Wie sieht logisches Denken aus? Diese Frage ist, von allen Fragen überhaupt, am schwersten zu beantworten! Achtung, wer jetzt lacht, hatte damit noch nie was am Hut!

Ein einfacher Geist wird natürlich sofort sagen: „Ein-mal 1 und 1 = 2!“ Dann wird er stolz aufblicken, sich recken und strecken, er wird lächeln und froh nach Hause gehen.

Der nicht ganz so einfache Geist wird aber den Kopf schütteln oder sogar die Hände über demselben zusammenschlagen, denn die Erfahrung hat ihn anderes gelehrt.

Vielleicht, so wird er rücksichtsvoll mutmaßen, hat der mutmaßlich einfache Geist nie gelernt zu abstrahieren oder Begriffe von einem Gebiet auf ein anderes zu übertragen. Vielleicht hat er sogar gerade Erfolg damit, nichts übertragen zu können.

Dann wird der nicht so ganz einfache Geist zu zittern anfangen. Warum? Weil ihm der Erfolg des einfachen Geistes nichts bedeutet? Weil er selbst einen derartigen Erfolg, nicht ohne schlechtes Gewissen, auskosten könnte?

Womöglich zählt er auch noch, geschockt durch den einfachen Geist, die Fakten zusammen, und sieht deshalb die Welt vor seinen Augen brennen, obwohl sie nicht brennt, oder obwohl sie noch gar nicht brennt.

Dann wird der einfache Geist zu dem nicht ganz so einfachen Geist sagen: „Meine Güte, du hyperventilierst ja, du halluzinierst, du hast Zwangsvorstellungen – du bist krank … lass dich doch bitte behandeln!“

Und in der Behandlung wird der nicht so ganz einfache Geist schließlich erfahren, daß 1 und 1 2 ist, daß er sich keine Sorgen zu machen braucht (auch nicht um den einfachen Geist), und daß schon alles gut werden wird, solange er nur nicht so genau hinsieht.

Das wird der nicht so ganz einfache Geist dann versuchen. Er wird lächeln, wenn es junge Hunde regnet, er wird sich freuen, wenn wieder einmal nichts passiert, weil durch dieses Nichtpassieren alles beim Alten, also beim Guten bleibt. Er wird essen und trinken, er wird arbeiten und lieben, er wird Kinder füttern und Steuern zahlen, er wird fernsehen, er wird an die Nachrichten glauben und er wird gut schlafen …?

Nein! Gut schlafen wird er nicht! Er wird Alpträume haben, er wird sich in seinen schweißnassen Laken wälzen, wenn die Ungereimtheiten geisterhaft abstrakt auf ihn zukommen, wenn es dunkel ist – denn am Tag ist er ja mit einfachen Geistesaufgaben beschäftigt. Das ist Logik?

Auch nicht! Logisch wäre es, wenn ihn überhaupt nichts mehr interessierte, den nicht so ganz einfachen Geist. Dann würde er nicht sehen, wie wir unsere Brunnen vergiften, aus denen wir trinken, die Luft verpesten, die wir atmen, wie wir, überall, wo wenigstens ansatzweise schon Gutes vorhanden ist, immer wieder Mangelhaftes daruntermischen, damit nie etwas wirklich gut werden kann.

Logisch wäre es zu sagen: „Es ist ausgesprochen empfehlenswert, daß sich zwei Menschen begehren, von denen der eine schon hat, was der andere nicht braucht, wenn man sich immer noch ein Haus dort baut, wo früher ein Acker stand, wenn wir unser Essen mit Medikamenten so vollpumpen, daß sie bei uns keine Wirkung mehr haben.“ Das ist logisch!

Ebenfalls logisch ist es, sich tief zu verbeugen, wenn wir einem Menschen begegnen, der sehr lange studiert hat, um diese Logik anwenden zu können, zu dürfen. Dann müssen wir zu ihm, zu ihr sagen: „Meine Hochachtung, sehr verehrte Frau, sehr geehrter Herr XY.“ Denn er/sie hat es verdient – er/sie weiß, wovon er/sie spricht, während wir keine Ahnung haben!

Sollten wir, am Schluss, in der Anwendung der absolut richtigen Verhalten- oder Verfahrensweisen nicht verrückt geworden sein, dann können wir darangehen, anerkannte Kunst zu machen (denn für etwas anderes werden wir kaum noch taugen). Dann können wir es diesen brunnenvergiftenden Geistesgrößen einmal zeigen, die geschickt das Gute durch eine Multiplizierung des Schlechten herbeirechnen, die so etwas wie die „Liebe“ (ohnehin schon ein sehr dehnbarer Begriff) in den Fäkalbereich verlegen.

Dann kacken wir selbst auf den Tisch! Dann spielen wir ein Theater, das seinesgleichen erst gar nicht suchen muss, weil es schon überall vorhanden ist, dann wälzen wir uns im Dreck und stehen hysterisch lachend auf, um Fettecken – nein, nicht zu putzen – noch weiter zu verfetten. Zu verfetten, wie der nicht so ganz einfache Geist dringend verfettet werden muss, um zierlich und schlank zu bleiben.
Genau, jetzt haben wir es endlich begriffen – wer abnehmen möchte, der stopfe sich voll, wer schön sein will, der lasse sich umoperieren, wer klug aussehen möchte, der setze eine kleine Lesebrille auf und formuliere gekonnt Schwachheiten in den zur Nacht gewordenen Tag hinein – und zwar solche, die kein Mensch mehr versteht, außer er besäße einen absolut einfachen Geist.

Denn der einfache Geist sagt uns, im Gegensatz zum nicht so ganz einfachen Geist, daß man tun darf was man möchte, Hauptsache, man wird fett dabei. Alles ist sowieso völlig egal, weil die mit dem einfachen Geist immer die Welt regieren werden. Und in Anbetracht dessen ist 1 und 1 natürlich 2, es könnte aber auch 0 Komma Nix sein, oder 13,233489050 – oder was du willst, respektive, wie es euch gefällt.– Da-da-da-da-da-da ...

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 257. Schritt

© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 257. Schritt"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 257. Schritt

Autor: Sonja Soller   Datum: 13.05.2022 13:39 Uhr

Kommentar: Sehr aufschlussreich!!!!

Herzliche Grüße aus dem wechselhaften Norden, Sonja

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 257. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 14.05.2022 7:40 Uhr

Kommentar: Harharr!
Ich danke dir herzlich, liebe Sonja.

Viele Grüße aus dem unveränderlichen Süden
Alf

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