Ich stieg vom Fahrrad und stellte es, ohne es abzuschließen an den Zaun gegenüber des Haupteingangs. Ich war spät dran. Meine Armbanduhr zeigte 12:57 an. In genau 11 Minuten musste ich am Fließband stehen um Sie nicht zu verpassen. Durch die Fahrt auf dem Fahrrad waren die Blumen etwas mitgenommen. Ich hatte rote Pfingstrosen besorgt. Das waren ihre Lieblings-Blumen.
Die Eingangshalle des Flughafens war überfüllt von Menschen. Ich war aufgeregt und in meinem Bauch gribellte es so, dass schon unangenehm wurde. Nachdem ich an der Auskunft gefragt hatte ging ich in Richtung der Gepäckannahmezone. Meine Armbanduhr zeigte jetzt 13:03 an. Noch fünf Minuten. Ich konnte es kaum erwarten sie wieder in den Armen zu halten, Ihr lächeln zu sehen und sie sprechen zu hören. Vor einem Spiegel, neben den Toiletten blieb ich stehen, um nochmal durch meine Haare zu fahren und den Kragen meines Hemdes zurechtzurücken. 13:05. Die Blumen sahen den Umständen entsprechend gut aus. Es war 13:10, als ich am roten Absperrband stehen blieb. Ich war nicht alleine. Rechts neben mir wartete eine südländisch aussehende Frau mit brauner Lederjacke und einem großen Schild mit den Worten:“Welcome in Germany Paul!“. Etwas weiter rechts stand ein älteres Ehepaar mit Blumen und einem großen Herz aus Schokolade. Im Hintergrund bemerkte ich eine kleine Gruppe von Schülern, die über einen gerade erzählten Witz lachten. Sogar die Lehrerin lachte mit. Dazu kamen eine vierköpfige Familie und zwei einzelne Männer, die wie ich Blumen dabei hatten. Ich vertrieb mir die Zeit mit dem Nachrichten anschauen, auf einem der überall hängenden kleine Bildschirmen. Wie es aussah war nichts besonderes passiert in der Welt. Nachdem ich so eine Weile gewartet hatte sah ich erneut auf meine Armbanduhr. Sie zeigte 13:12 an. Das wunderte mich und ich erkundigte mich bei der Frau, ob sie etwas von einer Verspätung wüsste.“Ja, das Flugzeug ist anscheinend etwa zehn Minuten später losgeflogen.“ Ich dankte ihr und schaute weiter den Nachrichten zu.
In diesem Augenblick kam eine Gruppe Flughafenpersonals aus einer Tür hinter dem Fließband. Ein großer, freundlich aussehender Mann, der erkennbar zur Security des Flughafens gehörte, forderte uns auf mitzukommen. Auf die Frage: ,Warum?´ , bekamen wir keine Antwort. Inzwischen waren noch mehr Leute hinzugekommen und es folgte somit eine große Menge von ungefähr 23 Menschen der verschwiegenen Security. Nie werde ich diese Momente der Ungewissheit vergessen, denn jeder von uns machte sich sichtlich sorgen. Im nachhinein kann ich das Schweigen des Sicherheitspersonals auch nicht nachvollziehen. Wir bogen also um die Ecke und wurden in einen kleinen Saal geführt. Am Eingang stand ein ernst dreinblickender Mann und schaute uns mit einen unergründlichen Blick an. Als alle im Raum waren fragte der Mann ob wir alle auf Passagiere dieses Fluges, mit dem Sie auch kommen würde, warten würden. Alle bejahten. Daraufhin erhob eine, von uns bis jetzt kaum beachtete Frau die Stimme: „Meine Damen und Herren ich bedauere ihnen mitzuteilen müssen, dass der Flug 4N 9529 nicht mehr landen wird!“
Stille... Unglauben... Ich schaute mich um. Keiner rührte sich. „Ich fürchte es gibt keine Hoffnung auf Überlebende.“ fuhr die Frau ruhig und hart fort, „Das Flugzeug, wie ich mitlerweile mit Sicherheit sagen kann, ist in Südfrankreich in den Alpen abgestürzt.“ Ich begriff nicht. Ich wollte nicht. Keiner in diesem Raum wollte. Keiner in dieser Stadt wollte. Keiner in diesem Land wollte. Niemand wollte!
Ich erinnere mich, wie ich auf meine Armbanduhr schaute und es schon fünf Minuten vor halb war. Ich setzte mich ohne nachzudenken auf einen der Stühle und legte die Blumen auf den Boden. Eine Träne rollte mir die Wangen hinunter. Wut kam in mir auf. Alle Freude, all die Gute Laune, das Gribbeln, alles war verschwunden. Es herrschte Leere in meinem Kopf. Leere und Wut und Unverständniss. Wut auf alles und jeden. Wut auf die Frau, Wut auf die Security. Wut auf jeden und alles. Wut auf diese unbarmherzige Welt!!!


© Jakob.H.


0 Lesern gefällt dieser Text.


Beschreibung des Autors zu "Ohnmacht"

In Gedenken an den Germanwings-Absturz des Fluges 4U 9525 Opfern und ihrer Angehörigen am 24. März 2015.

Spontan nach dem Absturzes als meine erste Kurzgeschichte geschrieben:)




Kommentare zu "Ohnmacht"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Ohnmacht"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.