Heute vor genau zwei Wochen ging es los. Die langersehnte Reise nach Schottland, auf die ich knapp ein Jahr wartete. Dank meiner Lebenserfahrung wusste ich, dass die Dinge, auf die man sich am meisten und am längsten freut, fast sofort wieder zu Ende sind.
Deswegen setzte ich den Anfang und das Ende gleich auf eine Stufe.
Am Tag der Abreise wusste ich, dass ich viel zu schnell wieder zu Hause sein würde, obwohl ich acht volle Tage vor mir hatte. Acht Tage sind viel. Das merkt man besonders, wenn man täglich zur Arbeit geht.
Im Urlaub sollte man jeden einzelnen Moment bewusst auskosten, denn dort tickt die Zeit anders.

Meine Taschen waren rechtzeitig gepackt. Bemüht, nur das Nötigste einzupacken, denn die Tasche würde nach dem Urlaub doppelt so schwer werden. So etwas sollte man vorher bedenken. Man braucht genug Platz für landestypische Andenken, Whiskey-Flaschen haben auch ihr Gewicht.
Ich hatte eine bescheidene Teenie-Reisetasche, einen süß bedruckten Beutel als Handgepäck für die Nacht auf der Fähre und meine Handtasche, in der sich reichlich wichtige Dinge befanden. Natürlich hatte ich wie immer nichts vergessen.

Die Reise ging erst um fünf nach Mitternacht los. Deswegen teilte sich meine Aufregung am Tag in kleineren Portionen auf, gut dosiert.
Eine Stunde vor der Abreise war Schluss mit dem Frieden. Ich konnte nicht mehr still vor dem Fernseher sitzen und zog meine neuen Schuhe an, die ich mir am Nachmittag noch spontan kaufte und darüber sehr glücklich war. Sie hatten einen kleinen Absatz und übertrafen meine langweiligen Sneakers, die ich im Sommer noch unentbehrlich fand. Nun hatten sie schon ihren dritten Nachfolger.

Die Abreise sollte bequem per Haustürabholung stattfinden, so war es vereinbart. Eine halbe Stunde vor dem Termin stand ich samt Gepäck vor der Haustür und war angetan von der milden Nachtluft. Kein Hauch Wind, eine laue Spätsommernacht im September.
Ich erwischte mich dabei, wie ich im Minutentakt auf meine Uhr schaute. Warten war nicht unbedingt meine Stärke, sondern eher Ungeduld und Nervosität.

Die Straße war leer und es regte sich nirgendwo etwas um diese Zeit. Auch um Punkt Mitternacht und zehn Minuten später nicht. Meine Ungeduld wuchs und ließ mich bald zur hypochondrischen Drama Queen werden, die nach Gründen für diese Situation suchte.
Was war, wenn sie mich vergessen hatten? Oder die Adresse nicht gefunden wurde? Hatte ich mich vielleicht im Datum geirrt? Warum kam dieser verdammte Zubringermensch nicht? Was war hier nur los?
Hatte der etwa kein Navi? Vielleicht ein Unfall, der die Straßen versperrt?
Oh Mann, ich wurde irre vor Angst, in Vergessenheit geraten zu sein. Schließlich hatte ich mich so auf den Urlaub gefreut, der konnte jetzt nicht platzen! Auf gar keinen Fall! Mir fiel ein, dass solche Vorfälle schon vorkamen. Leute freuten sich auf ihren Urlaub und standen plötzlich vor dem Nichts. Alles umsonst.

Ich starrte dauernd auf die Straße und beobachtete jedes Licht, das in der Ferne erschien und beim Abbiegen wieder erlosch. Das konnte doch alles nicht wahr sein, denn ich verließ mich strikt auf Pünktlichkeit. Verspätung erwartete ich höchstens von der Bahn.
Es fuhren paar Autos an mir vorbei. Jeder auftauchende Scheinwerfer erweckte neue Hoffnung und zerstörte sie gleich danach.
Langsam bekam ich schlechte Laune und regte mich über die Unzuverlässigkeit seriöser Unternehmen auf. Wie konnte das nur sein, was erlauben die sich und so weiter.
Als ich schon fast aufgab und den Urlaub gedanklich halb hingeschmissen hatte, blitzten neue Scheinwerfer auf, die sich verdächtig langsam näherten. Es konnte sich nur um ein Auto handeln, das sich hier nicht auskannte. Als es zögerlich immer näher kam, erkannte ich den Kleinbus und war überglücklich! Ich winkte ihm wild zu.

Ein äußerst temperamentvoller Mann mit polnischem (oder italienischem?) Akzent sprang aus dem Wagen und hievte das Gepäck mit Schwung in den Kofferraum.
Endlich, endlich, endlich! Ich freute mich und begrüßte die anderen Mitreisenden.
Nach dem anfänglichen Schock konnte die Reise beginnen. Eine Reise durch die Nacht, in der ich schon nach einer Stunde die erste Reisetablette gegen Übelkeit schlucken musste. Ohne Wasser, denn das hatte ich vergessen.

Wenn ich nun daran denke, dass all die Freude und Erlebnisse schon zwei Wochen her sind, wird mir komisch. Wo ist die Zeit geblieben?
Sie ist tatsächlich so schnell vergangen, wie ich es hervorgesehen hatte. Schade, dass das Leben keinen Slow-Motion-Modus hat.


© Frida Mai, alle Rechte vorbehalten.


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Kommentare zu "Anfangsende des Urlaubs"

Re: Anfangsende des Urlaubs

Autor: noé   Datum: 02.10.2014 18:13 Uhr

Kommentar: Sowas kenne ich gut, wenn auch in anderen Zusammenhängen.
Klasse beschrieben.
Hoffentlich hat sich die Reise wenigstens auch gelohnt für Dich, denn Schottland ist jede noch so kurze Reise wert (ich bin mal vier Wochen am Stück individuelle rundgereist, und selbst diese vier Wochen waren mir viel, viel zu kurz!)
noé

Re: Anfangsende des Urlaubs

Autor: Frida Mai   Datum: 02.10.2014 21:21 Uhr

Kommentar: Ohh, 4 Wochen sind echt beneidenswert! Schottland ist sooo wunderschön - ich hab's sehr genossen und konnte nicht genug bekommen. Tolle Natur...

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