Es ist morgens, mein Mann schläft noch, auf dem Fußboden vor dem Bett. Aber das ist mir egal, ich habe nicht das Bedürfnis, ihn liebevoll aus seinem Tiefschlaf zu reißen. Aber manchmal stehe ich mit dem falschen Bein auf und dann wird er wach, weil er meinen nackten Fuß im Mund hat. 
Mein Mann darf gerne lange schlafen, umso weniger muss ich mich mit ihm beschäftigen und der Tag kann sehr lang sein, wenn man jemanden wie ihn an seiner Seite hat. Bedürfnisse habe ich sowieso keine mehr, was ihn betrifft, denn er ist einfach nur da. Nicht mehr und nicht weniger. Er ist da, um ihn zu versorgen, mit Nahrung und Schutz vor Kälte. Ansonsten nehme ich seine Anwesenheit kaum wahr. Es ist, als würde er mir unsichtbar um die Beine schleichen, ohne mich dabei zu berühren und völlig lautlos. Den einzigen Laut, den er von sich gibt ist Schnarchen, alles andere hat er bewusst verlernt, weil ich es so wollte und ihn nebenbei gut erzogen habe. Sein sinnloses Reden und seine ewigen Standardtexte haben mich sehr genervt, deswegen drohte ich ihm mit Fußtritten, wenn er noch einen Ton sagt. 
Seitdem ist Ruhe. Seitdem ist schon fast 20 Jahre.

Meine Stube ist seine Hütte, in der er es schön warm hat und jeden Abend sein Futter auf den Tisch kriegt, hübsch angerichtet auf dem hässlichsten Teller, den ich habe. Er legt keinen Wert auf Ästhetik. Ich bereite ihm sein Essen zu, in 10 Minuten. Auf das Verfallsdatum nehme ich keine Rücksicht, er merkt eh keinen Unterschied und sein Magen hält alles aus. Selbst den größten Klumpen Gammelfleisch. 

Für ihn sind Wärme und Essen sehr wichtig, mehr braucht er nicht, um glücklich zu sein. Jedenfalls waren das seine letzten Worte vor paar Jahren. 
Hauptsache, warm, trocken und Frauchen, was ihm abends sein Essen auf den Tisch knallt, denn es gibt nur eine Mahlzeit am Tag, mehr ist nicht drin. Kein Geld und keine Lust. Mein Mann soll ja nicht zu sehr verwöhnt werden. 
Am liebsten mag er das heiße Pfannenfett, welches ich ihm über sein Fleisch gieße, oder schütte. Er ist ein richtiger Allesfresser, mein Mann, welchen ich auch gerne Hund nenne. Viel anders kann man sein Dasein nicht bezeichnen, denn so verhält er sich. Er wird von einer Ecke in die nächste geschubst, wie ein unliebsamer Straßenköter, der völlig nass vom Regen ist. Umgeben von Tritten und Beschimpfungen. Er sitzt unbeachtet in der Wohnung, wenn sich das Leben um ihn herum tummelt. Alle lachen und er winselt in sich hinein, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Tapfer. Mein Mann schaut anderen beim Leben zu und beobachtet aufmerksam. Aber sein Leben ist vergessen. Er lebt einsam in einer Familie.

Hunde brauchen nicht viel und deren Ansprüche lassen sich mit denen meines Mannes am besten vergleichen. Leider ist es so. Mein Mann interessiert sich nur für Essen, Schlafen und Wärme. Wenn er eine Frau braucht, muss er nur den Fernseher anschalten. Ich bin schon lange nicht mehr seine Frau, sondern nur seine Versorgerin, weil er alleine nicht klarkommt. Selbst die Unterhosen muss ich ihm jeden Morgen raussuchen, denn er weiß nicht, wo sein Kleiderschrank ist. Eigentlich kennt er sich überhaupt nicht zu Hause aus. 

Aber etwas ist dennoch anders an ihm, als bei richtigen Hunden: Mit dem Schwanz wedeln tut er nicht mehr. Wenn er spielen will, zeigt er das auf eine andere Art. Er leckt mein Gesicht ab, was ich nicht erwidere. Ich ekel mich davor. Wenn er Annäherungsversuche macht, setze ich ihn vor die Tür oder sperre ihn im Wohnzimmer ein. Früher hat er manchmal versucht, sich auf mich zu stürzen, aber damit war schnell Schluss, weil er dann Futterentzug bekam und über Nacht auf die Straße geschickt wurde. Sollte er doch zusehen, wo er blieb und aus leeren Mülltonnen fressen. 

