„Religiosität ist ein Ausdruck fundierten Nichtwissens“… Ich befürchte eine innere Stimme gehört zu haben, deshalb gerate ich außer mich.
„Wer hat das gesagt?“ schreit mein Ich so laut, daß sich meine Ohren ganz weit aufsperren um den Informationsdruck einzulassen. Gleichzeitig öffnet sich mein Mund um dem Staunen einen Ausgang zu ermöglichen.
Über mir blinkt die Milchstraße, aber das fühle ich nur, denn es ist heller Tag. Die Ahnen der Inkas tanzen auf ihr herum.
Das verstehe ich. Doch dann werde ich einer Reihe von Wundern teilhaftig, die ich nicht so leicht verstehen kann…
Eine schwarze Katze läuft mir über den Weg und nichts passiert. Ein Mensch geht vorbei und ich kann hören was er denkt: „Was ist denn das für ein komischer Vogel?!“
Ich erschrecke und der Mensch lacht mich aus, weil ich scheinbar grundlos zusammenzucke. Dann begegne ich einem weiblichen Wesen das so schön ist wie Aphrodite und Venus zusammengenommen. Aus meinen Augen spricht die pure Bewunderung, aber sie wechselt die Straßenseite weil sich mich, meines Staunens wegen, für einen Sittenstrolch hält.

Was würde mein Gott zu diesen Wundern sagen, frage ich mich und gleichzeitig weiß ich, daß er mir nicht antworten wird, denn mein Gott ist sehr verspielt. Seit ich denken kann spielen wir das Spiel „Findemich“. Es ist ausgesprochen kurzweilig. Es hat mich schon in mindestens eine Million Sackgassen geführt. Ich spüre es: der Schelm versteckt sich absichtlich, denn ich soll bei meiner Suche nach ihm etwas in mir entdecken, das mit Gold nicht aufzuwiegen ist – mein ureigenes Gewissen.

Immer wieder stelle ich fest, daß er mir nicht hilft. Wenn andere ekstatisch nach oben in unseren Fixstern blicken und z.B. „Ahura Mazda“ ausrufen kriege ich nur einen Sonnenbrand. Aber wenn während einer Fussballweltmeisterschaft klammheimlich Krankenkassenbeiträge erhöht werden oder sich ganzjährig eigenartige geschichtliche Ereignisse, völlig unbeachtet, vollziehen, sieht niemand darin eine Geste des Himmels. Die Geister klopfen auf’s Parkett und keiner vermutet dahinter einen relevanten Hinweis auf die Unendlichkeit. Überall brennen die Scheiterhaufen! Sie lodern hoch aus der Vergangenheit. Ihr Feuer besteht heute aus dem Eis tonnenschwerer Ignoranz. Und das wirkt sich nicht weniger vernichtend auf die Astronomen der Einsicht aus als die früheren Trotzreaktionen eines herrschenden Klerus (wie er sich heute auch immer nennen mag ist mir zwar klar, muss hier jedoch aus therapeutischen Gründen vorläufig verschwiegen werden). Die Gründlichkeit heftet sich an ein bestimmtes Ausdrucksmittel – sie herrscht einfach!

Und was herrscht in mir? Ein Vakuum! Das Vakuum penetranter Unsicherheit, das mich Zeiträume verlieren lässt ohne den Stein der Weisen gefunden zu haben, die Ultima Ratio: Gott. – oder wenigstens eine brauchbare Ausrede… Eine Reliquie, ein heilbringendes Buch oder dergl.
Hmm, denke ich mir, was soll ich mit alten Knochen? Meine sind mir ja schon zu alt! Ihr Außenherum, wie auch ihr Innendrin führen mich, mangels geeigneter Perfektion regelmäßig in die Irre. Und ein paar Schriftrollen die ein unantastbarer Führer bekleckert haben soll sind mir auch zu vage. Da schwelt doch die Ungewissheit in allen Ecken und Enden…
Was soll ich nur tun?
Mir fehlt einfach ein Heiligen-Vor-Bild mit dem ich reden kann. Mein Selbstverständnis ist nicht stark genug um dieses Manko auch nur annähernd auszugleichen. Und so langsam verliere ich die Geduld!

