich die Nichtsagenden so etwas wie einen Sieg davongetragen. Er war schlicht und einfach nicht intellektuell, nicht militärisch, sondern nur geschlechtlich gewesen, denn ihnen war es gelungen sich am häufigsten zu vermehren und allein deshalb überschwemmten sie alles mit ihrer Ideologie.

„Jodel – joooodel – johuudel“ machte es nun drinnen im Waggon. Anscheinend war Kauls Handy-Wecker angegangen um ihn an ein Date zu erinnern, das er vorige Woche mit Tristessa, der Tochter eines stadtbekannten Quatsch-Neurotikers vereinbart hatte. „Ich bin klein, mein Herz ist groß, kann niemand hinein als Jedermann“, hatte sie gesagt und Kauls Gefühle waren sofort für diese Art sich auszudrücken entflammt. „Ich bringe auch Schnaps und Zigaretten mit“ hatte sie noch hinzugefügt und nackt bin ich unter den Kleidern ja sowieso. Kaul war begeistert gewesen – und er war es noch! Deshalb konnte er es auch kaum erwarten daß es endlich dreizehn schlug (diese Uhrzeit war ausgemacht worden), damit er etwas in die Arme nehmen könne was für ihn schwer zu fassen war: Eine Frau.

„Unfassbar ist der Wille Gottes“ sagte gerade eine belegte Stimme aus dem Radio (es kam gerade das Wort zum Alltag) „unfassbar und unergründlich“. Hoffentlich hat er dann überhaupt einen, dachte Monsieur Kaul bei sich und dabei kam ihm die Frau wieder in den Sinn, die ja auch etwas Göttliches an sich zu haben schien.

Daß sein Waggon auf einem Abstellgleis stand hatte der Monsieur anscheinend vergessen. Aber das machte nichts, denn heute war Musikscheunenoberjodelstadl im Fernsehen angesagt. Wenn er nebenbei die „Kiste“ laufen ließ, so dachte sich Monsieur Kaul, dann würde er des Quatsch-Neurotikers Tochter wesentlich besser versauen können – falls sie ihm überhaupt Gelegenheit ließ neben ihrem Brunftgeheul noch etwas anderes wahrzunehmen. Schließlich war er ein Mann und konnte keine 2 Dinge gleichzeitig tun fiel ihm da wieder ein. Dann nahm er das Brot, brach es, setzte sich hin um zu spielen, denn die Zeit verflog wie ein Vöglein und an der Wand zeichneten sich auch schon die ersten brennenden Buchstaben ab: „mene, mene tekel…(ufarsim)“.
Seine Quappen aber tangierte das nur peripher und die vertraten letztendlich seine gesamte Motivationsmasse.


© Sur_real


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