Nach dem morgendlichen Regen
ist die Luft rein und klar.
Im Tal liegt blauweißer Dunst,
darüber weiten sich bunte und leicht blaumetallische
Hügel, Plateaus, Felsen, Grate, Steinbrüche.
Auf einer Anhöhe der Stille in der Mitte,
ein Karussell aus Basaltbergen ringsum.

Auf einer alten, brüchigen und gusseisernen Bank
mit hellbraun lackierten Holzlatten.
Direkt hinter und neben mir stehen
sechs große, alte Eiben, Weltenbäume der Vorfahren.
Links von mir, auf der anderen Seite des Kieswegs sitzt
eine schöne, junge Frau,
nur in dünnes, spärliches Tuch gehüllt
und versteinert.

Dieser Frau springt ein rötliches Eichhörnchen,
unversteinert und wie eine Flamme
von der Schulter in den Schoß
um dann einen danebenstehenden jungen
Mammutbaum emporzujagen
als ich die Inschrift
im Steinsockel lese.

Vor mir liegen drei Tote
unter großen, polierten Granitplatten.
Weißkalte, versteinerte Kinder
hocken auf den Toten
und auf deren Granitplatten.
Dazu Nelken, Kerzen und Adventsgestecke.

Die warme Krähe auf einer hohen Platane
neben mir kräht und
wird unterstützt von einer Baumaschine
im Tal die einen großen, metallischen Gegenstand
mit lautem Scheppern und Gongs zerschlägt,
mich mit dieser Art Glockenschlag
ins Jenseits zurückzuholen.

Junge Holunderbäumchen
wachsen mit hellgrünen Blättern
zwischen und unter den Eiben;
neben Buchs und über Efeu.
Tropisch gelb leuchtende Wolkenmassen
strömen und sprudeln aus Südwest
über das Edelsteinland.

Leises Vogelsingen, Zivilgeräusche und
Tropfen klingen in der Stille.
Unter Eiben lässt sich gut schreiben.
Deren rötlich leuchtende Stämme
teilen sich oben in mehrere Haupttriebe,
deren Zweie von Efeu erklettert werden.

Ein trockenes, windgeschütztes Plätzchen
bei den Geistern der Lebenden und der
Toten.

Türkisblau beginnt
der nördliche Horizont
zu leuchten,
mediterran gelbtürkisblau.

Zur Eibenstunde,
zur Tropfenstunde, Türkisstunde, zur
Vogelstunde, am Basalthang
wo Grünleuchten, Trockenheit
und Stille
anwesend sind.
Das Weltenlicht
und der Klang der Berge
wachen neben mir
auf der alten Bank.

Vogel und Wurm sind anwesend,
in den Zwischenwelten
ist die Geisterschar friedlich versammelt.
Wie Flammen
die rotglühenden Stämme der Eiben,
das feurige Hörnchen
und die leuchtenden Blumen
und strahlenden Eiswolken
am Horizont.
Weltenfeuer, Innerfeuer,
Feuerstein und Glitzerwasser.

Einige Geister
bestehen nur aus Krümeln
oder Licht.
Andere Geister bestehen aus Erinnerungen
oder Gedanken, aus Träumen oder Energie,
aus Strahlung, Klang, Gefühlen oder Wünschen.
Letztere sind besonders gefährlich.
Geister bestehen je nach Art aus
Wärme oder Kälte, Elektrizität oder Molekülen,
aus Sand oder Feuer oder Chemikalien.

Es gibt dann die untersten aller Geister,
diese sind schwer
und bestehen aus undurchsichtiger Materie.
Letztere können nicht frei existieren
sondern müssen regelmäßig essen
und kleben ganz unten an der Materie.
Diese Art von Geistern gibt es auch
mit Federn oder Schuppen.
Ist an einem Geist Dunkelheit oder
Undurchsichtigkeit vorhanden, dann
gehört er zu den untersten Geistern, den Dichten.
Zu dieser Gruppe gehören auch die namensverwandten
Dichter, Dieter, Fichten, Wichten und Disteln.
Diese wie auch der Rest der Vegetation
gehören aufgrund ihrer bemerkenswerten Zartheit
und Durchscheinbarkeit sowie Leuchtkraft
bereits zu den höheren Geistern.
Die nächste Stufe der Geisterhierarchie
beinhaltet die Selbstfliegenden
wozu die Schmetterlings, Motties,
Vögel, Flugmäuschen und
Segelhörnchen gehören.






(Geschrieben im wilden Hunsrück, am 19.November 2016, zwischen 10:30 und 11:10 Vormittags)


© ameise


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