Vom Wind zerzaust hockt sie sich in den Sand und beobachtet die Surfer. Die stehen weit draussen im Meer. Mindestens zehn zählt sie, alle in Reih und Glied wie Perlen aufgereiht. Sie warten. Sie warten auf die nächste Welle, auf der sie aufsteigen und übers Meer brausen wollen.

Nachdenklich betrachtet sie die Surfer. Vor ihrem geistigen Auge ist sie wieder ein 19-jähriges Mädchen. Sie läuft mit dem Fotoapparat in der Hand dem jungen Mann entgegen. Der stellt sich lachend in Pose, das Surfbrett aufgestellt. Unbeschwert im fremden Land, Freiheit und Abenteuer geniessend. Er weiss schon allerhand zu berichten, da er bereits seit zwei Monaten das Land bereist. Von Sehnsucht nach ihm gepackt, ist sie ihm nach dem Ende ihrer Schulzeit nachgereist.

Wie geplant ist sie länger als er im Land geblieben, um die Landessprache zu erlernen. Die vielen neuen Eindrücke faszinierten sie. Den Heimflug hat sie immer wieder verschoben. Auch Arbeit hat sie gefunden und sich einen neuen Freundeskreis aufgebaut.

Da war er schon längst wieder zu Hause.

Zu Hause. Manchmal überkommt sie die Sehnsucht nach der zurückgelassenen Familie, nach Eltern und Geschwister zu Hause.

Jetzt reiten sie auf der Welle, die Surfer im Meer. Besonders der ganz rechts aussen, der Wagemutige, ist sehr geschickt auf seinem Brett. Immer wieder saust er durch und über die Wellen. Sie schaut ihm gebannt zu.

Mit dem Fotoapparat in der Hand läuft sie ihm lächelnd entgegen. Er stützt sich lässig posierend auf sein Surfbrett. Genau wie einst sein Vater.


© Pia Koch-Studiger


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