Mein Mann..er ist pflegeleicht, ich muss ihn nur einmal in der Woche in die Wanne schicken, meistens freitags, nach dem Gassi-Gehen (Einkaufen). Ich kaufe ein und er wartet im Auto. 
Rasieren muss ich ihn nur selten, denn das gefällt ihm nicht. Er fühlt sich wohl, wenn ihm sein Gesicht zuwächst. Mir ist das ganz recht so, denn ich mag nicht so viel Zeit mit ihm verbringen. Es gibt Wichtigeres. 

Vor 20 Jahren war alles noch anders, denn so lange kennen wir uns inzwischen.
Da gab es Gefühle, die mir jetzt schon seit Ewigkeiten fremd sind und an die ich mich schlecht erinnere oder mir nicht vorstellen mag, weil es absurd ist. Gerne würde ich mir frühere Photos anschauen, um das alles nachzuvollziehen, wobei ich jedes Mal feststellen muss, dass ich kein einziges Photo von ihm besitze. Dafür hat er einen ganzen Karton voll mit Bildern von mir. 

Mittlerweile weiß ich, warum er schon so lange bei mir wohnt. 
Mit der Frage verschwendete ich viele meiner wertvollen Gedanken.. Aber es stimmt, es gab mal eine Zeit, in der ich ihn irgendwie mal kurz geliebt habe und er mich auch. Damals waren wir so überwältigt von unseren übertriebenen Gefühlen, dass wir sofort heirateten, war ja auch so üblich. Betteln konnte er schon immer ganz gut, also ließ ich mich von ihn hinreißen. Die Menschen um mich herum setzten mich zusätzlich mit unter Druck, denn wer nicht gleich heiratete, wurde schief angeguckt. Eigentlich blieb uns gar nichts weiter übrig, als die Sache schnell hinter uns zu bringen. Wir heirateten ohne Gäste und ohne Feier, denn wir sahen das als Zeit- und Geldverschwendung an. Uns reichte die Urkunde, wo drauf stand, dass wir nun offiziell den gleichen Nachnamen haben. 

Nun sitze ich hier mit ihm fest und bin enttäuscht, von dem, was ich mir ins Haus geholt habe. All meine Wünsche hat er mir verdorben. Er steht mir im Weg, auch, wenn er sofort geht, wenn ich komme. Wir leben aneinander vorbei auf einer 80 qm² Mietwohnung im tristen Plattenbau, wo die bröckelnde Fassade genau unser Eheleben widerspiegelt. 
Die Freude und die Gefühle hielten damals nur kurz an, dann war alles weg und kam nie wieder.

Das einzige Gefühl, welches ich noch habe, ist das Gefühl, mich um ihn kümmern zu müssen, dazu bin ich als Frau schon fast verpflichtet. Ich habe ihn durch unsere Heirat sozusagen adoptiert und fest an mich gebunden. Weggeben kann ich ihn nicht mehr, dazu fehlt mir das Geld. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er ein neues Frauchen findet, was ihn gern hat. Niemand würde ihn haben wollen. Nur ich damals, weil ich gerade meine Tage hatte und völlig durcheinander war, was Gefühle anging.

Irgendwie tut er mir Leid. Deswegen bleibt er jetzt bei mir, ich muss ja nicht viel dafür tun, damit es ihm gut geht und eigentlich kostet er weniger Geld, als ein echter Hund. Das teure Markenfutter kann sich eh keiner leisten und Tierarzt ist auch teuer. Da habe ich es mit meinem Mann schon leichter, denn er hasst Ärzte und beim Essen stellt er keine Ansprüche, oder kann auch mal verzichten. 
Nicht mal Streicheleinheiten braucht er, von denen hat er am Anfang ja genug bekommen. Ihm reicht seine Kuscheldecke, unter der er seinen täglichen Mittagsschlaf hält, die gibt ihm Wärme und paar von meinen langen Haaren hängen auch dran, dann hat er auch etwas Nähe von mir. 

