Der Regen schlägt ans Schieferdach,
tönt leis und singt die Märchen wach,
die schon verweht, vergessen.
Er rauscht am Schiefer, sprüht wie Rauch,
er rinnt und trieft von Baum und Strauch,
er tropft auf Lauch und Kressen,
um sie zu nässen.

Er singt das Lied von Lore Ley,
die Schieferharfe klingt dabei...

Zu Bacharach am Rheine,
am Rand der Stadt, in einem Feld
von Mohn ganz rot und unbestellt,
da schlief das Kind alleine
bei einem Steine.

Sie wachte auf im Dämmerschein
und blickte auf den dunklen Rhein
und ließ das Haar verwehen.
Ihr feuchter Mund war rot wie Mohn,
ach, viele litten schon davon
und wollten untergehen,
die sie gesehen.

Wenn sie am Markte Wasser trug,
zerschlugen ihr den vollen Krug
die Weiber voller Neide.
Dann lag sie weinend auf den Knien,
schamrot, geschlagen und bespien,
mit ganz zerrissenem Kleide,
zu aller Freude.

Dem Bischof wurde hinterbracht,
das Mädchen habe Hexenmacht,
ging um mit Vieh und Hunden.
"Bringt sie zu mir!" der Bischof rief.
Das Volk, als sie im Mohne schlief,
mit Blüten ganz umwunden,
hat sie gebunden.

Der Bischof sah sie lange an:
"Mein Kind, was hast du denn getan
da draußen in dem Mohne?"
Da seufzte sie: "Was soll ich tun?
Man lässt mich ja nicht stille ruhn
im Mohnfeld wo ich wohne,
im roten Mohne.

Mir ist das Leben ja so leid,
ich weine nur die ganze Zeit,
nachts wein ich und bei Tage,
ich lauf im Aschenkleid umher,
als ob ich eine Dienstmagd wär,
wenn ich am Markt mich plage
und Wasser trage.

Ich schaue doch nach keinem Mann,
sie aber sehn mich alle an
begehrlich auf den Wegen.
Ich lieb doch einen Einzigen nur,
dem ich vor Jahren Treue schwur,
ihm bange ich entgegen.
Ich wollt es zögen,

es stiegen hier vor Euerm Thron
mir Zeugen auf. Wie litt ich schon,
als sie dort in den Schlehen
am Waldrand, wo es niemand hört,
mich schändeten auf Laub und Erd ́
und erst nach Bitt ́ und Flehen
mich ließen gehen!"

Der Bischof sah sie fiebernd an:
"Mein Kind, dein Zauber ist kein Wahn,
bringst meinen Puls zum Fliegen.
Mich hat erfasst das selbe Weh.
Wenn ich im Aschenkleid dich seh,
den Schmerz auf deinen Zügen,
muss ich erliegen.

Kämst du zu Tod, ich trüg es nicht,
wie könnte je dein Angesicht
ein Folterknecht zerstören!
So schließ dich in ein Kloster ein,
dort kann ich heimlich bei dir sein.
Mein Kind, willst du das schwören?
Lass es mich hören!"

"Wie kann ich schwören diesen Schwur!
Mein Liebster, der zum Krieg ausfuhr,
wird morgen mich umfangen.
Seht hier den Brief, er schrieb mir heut,
er käme heim, wär nicht mehr weit,
schrieb auch von seinem Bangen
und dem Verlangen".

"Führt er dich morgen zum Altar,
dann werd ich leiden viele Jahr
an Qualen nicht zu nennen!
Ach, lieber dich ins Feuer geh'n,
als in des Andern Arm zu sehn,
drum sollst du Hexe brennen.
Das wird euch trennen".

Sie ward geschmückt mit rotem Mohn,
stand auf dem Scheiterhaufen schon
und schrie des Liebsten Namen.
Der Bischof kniete lustgebannt
sah wie sie sich im Feuer wand,
bis sein Gewand beim „Amen!“
nass ward von Samen.

Dann warf er sich vor den Altar,
wo noch ihr Schreien um ihn war
und hallte von den Wänden.
Er schlug die Stirne an den Stein,
“Du weißt, o Herr, es musste sein!”
Das Beben wollt nicht enden
in seinen Lenden.

Als dann die Asche niederbrach,
ein Reiter trat herzu und sprach:
"Ich komm von weiten Fahrten,
ich suche meine Lore Ley,
doch keiner sagt mir, wo sie sei,
sie wollt mich doch erwarten,
in ihrem Garten,

mir war, als rief sie nach mir laut –
Noch heute wird sie meine Braut!"

–– Die Menschen ringsum schwiegen ––

"Ich lebte nur für diesen Tag,
und als der Feind darniederlag,
wie ließ mein Pferd ich fliegen,
um sie zu wiegen,
im Arm zu wiegen...".
___

Der Morgen dämmerte noch kaum,
Da hing der Bischof hoch im Baum,
Ein Pfahl in seinem Herzen,
Daran ein Zettel, drauf der Spruch:
„Die Sünder trifft des Himmels Fluch“
und ringsum Mohn und Kerzen
Für Lores Schmerzen.

Und weiter hatte wer geschrieben:
„Die Rache mag beim Herrgott liegen,
doch wir woll’n sie vollziehen –
für das, was ihr der Unschuld tut,
du Bischof und die Priesterbrut!
Tod wird euch allen blühen
und nie verziehen!“

So sang der Regen auf dem Dach,
danach lag ich noch lange wach
und konnt es nicht vergessen.
Es klang auf Schiefer, Strauch und Baum
sein leises Tropfen, hörbar kaum,
auf Rotklee auch und Kressen,
um sie zu nässen.


© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Lore Ley, eine Ballade aus alten Zeiten"

Eine neue Version der klassischen Balade von Lore Lay, in der sie in Konflikt mit dem lüsternen Bischof gerät, der sie begehrt und sie lieber vernichtet als zu ertragen, dass er sie nicht erringen kann. Er vernichtet sie aber auch, weil ihr Tod ihn sexuell erregt.

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Kommentare zu "Lore Ley, eine Ballade aus alten Zeiten"

Re: Lore Ley, eine Ballade aus alten Zeiten

Autor: Verdichter   Datum: 27.12.2017 19:10 Uhr

Kommentar: Gut gereimt!

Re: Lore Ley, eine Ballade aus alten Zeiten

Autor: mychrissie   Datum: 20.03.2018 20:38 Uhr

Kommentar: Gute Reime sind doch das Mindeste,was man als Poet können sollte. :-)

Re: Lore Ley, eine Ballade aus alten Zeiten

Autor: Maline   Datum: 29.04.2019 11:56 Uhr

Kommentar: Ich liebe Balladen. Die Reime sind Musik. Hatte schon als Kind ein heissgeliebtes Balladenbuch. Wir mussten damals auch noch viele auswendig lernen , wie zB.: Die Bürgschaft - Zauberlehrling - Des Sängers Fluch - Die Brück´ am Thay usw.
LG. Maline

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