In geduckter Haltung schleiche ich mich seitlich an den Körper heran, welcher sich scheinbar bewusstlos gegen die Hauswand links von mir lehnt. Noch scheint das Ziel mein Kommen nicht bemerkt zu haben und selbst wenn, meinen überlegenen Fähigkeiten kann ohnehin keiner von ihnen etwas entgegensetzen. Noch wenige Schritte und ich stehe vor der Person, ihre zerfetzte Jeans hängt wie ein Sack um die knochigen Beine und ist mit unzähligen Flecken übersät, deren Herkunft ich nur erahnen kann. Der signifikante Geruch von Ausscheidungen und Verwesung der mich umfängt, seit meine Gestalt ihren Schatten auf das Häufchen Elend wirft, bestätigt jedoch meine wagen Vermutungen.

Ey, rufe ich halblaut, trete mit der Innenseite meiner feste geschnürten Springerstiefel gegen das dürre Bein und werde mit der erwarteten Reaktion, einem heiseren Krächzen, belohnt. Die Vorfreude zwickt mich in den Unterleib und ein angenehmes Kribbeln breitet sich in mir aus, während sich meine Rechte feste um den Baseballschläger schließt, dessen abgestumpfte Spitze mit langen, durch geschlagenen Zimmermannsnägeln gespickt ist. Langsam schwankend erhebt sich der halb verweste Körper, weiterhin erklingt das kehlige Geräusch aus dem blutigen Loch, welches einmal ein Mund gewesen war.


Tanz mit mir, flüstere ich, trete einen Schritt zurück, nun legt sich auch meine linke Hand eisern um den schmalen Griff. Mittlerweile hat mein Gegenüber sich zu seiner ganzen, mickrigen Höhe aufgerichtet und macht taumelnd zwei schlurfende Schritte auf mich zu. Ein pfeifendes Geräusch begleitet meinen kräftigen und präzise ausgeführten Schlag, bevor es von dem lauten Scheppern eines zerberstenden Schädels und dem Schmatzen, des gegen die Hauswand geschmetterten Inneren, abgelöst wird.








"Das ist ziemlicher Bullshit". Die Stimme des Therapeuten riss mich unsanft aus meinem Tagtraum. "Naja, sie haben gefragt wie ich mir das Ende der Welt vorstelle. Zombies sind doch ein guter Anfang", murmelte ich, verlegen wegen seines Kommentars. "Du würdest sterben bevor du Zuhause ankämst", bemerkte er emotionslos. Bestürzt blickte ich auf. Danke, sehr erbauend. Mit so einer herablassenden Art konnte ich nicht viel anfangen.

Zugegeben, es war meine erste Sitzung bei dem mittelalten, ganz in schwarz gekleideten Kinder- und Jugendpsychologen, dennoch zweifelte ich bereits ernsthaft an seinen Fähigkeiten. Standen Empathie und Verständnis nicht ganz oben in der Jobbeschreibung dieser sogenannten Familienhelfer ? Wenn der immer so niederschmetternde Anmerkungen macht, hat er wahrscheinlich bald die ersten Springer zu verbuchen, schoss es mir durch den Kopf und ich musste unwillkürlich grinsen.

Meine morbide Freude an dem Unheil anderer Menschen war nur einer der Gründe, aus denen ich von nun an alle zwei Wochen auf diesem unbequemen Sessel platznehmen und mir anhören sollte, dass sowas nicht normal sei. Ein anderer Grund war die ungezügelte Wut die manchmal über mich kam und von der ich mich nur allzu gerne beherrschen ließ. Partner und Familie zuliebe, die natürlich alle nur das Beste wollten und sich sorgten, saß ich nun hier und fühlte mich unter seinem bewertenden Blick wieder wie eine zwölfjährige.

Das ich nicht ganz normal tickte, war mir durchaus klar und ein Teil von mir war sich sicher, dass es eine Art angelernte Trotzreaktion war. Irgendwann hatte ich die Nase voll gehabt, von all den Werten und Normen denen die Menschen blind nachjagten, ohne auch nur im Ansatz etwas zu hinterfragen und vor allem davon, ständig irgendwelche Nachbarn auf der Straße zu grüßen, die ich nur kannte, weil sich ab und zu mal der Postbote mit den Nachnamen vertat. Ich wollte nicht länger dieser überlaufenen Gesellschaft angehören, welche nach Individualismus strebte während sie zeitgleich über die Do’s und Dont’s der Modeszenen diskutierte.

Leider stand ich mit dieser Einstellung ziemlich allein da und irgendwo anzuecken wurde zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen. Beflügelt von meiner Impulsivität verteufelte ich weitgehend alles und jeden der anders dachte als ich. Ich wollte Ärger. Ich wollte Diskutieren. Ich wollte mit meinen Ansichten schockieren. Und ich war mir dessen absolut bewusst. Demnach konnte ich den traurigen Gesichtsausdruck und die Bitte meiner Eltern mir Hilfe zu suchen schon irgendwie nachvollziehen. Ich war ja nicht wirklich verrückt, ich war nur… Anti eben.

