Vom Jenseits aus – wir stellen uns vor es gäbe eines – müsste das Leben höchstwahrscheinlich wie eine in sich wabernde Blase mit hellen Flecken erscheinen. Überall steigt etwas auf, überall zieht sich etwas in einen flüssigen Kern zurück, der wie das Magma im Erdinneren erscheint, um dort vor sich hin zu glühen.

Stellen wir uns weiter vor die Gesamtheit absinkender und aufsteigender Blasen würde quasi einen Prozess darstellen, der lebendige geistige Bewegungen widerspiegelt. Sollte eines der unzähligen Bläschen sich zu weit vom glühenden Kern entfernt haben und irgendwie versuchen wollen die äußerste Membran der Gesamtblase zu durchdringen, dann folgt ihm sofort eine Unzahl Ordnungskräfte, die wie schwarze Blutkörperchen aussehen, um es wieder in das brodelnde Zentrum zu schleppen.

Diesseitig empfunden mag das dann so aussehen als würde ein Freidenker diszipliniert werden: von dämonischen Mächten würde er verfolgt und eingesperrt werden – entweder direkt im Gefängnis, oder überwacht mit Fußfesseln zuhause! Jede, der Staatsraison zuwider handelnd erscheinende Aktivität wäre damit kaltgestellt. Eine weitere Möglichkeit bestünde im Verbot von Ansammlungen sogenannter „Vernünftiger“, die der Gesamtstruktur insofern Schaden zufügen könnten, als sie den weiteren Verlauf des für das Leben geplanten Schicksals beeinträchtigen könnten.

Die hellen Flecken innerhalb der großen Blase verkörpern, sagen wir mal, die Allgegenwart des Todes, der überall dafür sorgt, daß neuer Platz für eine gesunde Regeneration sorgt (durch das Hineinziehen jenseitiger Seelen in die Lebenssphäre) und dazu beiträgt, die Vernunft in ihrem, für die Epoche vorgesehenen, Rahmen zu halten: Überall wo es nötig ist schlägt er erbarmungslos zu! Auf diese Weise lösen sich ständig Teilchen der Großblase um im Jenseits zu verschwinden, von wo aus sie den Ablauf des Lebens mitverfolgen, aber natürlich nicht mehr auf ihn einwirken können.

So bleibt die Unantastbarkeit lebendiger Abläufe durch ein zu frühes Aufgreifen letztendlicher Wahrheiten weitestgehend schadlos erhalten. Garanten für diesen ewigen Fortgang heilsamer Unvernunft sind: Der Glauben, die Obrigkeitshörigkeit, die Ablenkung durch Liebe und unkontrollierte Fortpflanzung (was die Steuerbarkeit der Massen durch rücksichtslose Staatenlenker garantiert). Niemals darf die Weisheit des universellen Bestehens durch Philosophien bedroht werden die das Leben so zeigen wie es tatsächlich ist: als wabernde Blase, bestehend aus vielen Einzelbläschen, deren strenge Disziplinierung die Grundlage des Seins im Nichtsein ist: Rufen wir also voller Freude aus „habemus papam“, „allahu akbar! “beziehungsweise „wo ist das Nirvana?“, wenn nicht gar „Wie es euch gefällt“.

Die Spiegelwelt

© Alf Glocker


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Kommentare zu "Die Spiegelwelt"

Re: Die Spiegelwelt

Autor: humbalum   Datum: 09.05.2025 7:34 Uhr

Kommentar: Scharf! Nach dem Fruehstueck und dem dritten Cafe kriegst
Du einen kompetenten Kommentar, vom Meister persoenlich.
Bis dahin lasse ich es einfach mal in meiner Birne wabbern.
MfG Klaus

Danke fuer den Komentar. Aber stimmt. Genau das war
das Thena von Beckett!

Re: Die Spiegelwelt

Autor: Alf Glocker   Datum: 09.05.2025 9:58 Uhr

Kommentar: Haha, danke dir vielmals...

MfG
Alf

Re: Die Spiegelwelt

Autor: noé   Datum: 09.05.2025 11:22 Uhr

Kommentar: ... erinnert mich an das Geschehen in meiner Lavalampe ... weißt schon ...

Re: Die Spiegelwelt

Autor: Sonja Soller   Datum: 09.05.2025 12:04 Uhr

Kommentar: Alle Achtung und Chapeau für deine Gedankengänge.

Herzl Grüße aus dem staunenden Norden, Sonja

Re: Die Spiegelwelt

Autor: humbalum   Datum: 09.05.2025 15:06 Uhr

Kommentar: Du hast zwar vier Kommentare.
Aber ich habe fuenf likes. Damit
bin ich es eindeutig: Der Sieger desTages!
Baetsch! Baetsch! Baetsch! MfG Klaus

Re: Die Spiegelwelt

Autor: Alf Glocker   Datum: 09.05.2025 18:28 Uhr

Kommentar: Hahahaha...gratuliere Du Sieger!
Ich erkenne deine 5 Likes neidlos an...

MfG
Alf

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