Über dem Dorf, auf einem Hügel,
seit ewig eine Eiche steht.
Und jeden Herbst, mit tausend Flügel,
der Wind die Raben her verweht.

Es geschah in dunklen Zeiten,
irgendwo in diesen Gauen.
Als in der Wälder endlos' Weiten,
ein furchtbar Unglück war zu schauen.

Ein kleines Dorf, am grünen Anger,
über dem ein Hügel hebt empor.
Doch das Schicksal, unheilschwanger,
steht schon draußen, vor dem Tor.

Vor dem Haus, dort unter Linden,
wo die Not hat ihren Platze.
Kein einz'ger Kreuzer wär zu finden,
man fände nur des Elends Fratze!

Des allmächt'gen Vogts Vasalle,
stand hochtrabend vor der Tür.
"Bring Botschaft nun, an Euch hier alle,
rückt den Zehent mir herfür!"

Und Roderich, des Hauses Meister,
tat nun der Gemahlin kund:
"Ich fürchte dieses Vogtes Geister,
sprich du mit ihm, oh Kunigund!"

Es tat das Weib, wie ihr befohlen,
trat hinaus, ins Licht der Sonne.
Der Bot' betracht sie unverhohlen,
er betracht sie voller Wonne.

Denn so schön ist Kunigunden,
groß gewachsen, und so stolz.
Das Haar zu einem Kranz gewunden,
die Augen schwarz wie Ebenholz.

Von dieser Schönheit stark geblendet,
stieg er vom Pferd und schritt zu ihr.
"Dein Schicksal hat sich nun gewendet,
von diesen Zehent befrei ich dir!"

Verschämt schlug sie die Augen nieder,
"Habt vielen Dank, ihr edler Herr!"
Und sein Blick, er traf sie wieder,
und beiden wurd' das Herz so schwer.

Er nahm ihre Hand in seine Hände,
"Du holde Frau, ach sei doch mein.
Und bis an meines Lebensende,
so soll mein Herz nur bei dir sein!"

Sie trafen sich geheim im Orte,
sie liebten und sie küssten sich.
Sie sagte ihm die schönsten Worte:
"Geliebter, du, ich liebe dich!"

Doch Roderich, er hats erfahren,
ging wutentbrannt zum Blutgericht:
"Sie betrügt mich schon seit Jahren,
bestraft das Weib, ich will sie nicht!"

"Wir hängen sie dort an der Eiche,"
so hat das Blutgericht beschlossen.
"Bis das Leben euch entweiche,"
bitt're Tränen sind geflossen.

"Ihr bleibt hängen dort so lange,
bis die Raben euch gefressen.
Denn allen soll es werden bange,
die von der Fleischeslust besessen!"

Kaum war der Herbst so bunt geworden,
trieb man sie den Hügel rauf.
Um die Liebenden zu morden,
hing man sie an der Eiche auf.

Kunigund ging langsam, traurig,
kurz weht ein Sturm, so fürchterlich.
Und ihre Worte klangen schaurig:
"Geliebter, du, ich liebe dich!"

Wenn heut die bunten Blätter schweben,
dann kehren Raben, immer wieder.
Die alte Eiche ist voll Leben,
sie singen schaurig' Todeslieder!

by suedwind


© August Zinser


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Kommentare zu "Die alte Eiche"

Re: Die alte Eiche

Autor: Robin Kosan   Datum: 14.11.2013 12:56 Uhr

Kommentar: Kann mich Steffi nur anschließen. Sehr gut gelungen.

Re: Die alte Eiche

Autor: Suedwind   Datum: 14.11.2013 13:54 Uhr

Kommentar: Liebe Steffi, lieber Robin, euer Lob ist einfach Balsam.....
ich danke euch so herzlich!
Gustl!

Re: Die alte Eiche

Autor: simon   Datum: 14.11.2013 21:22 Uhr

Kommentar: Das ist ein sehr tiefgründiges und stillistisch sehr gut umgesetztes Gedicht.
Gruß Simon

Re: Die alte Eiche

Autor: Suedwind   Datum: 14.11.2013 22:00 Uhr

Kommentar: Danke, lieber Simon!
ich freue mich! Danke!

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