Im Laufe der Jahre hatte ich mich daran gewöhnt, nicht für voll genommen zu werden, falls ich überhaupt mal das Glück hatte jemanden zu finden, der mir ernsthaft zuhörten. Daher brachte mich die unqualifizierte Bemerkung von Mr Black, so hatte ich ihn insgeheim getauft, auch nicht nicht wirklich auf die Palme. Man hätte eher sagen können, dass ich einfach mit der Grundsituation unzufrieden war, denn meiner Ansicht nach, lag das große Problem in der Gesellschaft und nicht bei mir und trotz dessen hatte ich mich an diesem sonnigen Mittwoch Vormittag aus der Wohnung gequält, um diesem merkwürdigen Kerl meine Wunschvorstellung über das Ende der Welt mitzuteilen. Weil er danach gefragt hatte. Und dann hatte er nichts besseres zutun als den gleichen Blödsinn zu verzapfen wie alle anderen.

Ein kurzer Blick auf die Digitaluhr schräg hinter dem bärtigen, ernst dreinblickenden Männerkopf, der mich mürrisch musterte verriet mir, dass diese Tortur nur noch 12 Minuten anhalten würde. Innerlich begann ich das Projekt Therapie abzuhaken und stellte meinen Kopf auf Autopilot, nach außen hin formte mein Mund zustimmende Worte, mein Kopf nickte bedächtig und setzte eine bedauernde Miene auf. Wenig später brummte ich eine Verabschiedung, verschob die nächste Terminvereinbarung auf ein Telefonat im Laufe der Woche und stand tief durchatmend vor der Türe der städtischen Einrichtung.




Auf dem Weg zu meinem Auto begleite mich nur das Geräusch meiner schlurfenden Schritte, ansonsten drangen keinerlei Geräusch an meine Ohren. Viele der Häuser, die die ausgestorbene Straße säumten hatten gegen die Hartnäckigkeit der Sonne die Rolladen herabgelassen und auch das unwirkliche Rauschen der nahegelegenen Autobahn war verstummt. So fängt es an, lachte ich leise während ich den leicht verbogenen Autoschlüssel in das Türschloss des alten Fiats zwängte.

Die Hitze hatte sich im Laufe der einstündigen Sitzung im Innenraum des kleinen Wagens angestaut und erschlug mich beinahe, daher beschloss ich mit dem Einstieg noch etwas zu warten und öffnete ebenfalls die Türe der Beifahrerseite. Gegen die Motorhaube gelehnt, sog ich mit geschlossenen Augen die Stille meiner Umgebung auf und genoss die heißen Strahlen auf meinen nackten Armen und Beinen. Für gewöhnlich hielt ich mich fern von der Sonne, welche ich in der Regel als viel zu hell, viel zu warm und einfach generell viel zu sonnig empfand. Wenn ich wollte konnte ich an allem was aussetzen aber heute fühlte sich alles irgendwie anders an. Ich fühlte mich anders an. Was eine einzige Therapiestunde ausmachen konnte, dachte ich sarkastisch und lächelte müde. Den Blödsinn würde ich mir sicher nicht noch einmal antun.

"Mila". Laut zerschnitt mein Name die schwere Luft und hallte von den Häusern wieder. Erschrocken fuhr ich herum, den Autoschlüssel schützend wie ein Messer schwingend und kam mir im selben Moment komplett bescheuert vor. Mit großen ausladenden Schritten kam der Psychologe in meine Richtung. In seiner Hand hielt er ein flaches, dunkles Kästchen welches er mir kommentarlos entgegen Strecke, nachdem er wenige Meter vor mir zum stehen kam.

Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch, erkannte den Gegenstand dann jedoch und fühlte mich erneut wie ein Trottel als ich ihm mein Handy aus der Hand nahm. Errötend presste ich einen Dank hervor, schloss die Beifahrertüre und hatte eigentlich geplant, schnell hinter dem Lenkrad zu verschwinden doch seine schwere Hand auf meiner Schulter hielt mich zurück.

"Du solltest wirklich wieder kommen. Mit Paranoia und Gewaltvorstellungen ist nicht zu spaßen". Sein tiefer Bass vibriert in meinen Ohren. Konsterniert blickte ich ihn an. Einer der seltenen Augenblicke dem ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Er schien jedoch auch keine Antwort zu erwarten, stattdessen drückte mich seine Pranke bestimmt hinab ins Auto und schloss die Türe, bevor seine massige Gestalt sich umwandt und davon schritt.

Ich saß noch einige Minuten verwirrt hinter dem Lenkrad, bevor ich den Motor anließ und mein Gefährt nach Hause lenkte. Manchmal verstand ich einfach nicht, was um mich herum geschah. Wahrscheinlich war ich doch verrückt.


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