Verschleiert

Du trittst vor die Tür. In deinem Kopf herrscht Leere. Wie so oft. Du weißt nicht wohin. So geht es dir seit Jahren. So lange schon irrst du umher. Etwas in dir versucht zu schreien. Und niemand hört es. Du hast gelernt es zu kontrollieren. DICH zu kontrollieren und in die Schranken zu weisen, die die Gesellschaft für dich aufgestellt hat. Die die Leute errichtet haben, die glauben dich am besten zu kennen. Nichts wissen sie. Nicht den Hauch einer Ahnung haben sie. Auch wenn sie dir ja teilweise sehr nah stehen. Das sagt nichts aus. Das du spürst, das etwas fehlt, dass du spürst WAS fehlt, ahnt keiner auch nur ein Stück. Keiner hört den Schrei. Spürt nicht die Unruhe. Den umherirrenden Blick. Die Anspannung. Sieht nicht deine geballten Fäuste. Für deine Mitmenschen scheint alles normal. Du gibst dich ja auch normal. Unscheinbar. Angepasst. So, dass keiner es als nötig erachtet, dir auch nur einen weiteren Blick zu schenken.
Aber mit der Zeit hast du gelernt, dass auch nicht mehr zu erwarten. Du machst mit deinem einsamen Streifzug weiter. Fühlst dich missverstanden, aber das auszusprechen wird dir von den Blicken untersagt. Du siehst vor deinem inneren Auge wieder und wieder diese eine Person, die stets einen Schritt vor geht, hinaus aus der Reihe der anderen. Und immer zeitgleich einen Schritt auf dich zu. Und jedes Mal ist dieser eine Schritt der Moment, wo du anfängst deinen Atem endlich zu kontrollieren. Die Anspannung löst sich auf. Dein Schritt wird fester. Und du kannst diesem Menschen in die Augen schauen. Was du bei niemandem sonst geschafft hast – so lange ihr auch schon euer Leben miteinander teilt. Das spielt keine Rolle.
Und dann steht diese Person vor dir. Ihr kennt euch nicht. Und doch spürst du deine Verbindung. Er hält deinem Blick stand, sieht dein Ich. Während alle anderen um dich herum dein Lächeln erwidern, verzieht er keine Miene. Denn er sieht deine verschleierte wahre Emotion hinter dem gekünstelten Verziehen deiner Lippen. Den Schmerz. Und statt also zu lächeln, streckt er wortlos eine Hand nach dir aus, zieht dich in seine Arme und fängt an dir Trost ins Ohr zu wispern. Während die Umstehenden verwirrt die Stirn in Falten legen.


© MajaBerg


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