Abendraum



Ester Kinskys „Dazwischen“ im Ohr verhallen lassend, betrachte ich das wohlige Gelb der gegenüberliegenden Wand im allabendlichen Raum, dem Abendraum, und denke mir: „Das ist es!“ Das Dazwischen, das Geborgensein im Transit, wie sie es nennt, ist mir, ohne dass ich mir dessen je in dieser Klarheit bewusst war, stets eine treue Begleiterin gewesen. Mehr im Monolog denn im Dialog. In meinen Tagträumen, in meinen Sprachphantasien. In meinen Formulierungsgebilden kurz vorm Einschlafen. Aber auch wachend. Sehend. So wie jetzt gerade – im Abendraum. Da ist die gelbe Wand, warm beschienen vom Licht der kleinen Lampe links auf dem Regal, in dem die Spiele der Kinder stehen. Rechts sitzt der Holzfrosch mit herabbaumelnden Holzknien auf dem Schrank mit den Glastüren und den Fotoalben. Viel spannender noch ist das weißgerahmte Raupenbild meines Sohnes. Die farbenfrohe Raupe mit dem weit aufgerissenen, dabei niemals bedrohlich wirkenden Lächeln. Die so gut hierher passt, weil das Weinrot des Kartons, auf den sie einst gepinselt wurde, so wohltuend harmonisch warm zum Warm des Gelbes der Wand passt. Den Rahmen im wahrsten Wortsinn bildet der Stuckzierrahmen, der die Wand von der Decke trennt. Anmutig sieht er aus, mit seinem eleganten Weiß. Auch er beschienen vom Warm der kleinen Lampe. Und er rahmt ihn ein, meinen allabendlichen Blick im Abendraum.



Und ich kann ihn so wunderbar pseudoobjektiv beschreiben, diesen subjektiven Ort der Wärme. Der stets ein Ort der Wärme für mich ist, weil im Transitbereich dieser Pseudoobjektivität mein subjektives Dazwischen liegt. Diese Perspektive, die für grundsätzlich alle in diesem Haus da ist, aber nur von mir so gefühlt wird, weil ich die Dinge aus meinem Dazwischen in das zu Sehende mit hineinspreche. Und somit benenne.



So betrachtet, ist diese allabendliche Perspektive in unserem Abendraum mein Hafen. Nach einem Tag voller Angst vielleicht, nach einem Tag voller Unwägbarkeiten. Bin ich wieder hier. Im Warm meines gelben Hafens mit dem Rahmen. Der ist verlässlich da. Scheinbar war es tagsüber nicht so schlimm wie empfunden, denke ich mir sogleich. Wenn es mich wieder in diesen Transithafen zurückgespült hat. Das Geborgenheit schenkende Weich des Sofas unter mir spürend. Dann decke ich mich damit zu, mit diesem Gefühl der Wärme und ich fühle das nicht nur, nein, ich spreche denkend zu mir. Und es stellt sich mir die Frage, wie ich dieses doch recht regelmäßig stattfindende Zwiegespräch mit mir übersetzen sollte? In eine Sprache, die beim Zuhörer mein Dazwischen abbildet? Und selbst wenn das gelänge und der Zuhörer meine Worte wiedergäbe, dann kann das doch gar nicht mehr mein Dazwischen sein. Und warum sollte dieser Mensch mein Geborgenheitsgefühl in seinen reproduzierten Wörtern, die er von mir gehört hat, empfinden können? Dann ist meine allabendliche Perspektive im Abendraum also unübersetzbar, weil mein stummes Sprechen, mein emotionales Benennen des zu Sehenden nur stummsprechend empfunden werden kann? Verändert allein das Laut-Aussprechen mein Subjektivkunstwerk aus Sprache und Gefühl?



Und wieder denke ich mir: „Das ist es!“ Im Refugium meines Dazwischens, meines Sprachgefühlsubjektivkunstwerks, das unübersetzbar ist, kann und darf ich mich geborgen und wohlig einsam fühlen – inmitten aller. Hier darf ich mich erholen und meiner Gefühlssprache hinterherhängen. Ich liebe meine unübersetzbare Gedankensprache.


© Mirko Uhde


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