Da lag ein Dorf, still und verträumt,
ringsum die Wälder, weit und grün.
Das Kornfeld, es wogt sanft im Wind,
auf steilen Wiesen Blumen blühn.

Ein schmaler Weg, er führte weit,
durchs Dorf ins Hügelland.
Ein schlichtes Kreuz, seit ewg'er Zeit,
neben diesem Wege stand.

Der Wanderer zog seinen Hut,
das er ein "Vater unser" bete.
Und manches arme Menschenkind,
klagt dem Heiland seine Nöte.

Eine Mutter kniete einst,
vor dem Kreuz am frühen Morgen.
"Mein lieber Jesus," betet sie,
"hilf mir in meinen Sorgen."

"Du hast vor mehr als einem Jahr,
ein Kindlein uns gegeben.
Oh, bitte, Jesus, sage mir,
was hat das Kind von seinem Leben?

Es kann mit seinen toten Augen,
nie seine Eltern sehn.
Und mit den gelähmten Füßen,
nie über Wiesen gehen.

Stets liegt es da im starken Fieber,
tränkt das Bett mit seinem Blut.
Sein Herz, es schlägt so schwach und leise,
wie nur ein schwaches Herz es tut.

Wenn der Körper sich verzerrt,
und zuckt im wilden Schmerz
spür ich all die schlimmen Qualen,
mir zerbricht dabei das Herz.

"Oh, lieber Jesus," betet sie,
"will's nicht mit Gott verderben.
Ich bitte dich, erlös mein Kind,
lass mein Kindlein sterben!"

Als die bunten Blätter fielen,
da ward ein kleine Grab gegraben.
Vier Mädchen, ganz in Weiß gekleidet,
haben den kleinen Sarg getragen.

Die Mutter, sie schritt hinterher,
die Augen nass, von Tränen.
Und auf dem kleinen Sarg, da lagen,
weiße Chrysanthemen.

Man meint, dass sich um ihren Mund,
ein wehes Lächeln breitet.
Sie weiß, das nun ihr armes Kind.
von Engel wird begleitet.

Als am Himmel schon die Sterne prangen,
vorm Kreuz kniet eine junge Maid.
Aus den Augen heiße Tränen fließen,
so kniet sie weinend lange Zeit.

"Herr, ist es denn so eine große Sünde,
das ich einem meine Lieb' gegeben?
Seit jener Nacht, das spüre ich,
wächst in mir neues Leben.

Doch der Vater dieses Kindes,
hat sich leise fortgeschlichen.
Meine Mutter, die zu mir stand,
sie ist letzte Nacht verblichen.

Dieser Mann, den ich so liebte,
hat woanders Frau und Kind.
Doch, davon hatte ich kein Wissen,
und die Liebe macht auch blind.

Die Dorfleut' haben mich verstoßen,
rufen mir die Schande nach.
Kann das alles nicht ertragen,
mir bleibt nur noch der Weg zum Bach.

Hab' keinen Menschen, keine Bleibe,
kann dem Kind kein Bettchen geben.
Wenn ich mich stürze in die Fluten,
bitte, Herr, tu mir vergeben!"

Es fielen schon die ersten Flocken,
da fand man den Körper, drunt im Fluss.
Ein stummer Schrei, kein letztes Wort,
kein letzter Brief, kein letzter Gruß!

Im letzten Eck des Gottesackers,
dort, wo die armen Seelen darben
da hat man, ohne jeden Segen,
nächtens den Sarg vergraben.

Es steht ein Kreuz am Wegesrand,
umsäumt von Wiesenrainen.
Geh ich vorbei, dann ist es mir,
als hört ich leises Weinen!


© August Zinser


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Kommentare zu "Das Wegkreuz"

Re: Das Wegkreuz

Autor: agnes29   Datum: 12.10.2013 9:03 Uhr

Kommentar: Ich habe den Atem an gehalten so schön geschrieben,wir hatten in meiner Jugend auch ein Wegkreuz in
unser Dorf,man ging nicht vorbei ohne ein schnelles Kreuzzeichen zu machen .Agnes

Re: Das Wegkreuz

Autor: Suedwind   Datum: 12.10.2013 18:47 Uhr

Kommentar: Ganz lieben, herzlichen Dank!
Ja, so war es damals.......
Liebe Grüße!

Re: Das Wegkreuz

Autor: jolenz.lyrics   Datum: 12.10.2013 19:42 Uhr

Kommentar: Sehr berührend. Danke dafür. Liebe Grüße, Jo.

Re: Das Wegkreuz

Autor: Sabine Müller   Datum: 12.10.2013 23:23 Uhr

Kommentar: Wunderschön und sehr ergreifend geschrieben, lieber Südwind!
Liebe Grüße, Sabine

Re: Das Wegkreuz

Autor: Suedwind   Datum: 12.10.2013 23:30 Uhr

Kommentar: Dankeschön, liebe Sabine, und herzliche Grüße!

Re: Das Wegkreuz

Autor: simon   Datum: 13.10.2013 3:25 Uhr

Kommentar: Hallo Süedwind,
ganz ganz tolles Werk! Respekt!
LG Simon

Re: Das Wegkreuz

Autor: Suedwind   Datum: 15.10.2013 16:15 Uhr

Kommentar: Ganz, ganz vielen herzlichen Dank!

LG

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