Ich habe sie verloren und ich weiß nicht, wie ich sie jemals zurück holen kann.
Hast du sie gesehen?
Sie ist davon geflattert, als ich zu sehr auf andere Dinge fokussiert war. Ich habe sie vernachlässigt.
Sie hat ihre zarten Flügel ausgebreitet und ist einfach so hinausgeflogen.
Ohne es mir zu sagen. Ohne „Lebe wohl“ zu sagen. Ohne mich mitzunehmen.
Ich weiß noch, als ich an meinem Schreibtisch saß und mit ihr gemeinsam Bilder gemalt und Geschichten geschrieben habe. Ich weiß noch, als ich mit ihr in meinen Träumen die schönsten Welten besucht und viele Abenteuer erlebt habe.
Aber nun ist sie weg.
Jetzt sitze ich alleine an meinem Schreibtisch. Den Stift in meiner Hand, ein Zeichenblock vor mir und…nichts in meinem Kopf.
Eine schreckliche Leere hat sich dort ausgebreitet. Sie hat alles verdrängt, was mich glücklich gemacht hat. Ich durchstreife meinen Geist, doch finde sie nicht. Ich geistere noch eine Weile in meinen Gedanken durch meinen Kopf. Versuch mir die Orte vorzustellen, an denen wir gemeinsam waren. Es gelingt mir jedoch nicht.
Ein großes, dunkles Labyrinth ist in meinem Kopf, das keinen Ausgang zu haben scheint.
Ohne sie bin ich verloren.
Ohne sie bin ich nichts,
Sie hat mich ausgemacht.
Mit ihr habe ich mich nie alleine gefühlt.
Konnte mich in den schrecklichsten Momenten mit ihr verstecken. Durch sie hab ich die Welt anders betrachtet. Nun ist meine Umgebung nur noch trostlos. Alles hat einen faden Geschmack, der sich durch nichts vertreiben lässt. Nichts glänzt mehr. Kein schimmern ist zu mehr sehen.
Ich laufe weiter. Direkt in das Labyrinth hinein. Nehme eine Abbiegung nach der anderen, doch nimmt es kein Ende. Langsam bin ich an dem Ende meiner Kräfte. Erschöpft sinke ich auf den schwarzen Boden in mitten des finsteren Labyrinths.
Halte meinen Kopf gesenkt und eine Träne nach der anderen kullert über meine Wangen. Voller Verzweiflung habe ich angefangen zu weinen. Ein schluchzen verlässt meine Lippen. Das Geräusch zerreißt die Stille und ich höre erst jetzt, wie laut mein Herz schlägt. Ein stetiges Bum-Bum, Bum-Bum in dem Schweigen des Irrgartens. Als keine weitere Träne über meine Backe rollen möchte, weil sie alle verbraucht sind, schaue ich auf. Die Dunkelheit scheint mich verschlucken zu wollen.
Doch dort!
Dort vorn an der nächsten Biegung nach rechts, leuchtet etwas hell auf. Es durchschneidet die Finsternis wie eine scharfe Klinge. Ein rettendes Schwert in der schon geglaubten, verlorenen Schlacht. Mit tauben Füßen stehe ich auf. Strecke die Hand nach dem Licht aus und fange an zu laufen. Erst langsam, dann immer schneller und schließlich renne ich um mein Leben. Immer dem Lichtschein hinterher. Es fliegt immer ein paar Meter vor mir durch die Luft und leitet mich. Als ich schon bald keine Luft mehr bekomme und denke, dass ich es vielleicht nie schaffen würde es zu erreichen, erhellen sich die Wände um mich herum. Die Helligkeit vertreibt die Dunkelheit zunehmend mehr. Schließlich habe ich die Lichtquelle gänzlich erreicht. Voller Mühe halte ich mich noch auf den Beinen. Sehe erst jetzt wirklich hin und fange sofort wieder an zu weinen.
Vor Erleichterung.
Vor Freude.
Vor Glück.
Ich habe sie wiedergefunden.
Stolz mit erhobenen Kopf steht sie vor mir. Ihre Flügel flattern durch die Luft und erzeugen ein leichteste Surren.
Aber ich habe nicht nur sie gefunden, sondern auch den Grund für ihr Verschwinden.
Sie hat sich alleine gefühlt. Sie war so schrecklich einsam, weil ich mich nicht mehr mit ihr beschäftigt habe.
Sie hat still gelitten und ich habe es nicht gemerkt. Erst, als sie weg war, habe ich realisiert, dass mir ein wichtiger teil verloren gegangen ist. Nun werde ich sie nicht mehr gehen lassen. Werde mich um sie kümmern. Das verspreche ich ihr.
Und tatsächlich…
Als ich den Stift von meinem Tisch hebe, kann ich es wieder. Ich kann wieder Zeichen.
Kann wieder Geschichten schreiben und träumen.
Denn ich habe sie ja wiedergefunden.


© Violet E.


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Beschreibung des Autors zu "Verschwunden"






















Meine Fantasie.

Violet E.

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