Ich schlendere über den Asphalt meines Wissens, den/das ich täglich auszubessern versuche, denn Unwetter und Beben machen ihn/es immer wieder renovierungsbedürftig.
Die Walze des zu Erwartenden prägt ihre Hieroglyphen in meine Spur, jedes Mal wenn ich ein neues Teilstück der Lebensautobahn plane. Aus ihnen möchte ich die Wahrheit erlesen. So sei mir die „Zukunft voraus lebendig“ (wie Goethe schon sagt). Doch das betrifft nur meine „Vorlogik“. Vor allem mit dem Erlernten im Gedächtnis konstruiere ich geistig sinnvolle Erweiterungen. Und wenn ich „sinnvoll“ sage, dann meine ich das im wahrsten Sinne des Wortes! Aber meine Mittel sind sehr begrenzt.

Mithilfe meines speziellen Glaubens probe ich ersatzweise den Aufstand der Gerechtigkeit. Aber Gott ins Handwerk zu pfuschen ist nicht so einfach. Mit größtmöglicher Sorgfalt bemühe ich mich zu bewegen ohne daß irgendwer dabei zu Schaden kommt. Ich sehe ein Spinnennetz über mir und bücke mich um es nicht zu zerstören und schon bin ich aus Versehen auf eine andere Arthropode getreten. Wutentbrannt greife ich über meinen Kopf und versuche mir die Fäden auszureißen an denen ich hänge, stelle jedoch fest, daß sie vermutlich feinstofflicher Natur sind. Meine primitive Intelligenz schießt folglich samt ihrer Tatkraft ins Leere. Ebenso wie sie ins Leere schießt wenn ich mich frage warum grade wieder ein Krieg ausgebrochen ist, eine Ölpest veranstaltet wird, eine Epidemie grassiert oder der Papst eine Rede hält.

Da gehen meine Gedanken ganz automatisch in Richtung Olymp. Beschwörend erhebe ich meine Arme nach oben und bitte händeringend um irgendwelche Gebote an denen ich meinen Perfektionismus festmachen kann.
Dann – endlich – bekomme ich ein Zeichen: ein Hexenschuss fährt mir ins Kreuz und ich kann mich plötzlich überhaupt nicht mehr rühren. Ich muss stehen bleiben wie ich gerade bin, denn, aus einem geheimnisvollen Grund greifen der stechende Schmerz und die dämliche Starre auf meinen ganzen Körper über. Ich bin tatsächlich verhext und falle sogleich in einen rein körperlichen, doch allgemein schmerzhaften Trancezustand.

Irgendwann bricht die Nacht herein. Der Mond steht direkt über mir – sehr ungewöhnlich – als mir etwas einfällt…ich erlebe gewissermaßen mein persönliches Pfingsten. Doch keine Flamme schwebt auf mich herab, sondern eine architektonische Vision. Wie von selbst bildet sich aus dem Himmelszelt eine Kuppel mit dem Mond als Oberlicht. Ein Mondstrahl fällt mir mitten ins Gesicht! Und auf einmal weiß ich es. Ich bin mein Pantheon, verpflichtet sämtlichen Göttern des Universums wie sie auch heißen mögen. Zum willfährigen Verehrer jeglicher Allmacht geworden bin ich ausgeliefert dem Werden und Werken verborgener Gewalten, deren Vorhandensein ich nur erahnen darf. Demzufolge bin ich in meiner Schuld: Weil ich nichts weiß habe ich die Aufgabe zu erfahren was ich wissen könnte wenn ich nur klüger wäre. Alles hab ich (Mensch) zu versuchen um meinem Pantheon den Schmuck der aufrichtigen Wissenschaften, der akribischen Künste, der gut gewählten Worte und der bewegenden Musik zu verleihen. Auch die Liebe sollte nicht fehlen…

Und deshalb fürchte ich mich.
„Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld, wer hat so viel Pinkepinke, wer hat das bestellt?“ dröhnt es in meinem Kopf. Ich muss zugeben: dieser angestaubte Karnevalsschlager hat recht!
Die Macht Gottes wäre nötig um ihn zu entdecken. Ich habe sie nicht. Aber ich habe das Pantheon meines Gewissens, das ich täglich aufsuchen kann.

Als der Morgen graut kommt eine x-beliebige, jedoch nette Frau vorbei und ich werde aus meiner starren Haltung erlöst. Langsam taue ich auf. Sie stützt mich und liebkost meinen ganzen Körper, während sie mich in ihr Schlafgemach geleitet. Das lenkt mich von meinen Sorgen ab. Ich bin glücklich. Die Erde ist eine Scheibe und ich glaube an‘s Paradies. Die Sonne geht auf! Nichtwissen ist ein Ausdruck von Religiosität, sagt mir mein Verstand, der mich dem Zufall folgen lässt – wie niemandem sonst.


© Sur_real


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Beschreibung des Autors zu "Pantheon"

Eine Geschichte, die nicht ganz so schwierig ist wie sie aussieht...

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