Aber manchmal gibt es Momente, da brauche ich meinen Mann doch und rufe ihn mit einem Appell herbei, bei Befehlen wird er hellhörig. Daraufhin kommt er sofort und steht fast hechelnd vor mir, denn er macht gerne etwas für mich, weil er dann ein bisschen Aufmerksamkeit von mir bekommt und vielleicht noch ein kleines Leckerli, im Sinne von Zigaretten oder Kaffee. Je mehr Zigaretten ich ihm gebe, umso schneller kann ich ihn durch einen neuen Hund ersetzen, den ich dann vielleicht länger lieben kann. Wenn es meinem Mann schlechter gehen sollte, werde ich ihn ins Tierheim bringen, dort gibt es gute Pfleger, die mehr Ahnung haben und besser mit ihm umgehen, wenn sein Leben langsam ein Ende nimmt. Ich möchte meinem Mann im hohen Alter einfach nicht mehr belasten. 
Vielleicht kriegt er dort auch eine schöne Couch, denn unsere hat er über die Jahre schon ganz schön derb zugerichtet mit seinem Übergewicht und seinem Geklecker. Unsere Couch ist genauso alt wie er. 
Und vernünftig essen, ohne, dass etwas daneben geht, konnte er noch nie. 

Letztendlich gibt es nur eine Sache, für die ich meinen Mann einmal im Leben brauchte.. Kindermachen. Ohne ihn hätte das nicht geklappt. Damals wollte mein Mann viele Kinder machen, aber ich wollte nur eins. Da war er traurig. 
Danach ließ ich meinen Mann kastrieren, damit er nicht mehr auf dumme Gedanken kommt und mich nicht ständig anspringt. Jetzt ist er lieb, so ganz ohne Hormone. Das gefällt mir und alle beneiden mich um mein harmonisches Leben mit meinem Mann, der zugleich mein Hund ist. Der alles macht, was ich ihm sage und der an Ort und Stelle ist, wenn ich ihn brauche. Jemand, der lebt, ohne zu geben (Ausnahme: Kind) und nicht viel nimmt, um zufrieden zu sein. Ich kann machen was ich will und er nimmt es so hin. Widersprechen ausgeschlossen, weil er gut erzogen ist. Dafür ist mein Mann aber ein guter Zuhörer. Wenn ich abends Besuch kriege, steht er an der Schlafzimmertür und lauscht. Am nächsten Morgen stellt er sich ans Fenster, springt raus und hängt sich dem fremden Besucher an die Fersen. 
Das passierte einige Male. Bis die Polizei kam und ihn abführte. Ich fragte nicht, wohin. 
Auf Wiedersehen, treuer Weggefährte.


© Frida Mai


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Beschreibung des Autors zu "Mein Mann, das Tier"

Welcher Mann erkennt sich darin wieder?

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Kommentare zu "Mein Mann, das Tier"

Re: Mein Mann, das Tier

Autor: Ralf Risse   Datum: 14.01.2014 19:52 Uhr

Kommentar: Oje, ich weiß nicht wer mir mehr leid tut . . .filmreif. Ein böser , aber sehr guter Text.
LG Ralf

Re: Mein Mann, das Tier

Autor: noé   Datum: 14.01.2014 20:05 Uhr

Kommentar: Na, da kann ich für den Mann nur hoffen, dass es ihm da, wohin die Polizei ihn geführt hat, besser geht. Vielleicht hat sie ihn ja in Schutzhaft genommen...
noé

Re: Mein Mann, das Tier

Autor: Doris Demski   Datum: 14.01.2014 20:05 Uhr

Kommentar: Puuhh, ganz schön heftig. Selbst wenn "nur" der Hund gemeint wäre.
Dennoch, wohl aus dem Leben gegriffen.
LG D.D.

Re: Mein Mann, das Tier

Autor: axel c. englert   Datum: 14.01.2014 20:11 Uhr

Kommentar: Also - ICH würde mich mit solch einem Hundeleben
definitiv verbessern!
Lg Axel

Re: Mein Mann, das Tier

Autor: Picolo   Datum: 14.01.2014 22:33 Uhr

Kommentar: Hm, sehr provokant. Ich glaube, ich hätte nicht die Zeit um mich darin wiedererkennen zu können.
Gruß Picolo

Re: Mein Mann, das Tier

Autor: [email protected]   Datum: 15.01.2014 10:18 Uhr

Kommentar: Dieser Text schnürt einem die Kehle ....Endlich macht sich mal einer Gedanken um schlecht behandelte Männer ,sonst bedauert man ja immer die armen Frauen....Aber so selten ist das Beschriebene gar nicht , ich kenne mindestens zwei Fälle in denen der Hund - oder die Katzen - besser dran sind als der Ehemann...Liebe Grüße , Nabatea

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